JudikaturVfGH

KII-2/52 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechtssatz

Rechtssatz
15. Dezember 1952

Die verwaltungsbehördliche Erfassung landwirtschaftlicher Betriebe, um sie einer Sondererbrechtsfolge (Anerbenrecht) zu unterstellen, dient der Neuordnung und dauernden Sicherung der Bodenbesitzverhältnisse an diesen Liegenschaften; sie ist daher i. S. des Erk. des VfGH Slg. 1390/1931 eine Maßnahme der Bodenreform ( {Bundes-Verfassungsgesetz Art 12, Art. 12 Abs. 1 Z 5 B-VG}) .

Das Anerbenrecht selbst ist in seiner materiellrechtlichen und formalrechtlichen Regelung eine Angelegenheit des Zivilrechtswesens ( {Bundes-Verfassungsgesetz Art 10, Art. 10 Abs. 1 Z 6 B-VG}) .

Die Frage, unter welche der verschiedenen Kompetenzbestimmungen des B-VG eine bestimmte Angelegenheit zu subsumieren ist, ist grundsätzlich nicht danach zu beurteilen, auf welchem Gebiete und zu welchem Zwecke die Regelung erfolgen soll. Der Zweck, dem eine Angelegenheit dienen soll, ist nur in jenen Fällen für die Unterstellung dieser Materie unter einen bestimmten Kompetenztatbestand von Belang, in denen die Umschreibung des Kompetenztatbestandes ausdrücklich auf den Zweck Bezug nimmt, wie z. B.: "Enteignung zu Zwecken der Assanierung" (Art. 10 Abs. 1 Z 6 . "Regulierung und Instandhaltung der Gewässer zum Zweck der unschädlichen Ableitung der Hochfluten oder zum Zweck der Schiffahrt und Flößerei" (Art. 10 Abs. 1 Z 10) , "Stiftungs- und Fondswesen, soweit es sich um Stiftungen und Fonds handelt, die nach ihrem Zweck über den Interessenbereich eines Landes hinausgehen" ( Art. 10 Abs. 1 Z 13) . Abgesehen von solchen Fällen ist für die Einordnung einer bestimmten Materie unter die Kompetenztatbestände des B-VG einzig und allein die Frage entscheidend, welches der Inhalt der in Aussicht genommenen Regelung ist. Es erscheint daher zur Beurteilung der verfassungsrechtlichen Kompetenzfrage nicht von Bedeutung, ob ein in Aussicht genommener Akt der Gesetzgebung das Gebiet der Landwirtschaft und Forstwirtschaft berührt oder in seiner Auswirkung einem Schutz oder einer Förderung der landwirtschaftlichen und forstwirtschaftlichen Interessen dient. Maßgebend ist und bleibt allein der Inhalt des Gesetzentwurfes.

Durch die Bestimmung des {Bundes-Verfassungsgesetz Art 15, Art. 15 Abs. 9 B-VG} sollte die Gesetzgebungsbefugnis der Länder keineswegs in materieller Hinsicht erweitert, sondern nur wirksamer gemacht werden. Es wurde der Landesgesetzgebung lediglich die Möglichkeit zugestanden, bei Regelung einer in die Zuständigkeit der Landesgesetzgebung fallenden Materie akzessorische Bestimmungen auch auf dem Gebiete des Zivilrechtswesens zu treffen.

Der Regelung des § 761 ABGB kam von Anfang an nicht die Bedeutung einer Kompetenzbestimmung zu, der Inhalt erschöpfte sich vielmehr in dem Hinweis auf die im Zeitpunkt des Inkrafttretens des ABGB bestandenen tatsächlichen Verhältnisse. Die Gesetzesstelle hat mit dem Inkrafttreten des Gesetzes vom 27. Juni 1868, RGBl. Nr. 79, wodurch die Bestimmungen des {Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch § 761, § 761 ABGB} in betreff der Erbfolge in Bauerngüter abgeändert werden, praktisch wohl jede Bedeutung verloren.

Zuständigkeit der Gerichte oder der Verwaltungsbehörden und Geltung des gerichtlichen oder des Verwaltungsverfahrens ziehen einzig und allein die Grenze zwischen den beiden Bereichen der Gerichtsbarkeit ( Zivilrechtswesen oder Strafrechtswesen) und der Verwaltung.

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