KI-3/95 - B754/95 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechtssatz
Die Unzuständigkeit des Verfassungsgerichtshofes, über eine Säumnisbeschwerde zu entscheiden, ist offenkundig (siehe B v 14.06.95, B754/95).
Nach Art138 Abs1 litb B-VG iVm §46 Abs1 VfGG besteht ein verneinender Kompetenzkonflikt ua dann, wenn "in derselben Sache ... der Verwaltungsgerichtshof und der Verfassungsgerichtshof ... die Zuständigkeit abgelehnt haben", obwohl eines der beiden Gerichte zuständig gewesen wäre; mit anderen Worten: wenn sich einer der beiden Gerichtshöfe zu Unrecht aus dem Grund der Unzuständigkeit geweigert hat, über einen vom Einschreiter gestellten Antrag eine Entscheidung in der Sache zu treffen (vgl zB VfSlg 2429/1952, 4554/1963, 6046/1969, 13249/1992, 13409/1993; VfGH 14.12.94, KI-1/94; 30.06.95, KI-6/95 ua Zlen).
Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes zur Entscheidung über eine Säumnisbeschwerde hinsichtlich der Untätigkeit des UVS in einer Administrativbeschwerde wegen Verletzung der persönlichen Freiheit (Art5 EMRK, Art1 PersFrSchG 1988) und unmenschlicher und erniedrigender Behandlung (Art3 EMRK).
Der in Art133 Z1 B-VG zum Ausdruck kommende Vorrang der speziellen gegenüber der generellen Kompetenz hat - wie schon 1955 K.Ringhofer,
Der Verwaltungsgerichtshof, 148, aufgezeigt hat - für Säumnisbeschwerden keinen Anwendungsbereich.
Die einer Verwaltungsbehörde obliegende Sachentscheidung zu fällen ist nämlich niemals Aufgabe des Verfassungsgerichtshofes; die in Art133 Z1 B-VG ausgeschlossene Zuständigkeitskonkurrenz kann daher von vornherein nicht eintreten.
Es ist dem Verfassungsgesetzgeber des Jahres 1946, der die Säumnisbeschwerde im B-VG zu einem Zeitpunkt verankerte, in dem Art133 Z1 B-VG schon längst bestanden hatte und nur die Kompetenzen der beiden Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts in bezug auf Bescheidbeschwerden abgegrenzt haben konnte, nicht zusinnbar, dem Verwaltungsgerichtshof die Entscheidung über eine Angelegenheit vorenthalten zu haben, die zu entscheiden der Verfassungsgerichtshof gar nicht in die Lage kommt. Er hätte damit gerade im Bereich erhöhter Schutzbedürftigkeit eine durch nichts zu rechtfertigende Rechtsschutzlücke geschaffen.
Die auf die vorrangige Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofes abstellende Z1 des Art133 B-VG unterscheidet sich eben ihrem ganzen Inhalt nach wesentlich von den auf bestimmte Verwaltungsmaterien bezogenen Ausnahmen der (inzwischen allerdings aufgehobenen) Z2 - Disziplinarangelegenheiten - und der noch in Geltung stehenden Z3 - Patentwesen -, und auch von der zusammen mit der Regelung der Entscheidungspflicht (§73 AVG) zu lesenden Z4, dem normativen Ausdruck dessen, daß nach Einschätzung des Verfassungsgesetzgebers die Möglichkeit der Anrufung einer Kollegialbehörde mit richterlichem Einschlag eine verwaltungsgerichtliche Kontrolle an sich erübrigt.
Der Verwaltungsgerichtshof ist daher nach Art130 Abs1 litb B-VG zuständig, über Beschwerden wegen Verletzung der Entscheidungspflicht auch dann zu erkennen, wenn er dadurch genötigt sein sollte, anstelle der Verwaltungsbehörde ausschließlich über die Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte zu erkennen.