JudikaturVfGH

B162/55 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechtssatz

Rechtssatz
15. März 1955

Hat über den bei einer bestimmten Behörde einzubringenden Antrag eine andere bestimmte Behörde zu entscheiden, so haben sich beide Behörden mit der Eingabe zu befassen, beide Behörden sind daher berechtigt, die beleidigende Schreibweise zum Anlaß für die Verhängung einer Ordnungsstrafe zu nehmen.

Die Regelung des § 34 Abs. 3 AVG 1950 ist dazu bestimmt, Verletzungen des gebotenen Anstandes im Verkehr mit den Behörden zu ahnden. Sie wendet sich also nicht gegen den Inhalt des Vorbringens, sondern gegen die Form, in der dieses erfolgt. Niemand ist durch § 34 Abs. 3 AVG daran gehindert, einen Mißstand, der nach seiner Meinung bei einer Behörde besteht oder in einem vor ihr durchgeführten Verwaltungsverfahren zutage getreten ist, der Oberbehörde zur Kenntnis zu bringen, damit sie Abhilfe schaffe. Er muß sich dabei nur in den Grenzen der Sachlichkeit halten. Schon daraus ergibt sich, daß ein Wahrheitsbeweis im Verfahren nach § 34 Abs. 3 AVG gar nicht in Frage kommen kann, weil die Form des Vorbringens kein Gegenstand einer solchen Beweisführung ist. Daß der in einer Eingabe enthaltene Vorwurf auch zu einem strafgerichtlichen Verfahren wegen Ehrenbeleidigung führen kann, wenn die betroffenen Amtsorgane das Tatsächliche des gegen sie erhobenen Vorwurfs bestreiten und sich deshalb persönlich in ihrer Ehre verletzt fühlen, ist richtig und in einem solchen Verfahren steht dem Beleidiger das prozessuale Recht zu, den Wahrheitsbeweis anzutreten. Daran hindert ihn aber das Ordnungsstrafverfahren, das einen anderen Tatbestand betrifft, nicht.

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