JudikaturVfGH

B42/30 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechtssatz

Rechtssatz
20. März 1931

Die durch den Landeshauptmann an den Bürgermeister einer Stadt mit eigenem Statut weitergegebene Mitteilung des BM über die Entsendung eines Inspektionsorgans gemäß {Bundes-Verfassungsgesetz Art 15, Art. 15 Abs. 2 letzter Satz B-VG} ist ein Bescheid i. S. des {Bundes-Verfassungsgesetz Art 144, Art. 144 B-VG}.

Die Zuständigkeit der Länder zur Vollziehung in den Angelegenheiten der örtlichen Sicherheitspolizei und damit auch der selbständige Wirkungskreis der Gemeinde bezüglich dieser Angelegenheiten ist gemäß {Bundes-Verfassungsgesetz Art 15, Art. 15 Abs. 2 B-VG} i. d. F. von 1929 dadurch beschränkt, daß dem Bund die Befugnis eingeräumt ist, die Führung dieser Angelegenheiten durch die Gemeinde zu beaufsichtigen und wahrgenommene Mängel durch Weisungen an den Landeshauptmann i. S. des {Bundes-Verfassungsgesetz Art 103, Art. 103 B-VG} abzustellen.

Unter den Begriff der "Beaufsichtigung" i. S. des {Bundes-Verfassungsgesetz Art 15, Art. 15 Abs. 2 B-VG} fallen zweifellos auch Erhebungen über konkrete Vorfälle, die sich bei der Führung der Angelegenheiten der örtlichen Sicherheitspolizei in einer Gemeinde ereignet haben und die nach Vermutung des zuständigen BM Mängel aufweisen, auf deren Abstellung er durch Weisung an den Landeshauptmann hinzuwirken hätte.

Der letzte Satz des {Bundes-Verfassungsgesetz Art 15, Art. 15 Abs. 2 B-VG} schränkt das im ersten Satz dem Bund eingeräumte Recht nicht ein, sondern fügt diesem eine neue Befugnis hinzu, nämlich Inspektionsorgane in die Gemeinden zu entsenden, d. h. sich durch bloß für kurze Zeit entsendete, also nicht dauernd mit der Beaufsichtigung betraute Organe auch ohne bestimmten Anlaß davon zu überzeugen, wie die Angelegenheiten der örtlichen Sicherheitspolizei von der Gemeinde geführt werden. Durch die Entsendung von Inspektionsorganen wird das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht der Gemeinden auf Selbstverwaltung nicht verletzt.

Aus den Art. 115 ff. B-VG lassen sich dermalen Rechtsansprüche der Gemeinden überhaupt nicht ableiten, weil diese Bestimmungen wohl Grundsätze enthalten, nach denen die allgemeine staatliche Verwaltung in den Ländern in der Zukunft auf der Grundlage der Selbstverwaltung eingerichtet werden soll, diese Grundsätze jedoch, abgesehen von den Abs. 2 und 3 des Art. 119, vor Erlassung der im {Bundes-Verfassungsgesetz Art 120, Art. 120 Abs. 1 B-VG} angekündigten Bundesverfassungsgesetze und Landesausführungsgesetze nicht unmittelbar wirksam sind, sondern bloß programmatische Bedeutung haben.

Die Gemeinden haben ein verfassungsgesetzlich gewährleistetes Recht auf Selbstverwaltung in dem Umfang, in welchem die Selbstverwaltung den Gemeinden nach Art. V Reichsgemeindegesetz nach dem Stand vom 1. Oktober 1925, dem Tag des Inkrafttretens der Übergangsnovelle von 1925, eingeräumt war, also mit Berücksichtigung der bis dahin erfolgten Gesetzesänderungen auf diesem Gebiet und so weit, als nicht durch nachfolgende bundesverfassungsgesetzliche Bestimmungen dieses Selbstverwaltungsrecht eingeschränkt erscheint.

Nur aus § 8 Abs. 5 lit. f ÜG 1920 können die Ortsgemeinden heute ein verfassungsgesetzlich gewährleistetes Recht auf Selbstverwaltung ableiten.

Die örtliche Sicherheitspolizei gehört zum selbständigen Wirkungsbereich der Gemeinde. Die Gemeinde hat darauf ein verfassungsgesetzlich gewährleistetes Recht.

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