SV1/10 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechtssatz
Zurückweisung des Antrags von FPÖ-Abgeordneten auf Aufhebung bzw Nichtigerklärung des EU-Reformvertrags von Lissabon sowie der Eventualanträge auf Aufhebung näher bezeichneter Bestimmungen des Vertrags über die Europäische Union (EUV) und des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV).
Vertrag von Lissabon als ein gem Art50 Abs1 Z2 iVm Abs4 B-VG idF BGBl I 2/2008 genehmigter Staatsvertrag, auf den Art140 B-VG anzuwenden ist.
Das Begehren der Aufhebung bzw Nichtigerklärung der angefochtenen Vorschriften schließt voraussetzungsgemäß den Vorwurf der Rechtswidrigkeit - hier: der Verfassungswidrigkeit - und damit das Begehren auf deren Feststellung in sich (vgl VfSlg 16628/2002).
Kein Drittelantrag von Nationalratsabgeordneten, sondern Antrag gem Art140 Abs1 letzter Satz B-VG (Individualantrag).
Keine Darlegung, inwiefern durch den Vertrag von Lissabon bzw dessen einzelne Bestimmungen in die nach dem Vorbringen der Antragsteller bestehende Rechtssphäre unmittelbar eingegriffen wird; aus dem Bundesverfassungsrecht ist zwar ein Recht auf Teilnahme an einer angeordneten Volksabstimmung (hier: wegen Gesamtänderung der Bundesverfassung), nicht aber ein Recht auf Durchführung einer solchen abzuleiten (vgl VfSlg 17588/2005).
Rechtsvorschriften, die bloß die Ausübung staatlicher Funktionen zum Gegenstand haben, berühren nicht die Rechtssphäre der diese Funktion ausübenden Organwalter (siehe Vorjudikatur). Die den Abgeordneten zum Nationalrat durch verschiedene Bestimmungen des Bundesverfassungsrechts eingeräumte geschützte Rechtsstellung (passives Wahlrecht nach Art26 B-VG, Grundsatz des freien Mandats nach Art56 Abs1 B-VG, Immunität nach Art57 B-VG) vermittelt nicht die Wahrung der Zuständigkeit des Nationalrates zur Beschlussfassung in bestimmten gesetzlich zu regelnden Angelegenheiten durch den Nationalrat, sondern ein allgemeines Recht auf Teilnahme der Antragsteller an der Gesetzgebung (des Bundes). Nur insoweit kommt eine Berührung der Rechtssphäre von Abgeordneten zum Nationalrat in Betracht. Ein Eingriff in diese Rechtssphäre wird von den Antragstellern allerdings nicht behauptet.
Hinsichtlich der begehrten Aufhebung der "Art I 33 (1) und Abs1 und Abs2, sowie Art36 EVV" ergibt sich aus dem Antragsvorbringen nicht, welche Norm unter der Abkürzung "EVV" zu verstehen ist; der Vertrag über eine Verfassung für Europa kann nicht Gegenstand einer Anfechtung iSd Art140a B-VG sein, weil er nie kundgemacht wurde.