JudikaturVfGH

G1/32 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechtssatz

Rechtssatz
04. Juni 1932

§ 7 und § 25 Abs. 1 letzter Satz des Wehrgesetzes, BGBl. Nr. 361, vom Jahre 1925, werden als verfassungswidrig aufgehoben. Die Verordnung des BM für Heereswesen vom 26. April 1923, BGBl. Nr. 240, betreffend die Ständige Parlamentskommission für Heeresangelegenheiten (IV.

Durchführungsverordnung zum WehrG) wird ihrem ganzen Inhalte nach als gesetzwidrig aufgehoben. Die bezeichneten Bestimmungen des WehrG übertragen dem Nationalrat die Befugnis zur Wahl der Mitglieder und Ersatzmänner der Ständigen Parlamentskommission. Sie weisen dem Nationalrat damit eine Aufgabe zu, die in keiner der im B-VG festgelegten Befugnisse des Nationalrates ihre verfassungsgesetzliche Deckung findet. Eine solche neue Aufgabe durfte dem Nationalrat aber nach Ansicht des VfGH nur durch ein B-VG, nicht durch ein einfaches Bundesgesetz übertragen werden. Die diesbezüglichen Bestimmungen des WehrG setzen sich in Widerspruch zum B-VG. Sie übertragen die Kontrolle der Heeresverwaltung, obwohl gemäß Art. 52 B-VG der Nationalrat und der Bundesrat selbst die Geschäftsführung der Bundesregierung und ihrer Mitglieder zu überprüfen haben, der Ständigen Parlamentskommission. Sie bestellen somit ein vom Nationalrat verschiedenes, in dessen Organismus nicht einfügbares besonderes Kontrollorgan, das die Kontrolle vollkommen selbständig führt und daher zu {Bundes-Verfassungsgesetz Art 52, Art. 52 B-VG} in Widerspruch steht. Aber auch in Ansehung der Art der Kontrolle stehen die angefochtenen Bestimmungen des WehrG im Widerspruch zum B-VG. Sie geben der Ständigen Parlamentskommission die Befugnis, ununterbrochen und fortlaufend Einblick in die Führung der Heeresverwaltung zu nehmen.

Die Kontrollbefugnis ist dem Nationalrat und dem Bundesrat vorbehalten. Sie darf nicht durch ein einfaches Gesetz an ein anderes Organ übertragen werden. Auch diese beiden Vertretungskörper dürfen ihre Kontrolltätigkeit nur mit den Mitteln ausüben, die ihnen durch die Bundesverfassung eingeräumt sind. Eine ständige, ununterbrochen fortlaufende Einsichtnahme in die Verwaltungsgeschäfte steht nicht einmal dem Nationalrat zu. Das B-VG sieht - von der nachträglichen Einschau in die finanzielle Gebarung des Bundes bei Prüfung des Rechnungsabschlusses abgesehen - nur drei Formen vor, in denen sich der Nationalrat Einblick in die Führung der Verwaltung schaffen kann: 1. Anfragen an die Bundesregierung oder ihre einzelnen Mitglieder.

2. Einsetzen von Untersuchungsausschüssen. 3. Auf dem Gebiete der finanziellen Gebarung mittelbar: Erteilung eines Auftrages an den Rechnungshof als Hilfsorgan.

Die Regelung des Aufgabenkreises, die das B-VG für die höchsten Organe des Bundes getroffen hat, kann nur als eine erschöpfende Regelung gewertet werden und es können daher diesen höchsten Organen des Bundes neue Aufgaben, von den im B-VG selbst vorgesehenen Ausnahmefällen abgesehen, nur durch ein Bundesverfassungsgesetz übertragen werden. Auch jede Ergänzung von Bestimmungen des B-VG stellt sich als eine Änderung des B-VG dar, die nur unter den im {Bundes-Verfassungsgesetz Art 44, Art. 44 B-VG} vorgesehenen besonderen Voraussetzungen verfügt werden darf.

Die Befugnisse des Bundespräsidenten sind im B-VG erschöpfend aufgezählt und es können daher dem Bundespräsidenten neue Befugnisse durch einfaches Bundesgesetz nur im Rahmen der besonderen Ermächtigung des {Bundes-Verfassungsgesetz Art 65, Art. 65 Abs. 3 B-VG}, im übrigen nur durch ein B-VG übertragen werden.

Das B-VG regelt die Frage, welcher Kontrolle die Führung der Verwaltungsgeschäfte des Bundes unterliegt, in erschöpfender Weise.

Die Mitglieder der Bundesregierung unterliegen danach der verfassungsmäßigen Kontrolle des Nationalrates und des Bundesrates, wobei für die Handhabung der finanziellen Kontrolle als besonderes Hilfsorgan des Nationalrates der Rechnungshof fungiert. Die Verwaltung des Bundes unterliegt ferner in den verfassungsgesetzlich näher abgegrenzten Beziehungen der rechtlichen Kontrolle der beiden Gerichtshöfe des öffentlichen Rechtes, des VwGH und des VfGH. Einer anderen Kontrolle könnten die Mitglieder der Bundesregierung nur durch ein besonderes Bundesverfassungsgesetz unterworfen werden. Die vorbezeichneten, zur verfassungsmäßigen Kontrolle berufenen Organe können aber weiters die Ausübung ihrer Kontrollbefugnis keineswegs nach ihrem Ermessen einem anderen Organ übertragen oder zur Ausübung dieser Kontrolle Hilfsorgane bestellen, die im B-VG nicht vorgesehen sind. Auch zu einer solchen Übertragung der Kontrollbefugnisse oder zur Schaffung solcher Hilfsorgane bedürfte es eines B-VG.

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