JudikaturVfGH

G6/51 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechtssatz

Rechtssatz
17. März 1952

Die Zuständigkeit zur Erlassung des Lastverteilungsgesetzes 1949 ist auf Grund der Bestimmung des {Bundes-Verfassungsgesetz Art 10, Art. 10 Abs. 1 Z 15 B-VG} in Anspruch genommen worden.

Ob eine bestimmte Maßnahme zur Versorgung der Bevölkerung mit einem Bedarfsgegenstand auf die Kompetenzbestimmung des Art. 10 Abs. 1 Z 15 B-VG gestützt werden kann, steht zunächst der Bundesgesetzgebung zu; die nachprüfende Kontrollbefugnis des VfGH im Verfahren nach {Bundes-Verfassungsgesetz Art 140, Art. 140 B-VG} kann nicht bestritten werden.

Der Kompetenztatbestand des {Bundes-Verfassungsgesetz Art 10, Art. 10 Abs. 1 Z 15 B-VG} hat keineswegs zur Voraussetzung, daß das Bedürfnis nach Maßnahmen zur Versorgung der Bevölkerung mit Bedarfsgegenständen eine ausschließliche Kriegsfolge ist, es genügt vielmehr, daß dieses Bedürfnis nebst anderen Ursachen seine Wurzel auch in den durch den Krieg bedingten Lebensverhältnissen und Wirtschaftsverhältnissen hat. Eine andere Auslegung würde diesen Kompetenztatbestand in beträchtlichem Umfange seiner Anwendbarkeit berauben, da der "Bedarf" sich wohl nur in den seltensten Fällen als eine ausschließliche Kriegsfolge darstellen wird, sondern meist, wenn nicht geradezu immer, auch andere Faktoren mitspielen werden und es in der Praxis unmöglich wäre, den perzentuellen Anteil des einen oder des anderen Faktors in zweifelsfreier Weise festzustellen.

Die Versorgung der Bevölkerung mit elektrischer Energie gehört bei den dermaligen Verhältnissen zu jenen Maßnahmen, hinsichtlich deren zufolge der Bestimmung des {Bundes-Verfassungsgesetz Art 10, Art. 10 Abs. 1 Z 15 B-VG} der Bund die Gesetzgebung und die Vollziehung derzeit noch in Anspruch nehmen kann. Der VfGH hält diesen seinen Standpunkt jedenfalls für so lange als gerechtfertigt, als Österreich die Lasten einer occupatio bellica zu tragen hat und daher im nicht bloß zeitlichen, sondern auch ursächlichen "Gefolge" des Zweiten Weltkrieges in der freien Entfaltung seines Wirtschaftslebens nach eigener Willensbildung behindert ist.

Der Landeslastverteiler ist eine Behörde.

Der zweite Satz des {Bundes-Verfassungsgesetz Art 102, Art. 102 Abs. 1 B-VG} bietet die Möglichkeit, Aufgaben der mittelbaren Bundesverwaltung in unterster Stufe ausnahmsweise auch auf anderen Gebieten als dem der Polizeiverwaltung durch Bundesbehörden besorgen zu lassen, sofern nur die unmittelbare Unterstellung dieser Bundesbehörden unter den Landeshauptmann und dessen unmittelbares Weisungsrecht in ausschließlicher Gestaltung gewahrt bleiben.

Aus dem ersten Satz des Abs. 1 in {Bundes-Verfassungsgesetz Art 102, Art. 102 B-VG} ist die Forderung abzuleiten, daß im Rahmen der unmittelbaren Bundesverwaltung in der Landesinstanz der Landeshauptmann auch dann mit dem Vollzug betraut sein muß, wenn zur Führung der Verwaltung in unterster Instanz Bundesbehörden bestellt sind.

Durch die Bindung einer im Land in mittelbarer Bundesverwaltung tätigen Bundesbehörde an die unmittelbare Weisung der Zentralbehörde wird der Landeshauptmann in verfassungswidriger Weise ebenso ausgeschaltet, wie durch die Verpflichtung dieser Bundesbehörde zur unmittelbaren Berichterstattung an die Zentralbehörde. Der Landeshauptmann wird auch verfassungswidrigerweise ausgeschaltet, wenn über Rechtsmittel gegen Entscheidungen dieser Bundesbehörde - wenn dadurch Anordnungen der Zentralbehörde oder die Interessen mehrerer Bundesländer berührt werden - unmittelbar die Zentralbehörde entscheidet.

Eine Gesetzesbestimmung, gemäß der durch Verordnung eine Änderung des durch Gesetz festgelegten örtlichen Wirkungsbereiches einer Behörde angeordnet werden kann, ist verfassungswidrig, weil sie zur Änderung eines Gesetzes durch Verordnung ermächtigt.

Einem Gesetz darf im Zweifelsfalle nicht eine Auslegung gegeben werden, die es als verfassungswidrig erscheinen läßt.

Die §§ 3 a, 4, 10 und 11 Lastverteilungsgesetz 1949 sind verfassungsrechtlich unbedenklich.

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