JudikaturVfGH

KII-6/54 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechtssatz

Rechtssatz
22. Juni 1954

Die Regelung der Voraussetzungen, unter denen die Musik erwerbsmäßig ausgeübt werden darf, sowie der Maßnahmen, die zum Schutz der fachlich befähigten Musiker gegen die Konkurrenz von fachlich nicht befähigten Musikern zu treffen sind, fällt, soweit es sich nicht um die Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs handelt, unter keinen der Kompetenztatbestände der Art. 10 bis 12 B-VG i. d. F. von 1929 und ist daher gemäß {Bundes-Verfassungsgesetz Art 15, Art. 15 Abs. 1 B-VG} i. d. F. von 1929 der Gesetzgebung und Vollziehung nach Landessache.

Die Angelegenheiten der Musik oder das Musikwesen sind in den Art. 10 bis 12 B-VG nirgends ausdrücklich genannt. Da aber das B-VG für die einzelnen Kompetenztatbestände Begriffe verwendet, die vielfach eine Zusammenfassung nach anderen Gesichtspunkten als nach Art einer Tätigkeit bedeuten, wie z. B. Vereinsrecht, Arbeitsrecht usw., schließt das Fehlen einer ausdrücklichen Erwähnung des Musikwesens dessen Unterstellung unter einen anderen Kompetenztatbestand als den allgemeinen Subsidiartatbestand des {Bundes-Verfassungsgesetz Art 15, Art. 15 B-VG} nicht von vornherein aus.

Im {Bundes-Verfassungsgesetz Art 10, Art. 10 Abs. 1 Z 13 B-VG} (Angelegenheiten der künstlerischen Einrichtungen) ist an Institutionen mit einer materiellen Grundlage gedacht, die der Pflege der Kunst und der Erhaltung künstlerischer Werte dienen.

Musikalische Darbietungen jeder Art sind nicht unter den Tatbestand "Gewerbe" zu subsumieren.

Sowohl das Dienstrecht der Angestellten ({Bundes-Verfassungsgesetz Art 10, Art. 10 Abs. 1 Z 6 B-VG} " Zivilrechtswesen") und der Arbeiter (Art. 10 Abs. 1 Z 11 B-VG " Arbeiterrecht") wie auch der "Arbeiter- und Angestelltenschutz" ( {Bundes-Verfassungsgesetz Art 10, Art. 10 Abs. 1 Z 11 B-VG}) erfassen lediglich das Innenverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, nicht aber auch die Beziehung dritter Personen zu diesem Dienstverhältnis. Diese letztere erhält vielmehr ihre Regelung durch die besonderen Vorschriften für die einzelnen Sachgebiete, in denen sie zutage treten, also für den im Forstwesen Berufstätigen durch die Bestimmungen des Forstrechtes, für den in einem Angestelltenverhältnis tätigen Arzt durch die einschlägigen Sanitätsgesetze usw.

Die Erteilung des Musikunterrichtes verfolgt - sehr zum Unterschied von den lediglich der Förderung des gesellschaftlichen Lebens dienenden Tanzschulen oder der bloßen sportlichen Ertüchtigung dienenden Skischulen und sportlichen Lehranstalten aller anderen Arten - auch sehr wesentliche pädagogische und volkserzieherische Ziele und muß daher geradezu begriffsnotwendig unter den im {Bundes-Verfassungsgesetz Art 14, Art. 14 B-VG} geprägten Begriff "Schul-, Erziehungs- und Volksbildungswesen" subsumiert werden.

Die Zuständigkeit zur Gesetzgebung in den Angelegenheiten des Musikunterrichtes an öffentlichen oder privaten Lehranstalten aller Art ist nach der für die Angelegenheiten des Schulwesens, Erziehungswesens und Volksbildungswesens ({Bundes-Verfassungsgesetz Art 14, Art. 14 B-VG} i. d. F. von 1929) derzeit geltenden vorläufigen Regelungen des § 42 V-ÜG 1920 i. d. F. des V-ÜG 1929 zu beurteilen; die Vollziehung in diesen Angelegenheiten steht gemäß Art. 102 a B-VG i. d. F. von 1929 ausschließlich dem Bund zu. Der häusliche Unterricht unterliegt gemäß Art. 17 StGG vom 21. Dezember 1867, RGBl. Nr. 142, über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger keinerlei Beschränkungen. Auch im Bereich der Musikpflege darf daher der häusliche Unterricht weder durch ein Bundesgesetz noch durch ein Landesgesetz irgendwelchen Beschränkungen unterworfen werden. Die Zuständigkeit zur Gesetzgebung und Vollziehung in den Angelegenheiten des Dienstrechtes einschließlich des Besoldungsrechtes und des Disziplinarrechtes der Beamten der Schulaufsicht sowie der Lehrer für Musik an öffentlichen Schulen ist nach dem Lehrerdienstrechts-Kompetenzgesetz vom 21. April 1948, BGBl. Nr. 88, zu beurteilen.

