B201/54 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechtssatz
Die Vorschrift des § 4 RGBl. Nr. 87/1862 kann nur bedeuten, daß mit Ablauf der Frist von 48 Stunden jedes Verfügungsrecht der Sicherheitsbehörde über eine von ihr in Verwahrung genommene Person aufhört, und hat deshalb die Folge, daß der Häftling nunmehr beim Untersuchungsgericht in Haft zu bleiben hat, solange diese aufrechterhalten wird. Ein gegenteiliges Vorgehen der Sicherheitsbehörden würde den Häftling der prozessualen Garantien berauben, die ihm das Gesetz zusichert, und würde die Verhängung der ordentlichen Untersuchungshaft zu einer leeren Formalität herabdrücken. Die zwingende Vorschrift des Gesetzes richtet sich daher nicht nur an die Gerichte, sondern auch an die Sicherheitsbehörden und schreibt diesen ein Verhalten vor, mit dem die Verfügung über den Häftling nach Ablauf der 48stündigen Frist nicht in Einklang zu bringen ist.
Schon die Bestimmung des {Strafprozeßordnung 1975 § 93, § 93 Abs. 1 StPO} läßt deutlich erkennen, daß die Voruntersuchung grundsätzlich vom Untersuchungsrichter persönlich und unmittelbar zu führen ist. Er kann sich hiebei wohl der Rechtshilfe anderer Gerichte und auch der Sicherheitsbehörden bedienen und diesen bestimmte Aufträge erteilen. Dagegen ist es absolut unzulässig, die Führung der Voruntersuchung der Sicherheitsbehörde zu überlassen. Das geht sehr deutlich aus {Strafprozeßordnung 1975 § 12, § 12 StPO} hervor, wonach die Voruntersuchung im Wege der Delegierung an ein Bezirksgericht - aber nur an ein solches und nicht auch an eine Sicherheitsbehörde - übertragen werden kann und selbst eine solche Delegierung jederzeit über Verlangen des Beschuldigten aufgehoben werden muß. In dieselbe Richtung weist {Strafprozeßordnung 1975 § 97, § 97 StPO}. Denn wenn es schon dem Staatsanwalt "bei sonstiger Nichtigkeit" verboten ist, Untersuchungshandlungen vorzunehmen, so muß bei dem Verhältnis, in dem Staatsanwaltschaft und Sicherheitsbehörde zueinander stehen, dasselbe auch für die Sicherheitsbehörden gelten. Der Wille des Gesetzes geht ganz klar dahin, daß mit der Einleitung der Voruntersuchung deren Gang ausschließlich vom Untersuchungsrichter bestimmt wird. Diese vom Gesetz gewollte Konzentration der Voruntersuchung in der Hand des Untersuchungsrichters schließt es aus, daß neben der gerichtlichen Voruntersuchung und unabhängig von ihr eine polizeiliche Untersuchung geführt wird, die sich nicht auf bestimmte, vom Gericht erteilte Aufträge bezieht. Das kann freilich nur insoweit gelten, als es sich um Fakten handelt, die bereits den Gegenstand der gerichtlichen Voruntersuchung bilden, während die Sicherheitsbehörden schon nach {Strafprozeßordnung 1975 § 24, § 24 StPO} über neue Beschuldigungen auch ohne besonderen Auftrag des Gerichtes die Erhebungen so weit zu führen haben, daß sich die Staatsanwaltschaft darüber schlüssig werden kann, ob sie die Einleitung der gerichtlichen Voruntersuchung wegen dieser Fakten beantragen oder die Anzeige zurücklegen soll.
Führt die Sicherheitsbehörde trotz Einleitung der gerichtlichen Voruntersuchung die Erhebungen über die bereits angezeigten Fakten ohne bestimmten Auftrag des Gerichtes nach eigenem Ermessen fort, so verletzt sie das Recht auf den gesetzlichen Richter.