KI-1/28 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechtssatz
Eines der für die Interpretation der Verfassung maßgebenden Grundprinzipien ist der im Art. 2 Abs. 1 ausgesprochene Grundsatz: "Österreich ist ein Bundesstaat." Die Idee des Bundesstaates ist es, die den Geist unserer Verfassung bestimmt. Von ihr ist der Gesetzgeber ausgegangen, sie bildet die allgemeine Voraussetzung der von ihm gesetzten Normen, die ohne diese Voraussetzung nicht richtig verstanden werden können. Der Idee des Bundesstaates entspricht es, daß Gesetzgebung und Vollziehung zwischen Bund und Ländern geteilt werden und daß der Bund ebenso wie die Länder die ihnen übertragenen Funktionen durch ihre eigenen Organe besorgen. Der Bund durch Organe, die letztlich vom Bundesvolke oder von den von ihm berufenen Organen, die Länder durch Organe, die vom Volke des Landes und die von ihm berufenen Organe bestellt werden.
Mittelbare Bundesorgane sind Organe, die - kraft ihrer Bestellung - Landesorgane sind, die aber mit Rücksicht auf ihre Funktion, weil sie nämlich Angelegenheiten besorgen, die in die Zuständigkeit des Bundes fallen, den Charakter von Bundesorganen haben.
Während das B-VG den Terminus "mittelbare Bundesverwaltung" ausdrücklich gebraucht, ist ihr das Wort "mittelbare Landesverwaltung" völlig fremd. In diesem Punkte weist die Bundesverfassung keine Symmetrie auf. Es fehlt an Bestimmungen, die dem Institut der mittelbaren Bundesverwaltung ein analog ausgebautes Institut der mittelbaren Landesverwaltung an die Seite stellen. Daß ein solches Institut ausdrücklich statuiert sein müßte, wenn es positivrechtlich behauptet werden soll, versteht sich von selbst; und dies umsomehr, als es sich dabei um eine Einschränkung eines bundesstaatlichen Grundprinzips handeln würde, und dies in der Richtung verstärkter Zentralisation. Indes trifft die Bundesverfassung immerhin eine Bestimmung, durch die sie etwas dem Institut einer "mittelbaren Landesverwaltung" Ähnliches schafft. Es ist die Bestimmung des {Bundes-Verfassungsgesetz Art 97, Art. 97 Abs. 2 B-VG}. Hier wird die Landesgesetzgebung ermächtigt, in Angelegenheiten, die in die Vollziehung des Landes fallen, die Mitwirkung von Bundesorganen vorzusehen, d. h., bei der Vollziehung "eigenen" Bundesbehörden heranzuziehen. Eine solche Anordnung bedarf jedoch der Zustimmung der Bundesregierung. Das Organ, das kraft Bestellung Bundesorgan ist, wird dadurch kraft Funktion Landesorgan. Doch ist eine solche Maßnahme nur durch Landesgesetz möglich. Einen anderen Weg kennt die Bundesverfassung nicht.
Es muß als ausgeschlossen gelten, daß aus dem Titel des Art. 12 Abs. 1 Z 1 B-VG durch ein die Organisation der Verwaltung in den Ländern regelndes Bundesgrundsatzgesetz andere als Landesorgane mit Funktionen der Landesverwaltung betraut werden.