JudikaturVfGH

B129/49 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechtssatz

Rechtssatz
01. Oktober 1949

Weder gegen die Verfassungsmäßigkeit des 2. Verstaatlichungsgesetzes, BGBl. Nr. 81/1947, bestehen begründete Bedenken, noch kann die Verstaatlichung von Stromanlagen, die im Eigentum einer Gemeinde stehen, an sich als verfassungswidrig bezeichnet werden.

Die Verstaatlichung ist ihrem Wesen nach eine Enteignung, verbunden mit der Übertragung des Eigentums an den Staat.

Die Enteignung, die das Gesetz verfügt, erfolgt nach dessen klarem Wortlaut nur zu dem Zwecke, damit das Eigentum an den Stromverteilungsanlagen dem Staate übertragen werden kann. Die Maßnahme fällt daher nach Art. 10 Abs. 1 Z. 6 B-VG in die Gesetzgebungskompetenz des Bundes.

Das 2. VerstaatlichungsG gibt klar zu erkennen, daß es im § 1 Abs. 1 den Begriff der Verstaatlichung in einem engeren Sinne verwendet und darunter nur die Übertragung des Eigentums an den Staat selbst, also nicht auch an sonstige öffentlichrechtliche Gebietskörperschaften, versteht. Dieser Verstaatlichung im engeren Sinne können daher auch Betriebe unterliegen, die bereits im Eigentum einer Gemeinde oder einer sonstigen öffentlichrechtlichen Gebietskörperschaft mit Ausnahme des Staates stehen.

Die Errichtung und Führung von Stromverteilungsbetrieben und Stromverteilungsanlagen gehört nicht zu jenen Aufgaben, die den Gemeinden im Rahmen der obrigkeitlichen Verwaltung zufallen ( Art. 115 ff. B-VG) , sondern ist eine rein privatwirtschaftliche Tätigkeit, die im {Bundes-Verfassungsgesetz Art 118, Art. 118 B-VG} nur erwähnt wird, um die Rechtspersönlichkeit der Gemeinden und ihre Betätigung als selbständige Wirtschaftskörper nach allen Richtungen klarzustellen.

Aus den Art. 115 ff. B-VG lassen sich dermalen Rechtsansprüche der Gemeinden überhaupt nicht ableiten, weil diese Bestimmungen wohl Grundsätze enthalten, nach denen die allgemeine staatliche Verwaltung in den Ländern in der Zukunft auf der Grundlage der Selbstverwaltung eingerichtet werden soll, diese Grundsätze jedoch, abgesehen von den Abs. 2 und 3 des Art. 119, vor Erlassung der im {Bundes-Verfassungsgesetz Art 120, Art. 120 Abs. 1 B-VG} angekündigten Bundesverfassungsgesetze und Landesausführungsgesetze nicht unmittelbar wirksam sind, sondern bloß programmatische Bedeutung haben. Das Recht der Gemeinden auf Selbstverwaltung ist daher nach den Bestimmungen der Bundesverfassung noch nicht so konkret gestaltet, daß zu seinem Schutz der {Bundes-Verfassungsgesetz Art 144, Art. 144 B-VG} angerufen werden könnte.

{Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch § 365, § 365 ABGB} ist im allgemeinen nicht Bestandteil der Bundesverfassung geworden. Allein der Begriff der Enteignung selbst enthält die Forderung, daß eine Entziehung des Eigentums nur dann erfolgen darf, wenn das öffentliche Wohl sie erfordert. Nur so läßt sich die Entziehung des Eigentums mit dem dem einzelnen gewährten Eigentumsschutz der Verfassung in Einklang bringen. Daraus folgt aber, daß ein Gesetz mit der Verfassung in Widerspruch geraten würde, wenn es eine Entziehung oder Schmälerung des Eigentums zu einem Zwecke zulassen würde, der nicht dem öffentlichen Wohle, sondern nur dem Interesse eines einzelnen oder einer Personengruppe entspricht.

Die Prüfung und Beurteilung der Frage aber, ob eine Enteignung dem öffentlichen Wohle dient und daher verfassungsmäßig zulässig ist oder nicht, obliegt im Rahmen ihrer verfassungsgesetzlich festgelegten Zuständigkeiten den Gesetzgebern des Bundes oder der Länder unter der nachprüfenden Kontrolle des VfGH.

Das Wohl der staatlichen Gesamtheit geht als das höhere dem Wohl der Gemeinde vor, so daß seine Forderung gegenüber den Bedürfnissen der Gemeinde als das "allgemeine Beste" i. S. des {Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch § 365, § 365 ABGB} angesehen werden muß.

Von einer entschädigungslosen Enteignung kann nicht die Rede sein, wenn das Gesetz ausdrücklich den Anspruch der Enteigneten auf angemessene Entschädigung dem Grunde nach anerkennt und nur hinsichtlich der näheren Vorschriften auf ein noch zu erlassendes Bundesgesetz verweist, also bloß die Fälligkeit des Anspruches hinausgeschoben, dieser selbst aber unzweifelhaft zuerkannt ist.

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