JudikaturVfGH

B559/08 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechtssatz

Rechtssatz
02. Juli 2009

Ausführliche Auseinandersetzung mit der Judikatur des EGMR zu Art4 des 7. ZPEMRK, insbesondere auch Fall Zolotukhin vom 10.02.09 und Fall Oliveira vom 30.07.98. Abstellen auf Frage des Vorliegens identer Straftatbestände und nicht des tatsächlichen Verhaltens bei Auslegung des Begriffes "derselben strafbaren Handlung" sowie des Vorliegens "derselben wesentlichen Elemente" ("same-essential-elements"-Doktrin, siehe EGMR 19.10.06, Fall Asci); "(criminal) offence" in der EMRK als Ausgangspunkt und nicht "acts" bzw "causes" wie in anderen internationalen Übereinkommen; engere, auf die rechtliche Qualifikation der Tat Bezug nehmende Deutung.

Grundsätzliche Vereinbarkeit des bestehenden Systems des Nebeneinander von Strafrecht und Verwaltungsstrafrecht in Österreich mit der EMRK; kein vollständiger Umbau der österreichischen Staatsorganisation erforderlich.

Ziel der Wahl einer "harmonisierten" Auslegung des Art4 7. ZPEMRK durch den EGMR war die Beseitigung von Rechtsunsicherheit in Übereinstimmung mit dem Prinzip der Effektivität. Eindeutige Erkennbarkeit einer allfälligen Mehrfachverfolgung iSd Art18 B-VG und des Art7 EMRK geboten.

Wenn durch ein dem Bestimmtheitsgebot entsprechendes Gesetz, wie zB durch Vorschriften über das Kumulationsprinzip, und durch eine hiezu ergangene Rechtsprechung klargestellt ist, dass und inwieweit eine Verfolgung wegen unterschiedlicher strafbarer Handlungen bezogen auf denselben Sachverhalt stattfinden darf, ist zu prüfen, ob sich die in Betracht kommenden Straftatbestände in ihren wesentlichen Elementen unterscheiden.

Im österreichischen Verfassungsrecht Grundsatz der Trennung von Justiz und Verwaltung; Koordination von Verwaltungsstrafverfahren und gerichtlichem Strafverfahren in einem Verfahren bei eintätigem Zusammentreffen einer Verwaltungsübertretung und einer gerichtlich strafbaren Handlung nicht erlaubt.

Im vorliegenden Fall zweite Verfolgung und Bestrafung in Entsprechung des §22 und §30 VStG; Vorliegen ausreichender Judikatur von VfGH und VwGH zur Konkurrenz von gerichtlich strafbaren Handlungen einerseits und von Verwaltungsübertretungen nach der StVO andererseits, aus denen sich ergab, dass auch nach der strafgerichtlichen Verfolgung wegen fahrlässiger Körperverletzung durch Lenken eines Kraftfahrzeuges unter bestimmten Voraussetzungen eine Verfolgung sowohl nach dem StGB wegen der Körperverletzung als auch nach der StVO wegen Verstoßes gegen §5 Abs1 StVO iVm den jeweils einschlägigen Strafbestimmungen zu erfolgen hat.

Frage der Alkoholisierung bei Einstellung des Strafverfahrens (gem §227 Abs1 StPO) wegen fahrlässiger Körperverletzung nicht mehr relevant.

Da sohin der Beschwerdeführer wegen verschiedener Straftatbestände verfolgt bzw "verurteilt" wurde, die sich in ihren wesentlichen Elementen unterschieden, lag in der Verfolgung des Beschwerdeführers wegen fahrlässiger Körperverletzung und Verurteilung wegen Imstichlassens eines Verletzten und Unterdrückung eines Beweismittels einerseits und der Verfolgung und Bestrafung wegen Lenkens eines Fahrzeugs mit einem Alkoholgehalt der Atemluft zwischen 0,6 mg/l und 0,8 mg/l keine unzulässige Doppelverfolgung wegen derselben strafbaren Handlung vor.

Somit keine Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht gemäß Art4 Abs1 des 7. ZPEMRK, nicht wegen derselben strafbaren Handlung erneut vor Gericht gestellt zu werden.

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