JudikaturVfGH

G11/93 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechtssatz

Rechtssatz
04. März 1994

Bei Lösung der Frage, welche Bestimmungen jeweils zu prüfen und aufzuheben sind, muß der Verfassungsgerichtshof in Gesetzesprüfungsverfahren, die er von Amts wegen einleitet, den Prüfungsumfang derart abgrenzen, daß einerseits nicht mehr aus dem Rechtsbestand ausgeschieden wird, als Voraussetzung für den Anlaßfall bildet, daß aber andererseits der verbleibende Normteil keine Veränderung seiner Bedeutung erfährt. Da beide Ziele gleichzeitig niemals vollständig erreicht werden können, ist in jedem Einzelfall abzuwägen, ob und inwieweit diesem oder jenem Ziel der Vorrang vor dem anderen gebührt.

Dies gilt auch für Gesetzesprüfungsverfahren, die auf Antrag eingeleitet werden, und bedeutet in Fortentwicklung der Judikatur, daß in solchen Fällen bereits der Antragsteller die gebotene Abwägung vornehmen muß.

Im konkreten Fall sah sich der unabhängige Verwaltungssenat vor die Frage gestellt, ob er den zweiten Satz des §5 Abs1 VStG oder die Tatbestandsnorm des §28 Abs1 Z1 lita AuslBG selbst anfechten sollte, um seinen verfassungsrechtlichen Bedenken (Verstoß gegen Art6 Abs2 EMRK) in den Anlaßverfahren zum Durchbruch zu verhelfen.

Die begehrte Aufhebung der für das gesamte Verwaltungsstrafrecht geltenden Vorschrift des §5 Abs1 zweiter Satz VStG (idF BGBl 52/1991) würde nicht bloß die Schuldvoraussetzungen eines einzelnen Straftatbestandes, nämlich des §28 Abs1 Z1 lita AuslBG, sondern aller Ungehorsamsdelikte überhaupt - und damit des Großteils aller Verwaltungsübertretungen, und zwar einschließlich der vom zitierten Vorbehalt zu Art5 EMRK erfaßten - tiefgreifend verändern. Der gewählte Anfechtungsweg müßte zu einer wesentlich einschneidenderen Veränderung der einfachgesetzlichen Rechtslage führen als die Anfechtung einer einzelnen Verwaltungsstrafnorm, nämlich nur des §28 Abs1 Z1 lita AuslBG.

Nur für §28 Abs1 Z1 lita AuslBG wären damit die Prozeßvoraussetzungen iSd Art140 Abs1 B-VG erfüllt.

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