G18/11 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechtssatz
Zulässigkeit des Individualantrags verschiedener Kreditinstitute auf Aufhebung des §93 Abs2 Z2 und §95 Abs2 Z2 EStG 1988 idF des BudgetbegleitG 2011 (BBG 2011), BGBl I 111/2010.
Im Übrigen Zurückweisung des Antrags.
Aktuelle Betroffenheit von Kreditinstituten bereits vor dem Zeitpunkt der formellen Anwendbarkeit der Regelung (vgl VfSlg 15773/2000 zur Spekulationsertragsteuer - SpESt). Auch mit der Kapitalertragsteuer(KESt)-neu Auferlegung besonderer Pflichten, deren Erfüllung von den Kreditinstituten zur Vermeidung persönlicher Haftungen und/oder finanzstrafrechtlicher Konsequenzen umfangreiche und finanziell ins Gewicht fallende, eine erhebliche Vorlaufzeit in Anspruch nehmende Vorbereitungen verlangt.
Bedenken durch Aufhebung der das In-Kraft-Treten regelnden Vorschrift des §124b Z185 lita EStG nicht beseitigt; bekämpfte Bestimmungen träten dann nicht erst am 01.10.11 sondern ohne Legisvakanz in Kraft.
Aufhebung allein der die persönliche Abzugspflicht bei der KESt-neu regelnden Bestimmung des §95 Abs2 Z2 EStG nicht ausreichend. Bei zusätzlicher Beseitigung des §93 Abs1 leg cit hingegen Beseitigung der KESt-Pflicht für alle Einkünfte aus Kapitalvermögen.
Unzulässigkeit der Eventualanträge betr §27 Abs6 Z1 lita, §27a Abs4 Z2, §93 Abs1, §95 Abs1 und §124b Z185 und Z186 EStG, §40 Abs2 Z4 InvestmentfondsG 1993 und §40 Abs2 Z3 Immobilien-InvestmentfondsG; keine aktuelle rechtliche Betroffenheit der antragstellenden Kreditinstitute; aktuelle Betroffenheit erst bei Ermittlung und Abfuhr der KESt; allenfalls wirtschaftlich nachteilige Konsequenzen in Form eines erhöhten Programmieraufwandes bei nachträglicher Klärung der Rechtslage.
Kein Eingriff in die Rechtssphäre der Kreditinstitute (allenfalls in jene der Depotinhaber) durch §27 Abs6 Z1 lita dritter Teilstrich EStG (betr die Übertragung auf ein Depot bei einer ausländischen depotführenden Stelle; Verstoß gegen das Bankgeheimnis behauptet).
Aufhebung des §93 Abs2 Z2 und des §95 Abs2 Z2 EStG 1988 idF des BBG 2011, BGBl I 111/2010.
Keine konkreten Bedenken der antragstellenden Kreditinstitute im Hinblick auf die verfassungsrechtlichen Anforderungen an haftungsbewehrte Abzugssteuern. Rückforderung gem §240 Abs1 BAO zulässig. Im Übrigen Möglichkeit der Korrektur überhöht abgeführter Beträge für den Abgabepflichtigen iSd §240 Abs3 leg cit oder im Weg der Veranlagung (Steuersatz von 25%).
Es gehört zum steuerrechtlichen Alltag, dass sich im Zusammenhang mit der Einführung neuer Regelungen Zweifelsfragen ergeben, die entweder durch Klarstellungen im Gesetzesrang, durch Verordnungen oder auch im Erlassweg beantwortet werden. Durch Entwicklungen der Rechtslage, der Judikatur und der Praxis oft auch rasche Anpassung der EDV-Systeme erforderlich.
Der VfGH geht jedoch im Hinblick auf das von der Bundesregierung beigelegte Gutachten und unter Bedachtnahme auf das Vorbringen der antragstellenden Kreditinstitute davon aus, dass die für die ordnungsgemäße Erfüllung der Abzugspflicht erforderlichen Vorkehrungen bis zum 01.10.11 von den antragstellenden Kreditinstituten nicht getroffen werden können und eine Fristverlängerung aus verfassungsrechtlichen Gründen erforderlich ist. Legisvakanz von neun Monaten zu kurz bemessen.
Keine Bedenken gegen die ab 01.01.11 wahrzunehmende Verpflichtung zur Evidenthaltung der Anschaffungskosten von Wertpapieren. Einfügung einer Regelung in §124b Z185 lita EStG 1988 zur Entlastung der Abzugspflichtigen mit dem BBG 2011.
Keine Beurteilung der Bedenken gegen Regelungen, welche die antragstellenden Kreditinstitute frühestens im Zeitpunkt der Vornahme eines konkreten Steuerabzugs anzuwenden haben. Es ist weder die Funktion eines Individualantrages auf Normenkontrolle noch überhaupt die Aufgabe des VfGH, die mit einer Rechtsänderung einhergehenden Auslegungs- und Zweifelsfragen noch vor ihrem In-Kraft-Treten verbindlich zu beantworten.
Keine Bedenken gegen die Einbeziehung von Wertsteigerungen bei Kapitalanlagen, die ebenso wie die Früchte des Kapitals eine Leistungsfähigkeit repräsentieren, in die Einkommensteuerpflicht. Einbeziehung von Kursgewinnen in die Einkommensteuerpflicht jedenfalls unabhängig davon zulässig, ob weitere Maßnahmen auf dem Gebiet der Besteuerung von Vermögen getroffen werden.
Kein allgemeines verfassungsrechtliches "Effizienzgebot für Abgaben". Eine aus legitimen rechtspolitischen Gründen erhobene Abgabe wird nicht deswegen verfassungswidrig, weil ihr Ertrag im Verhältnis zum Erhebungsaufwand gering ist.
Keine Verfassungswidrigkeit durch zusätzliche Erhebungskosten, die den abfuhrverpflichteten Kreditinstituten vom Steuergläubiger nicht ersetzt werden.
Besondere Art der Steuererhebung im Sinne des Bankgeheimnisses, Beibehaltung im Interesse von Kunden und Banken. Geschätzte Kosten nicht in einem rechtlich problematischen Missverhältnis zum Ertrag aus Depotgebühren und Transaktionsspesen; (teilweise) Überwälzung der Kosten auf Kunden (Steuerschuldner) nicht ausgeschlossen.
Bestimmung einer Frist für das Außer-Kraft-Treten der aufgehobenen Gesetzesstellen (30.09.11), um dem Gesetzgeber die Möglichkeit zu geben, die Legisvakanz noch vor Wirksamwerden der Aufhebung zu verlängern; Verlängerung in Aussicht genommen im Rahmen des AbgÄG 2011, RV 1212 BlgNR 24. GP, wonach (unter anderem) §93 und §95 EStG 1988 idF des BBG 2011, BGBl I 111/2010, (erst) mit 01.04.12 in Kraft treten sollen. Erneute Erlassung der aufgehobenen Bestimmungen im Fall der Gesetzwerdung des §124b Z185 EStG 1988 idF der RV zum AbgÄG 2011 im Hinblick auf die dort gewählte Verweisungstechnik nicht erforderlich.
Kostenzuspruch an die antragstellenden Gesellschaften gem §65a VfGG; zugesprochene Kosten enthalten Streitgenossenzuschlag im Umfang von 50 vH des Pauschalsatzes, Umsatzsteuer sowie eine Eingabengebühr.