JudikaturVfGH

K3/48 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechtssatz

Rechtssatz
17. Juni 1948

Im Falle eines negativen Kompetenzkonfliktes zwischen einem Gericht und einer Verwaltungsbehörde in einer Strafsache darf der Begriff der Partei i. S. des § 46 VerfGG nicht zu enge aufgefaßt werden, weil sonst negative Kompetenzkonflikte zwischen Gericht und Verwaltungsbehörde in Strafsachen überhaupt nicht behoben werden könnten. Der Beschuldigte ist nicht die Partei, die das Verfahren veranlaßt hat, und wird in aller Regel der Fälle kein Interesse daran haben, einen negativen Kompetenzkonflikt zwischen Gericht und Verwaltungsbehörde zur Entscheidung zu bringen. Spricht man der Staatsanwaltschaft die Parteistellung i. S. des {Verfassungsgerichtshofgesetz § 46, § 46 VerfGG} ab, dann könnte die begangene strafbare Handlung überhaupt nicht der Ahndung zugeführt werden. Es ist zu erwägen, daß der Strafanspruch materiell nicht einer bestimmten Behörde, sondern dem Staate selbst zusteht, der ihn formell im gerichtlichen Strafverfahren vermöge des dort herrschen Anklagegrundsatzes ({Bundes-Verfassungsgesetz Art 90, Art. 90 Abs. 2 B-VG} und {Strafprozeßordnung 1975 § 2, § 2 Abs. 1 StPO}) durch die Staatsanwaltschaft, im Verwaltungsstrafverfahren aber durch die zur Entscheidung berufene Behörde selbst geltend macht. Diese Verschiedenheit in der Repräsentation des Staates durch seine Organe ergibt sich aus positiven Normen, die der Gliederung der gesamten Rechtsordnung und des Behördenorganismus Rechnung tragen, sie ändert aber nichts an der Einheit des Staates sowie daran, daß der Strafanspruch bei allen Offizialdelikten nur dem Staate zusteht.

In diesem Sinne ist also der Staat im Strafverfahren Partei, gleichgültig, ob das Gericht oder die Verwaltungsbehörde zur Entscheidung zuständig ist. Die im {Verfassungsgerichtshofgesetz § 46, § 46 VerfGG} geforderte Identität der Partei kann aber bei dieser Auffassung nicht geleugnet werden und es steht aus diesem Grunde dem Antrage der Staatsanwaltschaft, deren Parteistellung übrigens in der Überschrift zu {Strafprozeßordnung 1975 § 255, § 255 StPO} ausdrücklich anerkannt wird, ein formelles Hindernis nicht im Wege.

Aus der Aufhebung einer vor dem Wirksamwerden des B-VG zu Recht bestandenen, jedoch dem {Bundes-Verfassungsgesetz Art 18, Art. 18 Abs. 2 B-VG} widersprechenden formalgesetzlichen Delegation läßt sich nicht die Aufhebung der auf Grund dieser Ermächtigung ergangenen Verordnungen ableiten; durch die Aufhebung der formalgesetzlichen Delegation ändert sich nichts daran, daß die Verordnung gesetzmäßig zustande gekommen ist.

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