JudikaturVfGH

G96/99 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechtssatz

Rechtssatz
02. Dezember 1999

Zurückweisung der Individualanträge auf Aufhebung der Einkaufszentren-Verordnung, BGBl II 69/1998.

Die angefochtenen Bestimmungen statuieren kein absolutes Verbot bestimmter Betriebsanlagen, sondern machen die Genehmigung von Anlagen für Betriebe des Handels sowie von ausschließlich oder überwiegend für Handelsbetriebe vorgesehenen Gesamtanlagen im Sinne des §356e Abs1 GewO 1994 (Einkaufszentren) von mehreren Voraussetzungen abhängig. Ob diese vorliegen, muß im konkreten Genehmigungsverfahren beurteilt werden.

Daher können die angefochtenen Normen - für sich allein gesehen - die antragstellenden Gesellschaften nicht aktuell beeinträchtigen. Ein aktueller Eingriff in die Rechtssphäre der antragstellenden Gesellschaften wäre vielmehr erst dann anzunehmen, wenn über deren Anträge von der Gewerbebehörde bescheidmäßig entschieden wird. Gegen eine derartige Entscheidung steht den antragstellenden Gesellschaften die Möglichkeit offen, nach Ausschöpfung des Instanzenzuges Bedenken gegen die Normen vor den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechts vorzubringen.

Keine Verfassungswidrigkeit der Worte "keine Gefährdung der Nahversorgung der Bevölkerung mit Konsumgütern und Dienstleistungen im Einzugsbereich sowie" im §77 Abs5 Z2 sowie des Abs6 des §77 GewO 1994 idF BGBl I 63/1997.

Auch wenn man ein öffentliches Interesse an attraktiven Einkaufsmöglichkeiten in Ortszentren als gegeben ansieht und einen Zusammenhang zwischen der Errichtung von Einkaufszentren "auf der grünen Wiese" und einem unzureichenden Branchenmix in einem Einkaufsgebiet annimmt, rechtfertigen diese Annahmen jedoch nicht eine rigorose Zutrittsbeschränkung für neue Handelsbetriebe und Gesamtanlagen jeglicher Art, ohne Rücksicht darauf, ob sie geeignet sind, die Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen des täglichen Bedarfs und mit solchen, die kurzfristig nachgefragt werden, sicherzustellen.

Die in Prüfung gezogene Wortfolge in §77 Abs5 Z2 und Abs6 GewO 1994 sind jedoch einer verfassungskonformen Interpretation zugänglich.

Die Regelung erfaßt lediglich "täglich" oder kurzfristig nachgefragte Güter und Dienstleistungen, also die Nahversorgung im engeren Sinn und nicht auch jene des mittel- bis langfristigen Bedarfs. Die vom Verfassungsgerichtshof in seinem Prüfungsbeschluß geäußerten Bedenken gegen die Gewährung eines Konkurrenzschutzes für bestehende Unternehmen jedweder Art treffen daher nicht zu.

§77 Abs8 GewO 1994 idF BGBl I 63/1997 wird als verfassungswidrig aufgehoben.

Nur in sechs von neun Raumordnungsgesetzen der Länder - und zwar im NÖ, OÖ, Sbg, Stmk, Tir und Vbg Raumordnungsgesetz - ist die Widmungs- und Nutzungsart Kerngebiet enthalten. In den übrigen Ländern treffen die im Bericht des Wirtschaftsausschusses aufgezählten Kriterien zum Teil auf verschiedenste Widmungs- und Nutzungskategorien, wie zB nach der Wr BauO für das gesamte Wohngebiet und das gemischte Baugebiet zu, eine Auslegung, die zu unsachlichen Ergebnissen führt.

Da die Anknüpfung an die raumordnungsrechtliche Widmung zu keinem sinnvollen Ergebnis führt, hat sich die vorläufige Annahme des Verfassungsgerichtshofes, die Begriffe "Stadtkerngebiete" und "Ortskerngebiete" blieben weithin unklar, bestätigt.

Die Verordnung des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten über Kenngrößen und Beurteilungsmaßstäbe für die Genehmigung von Anlagen für Betriebe des Handels sowie von ausschließlich oder überwiegend für Handelsbetriebe vorgesehenen Gesamtanlagen (Einkaufszentren-Verordnung), BGBl II 69/1998, wird als gesetzwidrig aufgehoben.

Die Einkaufszentren-V hat - ausgehend von einem dem Art6 StGG widersprechenden Verständnis des §77 Abs5 Z2 und Abs6 GewO 1994 mit Ausnahme der in der Anlage 1 genannten Waren (Campingartikel, Kraftfahrzeuge, Kraftfahrzeugzubehör und Landmaschinen) auch Waren in den Anwendungsbereich der "EKZ-Regelung" einbezogen, die für die Nahversorgung der Bevölkerung keine Bedeutung haben und damit den allgemeinen Konkurrenzschutz für Güter und Dienstleistungen jedweder Art bewirkt. Sie verhindert weiters durch Festlegung einer niedrigen Abschöpfungsquote von 5 Prozent im Effekt die Neuerrichtung von Einkaufszentren für Güter und Dienstleistungen jedweder Art, und zwar auch von solchen Einkaufszentren, die keine negative Auswirkung auf die Nahversorgung der Bevölkerung haben. Sie bewirkt außerdem im Effekt einen Konkurrenzschutz für bestehende Einkaufszentren.

Für die Erlassung einer derart ausgestalteten Verordnung fehlte die gesetzliche Grundlage, weshalb die gesamte Einkaufszentren-V als gesetzwidrig aufzuheben war.

(Anlaßfall B2000/98, E v 15.03.00, Aufhebung des angefochtenen Bescheides; Quasianlaßfall B1579/99, E v 28.02.00).

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