Nach der Verfassungsbestimmung des Art. 17 StGG unterliegt der häusliche Unterricht überhaupt keinen Beschränkungen. Daraus ergibt sich, daß weder die Bundesgesetzgebung noch die Landesgesetzgebung für den häuslichen Unterricht Beschränkungen irgendwelcher Art, insbesondere auch nicht durch Festlegung des Erfordernisses einer fachlichen Befähigung für die Erteilung eines solchen Unterrichtes, festlegen darf. In dieser Hinsicht ist daher weder eine Zuständigkeit der Bundesgesetzgebung noch eine Zuständigkeit der Landesgesetzgebung gegeben.

Die Schaffung und die Regelung des organisatorischen Aufbaues eines " Musikerringes" als einer öffentlichrechtlichen Interessenvertretung der erwerbsmäßig tätigen Musiker, ferner die Festlegung der Befugnisse des Musikerringes und seiner Organe stellt sich als Einrichtung einer beruflichen Vertretung im Sinne des B-VG dar und ist daher gemäß {Bundes-Verfassungsgesetz Art 11, Art. 11 Abs. 1 Z 2 B-VG} i.d.F. von 1929 in der Gesetzgebung Bundessache, in der Vollziehung Landessache, soweit sich aber diese Berufsvertretung auf das gesamte Bundesgebiet erstreckt, gemäß {Bundes-Verfassungsgesetz Art 10, Art. 10 Abs. 1 Z 8 B-VG} i.d.F. von 1929 in Gesetzgebung und Vollziehung Bundessache.

Die Bestimmung des Art. 10 Abs. 1 Z 8 B-VG (berufliche Vertretungen soll die Einrichtung einer zentralen Vertretung für jene Berufe ermöglichen, deren Vertretungen nicht schon unter eine andere Kompetenzbestimmung des Art. 10 B-VG fallen, wie z. B. "Kammern für Handel, Gewerbe und Industrie" (Art. 10 Abs. 1 Z 8) , "Kammern für Arbeiter und Angestellte" (Art. 10 Abs. 1 Z 11) , " Angelegenheiten der Notare, Rechtsanwälte und verwandte Berufe" ( Art. 10 Abs. 1 Z 6) usw. Sie beschränkt sich hiebei keineswegs auf solche Berufszweige, deren übriges Berufsrecht (mit Ausnahme der Berufsvertretung) in Gesetzgebung und Vollziehung Bundessache ist.

Nur die Regelung der Berufsvertretungen auf landwirtschaftlichem und forstwirtschaftlichem Gebiete und Personalvertretungen der mit behördlichen Aufgaben betrauten Angestellten des Bundes und der Länder (Gemeinden) ({Bundes-Verfassungsgesetz Art 21, Art. 21 Abs. 1 B-VG}) sind von der Unterstellung unter den Kompetenztatbestand des {Bundes-Verfassungsgesetz Art 10, Art. 10 Abs. 1 Z 8 B-VG} ausgenommen. In allen anderen Fällen ist die Errichtung von Berufsvertretungen, die das ganze Bundesgebiet umfassen, zulässig und der Gesetzgebung und Vollziehung nach Bundessache.

Die Übertragung von behördlichen Befugnissen an eine berufliche Interessenvertretung kann verfassungsrechtlich keine Bedenken auslösen. Selbstverständlich muß hiebei die instanzenmäßige Überordnung der Landeshauptmänner nach {Bundes-Verfassungsgesetz Art 102, Art. 102 B-VG} gewahrt bleiben.

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