JudikaturVfGH

B16/54 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechtssatz

Rechtssatz
24. Juni 1954

Eine Verstaatlichung i. S. des Ersten oder Zweiten Verstaatlichungsgesetzes ist eine Enteignung i. S. der österreichischen Rechtsvorschriften. Eine Verstaatlichung kann auch zugunsten eines Enteigners erfolgen, der nicht mit dem Staat ident ist.

Eine entschädigungslose Konfiskation einem Ausländer gegenüber wird in der Lehre und Übung des Völkerrechtes als unzulässig angesehen. Es handelt sich dabei zweifellos um eine jener allgemein anerkannten Regeln des Völkerrechtes, die {Bundes-Verfassungsgesetz Art 9, Art. 9 B-VG} als "Bestandteil des Bundesrechtes" erklärt. Allein diese Regeln sind dadurch nicht als Bundesverfassungsrecht, sondern als einfaches Bundesrecht rezipiert worden. Sie werden auch durch {Bundes-Verfassungsgesetz Art 145, Art. 145 B-VG}, der bloß ein Programm für die Zukunft aufstellt, nicht auf die Stufe verfassungsrechtlicher Normen gehoben. Von einer Konfiskation kann im Falle des 2. Verstaatlichungsgesetzes nicht die Rede sein, obwohl das im § 2 dieses Gesetzes angekündigte besondere Bundesgesetz noch nicht erlassen worden ist. Die Leistung der Entschädigung Zug um Zug wird auch völkerrechtlich nicht gefordert.

Es ist nicht richtig, daß sich Art. 5 des StGG ausschließlich auf Staatsbürger bezieht und daher gegenüber Ausländern § 365 ABGB, der eine Enteignung nur gegen angemessene Entschädigung zuläßt, die einzige gesetzliche Grundlage für eine Enteignung bildet. Denn § 365 ABGB ist nicht Bestandteil der österreichischen Bundesverfassung geworden. Richtig ist, daß der VwGH Enteignungen auch auf Grund des {Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch § 365, § 365 ABGB} allein für zulässig angesehen hat. Die Gesetzgebung ist aber trotz der durch Art. 13 des Verwaltungsentlastungsgesetzes vom 21. Juli 1925, BGBl. Nr. 277, geschaffenen Neuerung den nach Ansicht des VfGH richtigeren, weil dem rechtsstaatlichen Prinzip entsprechenderen Weg gegangen, die zulässigen Fälle der Enteignung durch besondere Gesetze im einzelnen festzulegen. Art. 5 StGG gilt sonach auch gegenüber Ausländern uneingeschränkt als Grundlage für eine Enteignung.

Die Gleichheit vor dem Gesetz ist nach der ständigen Rechtsprechung des VfGH nur den Bundesbürgern, nicht aber auch Ausländern gewährleistet. Die Berufung auf {Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch § 33, § 33 ABGB}, der den Ausländern grundsätzlich die gleichen Rechte wie den Inländern einräumt, ist rechtlich verfehlt, weil diese Bestimmung nicht die Bedeutung einer Verfassungsbestimmung hat.

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