B254/11 - B741/11 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechtssatz
Zulässigkeit der Beschwerde gegen die Stattgabe des Wiedereinsetzungsantrags der mitbeteiligten Partei (einer Umweltorganisation) wegen Versäumung der Berufungsfrist; keine Zulässigkeit einer Berufung an den Umweltsenat; kein Vorrang des Unionsrechts.
Der belangten Behörde ist insofern ein verfassungsrechtlich relevanter Vollzugsfehler anzulasten, als diese unter Berufung auf das Recht der Europäischen Union die in §40 Abs1 UVP-G 2000 und §5 des BG über den Umweltsenat vorgesehene Beschränkung der Zuständigkeit des Umweltsenates auf Angelegenheiten des ersten und zweiten Abschnitts des UVP-G 2000 nicht anwendet, dementsprechend das Bestehen eines Instanzenzugs an den Umweltsenat annimmt und infolgedessen die Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsfrist ausspricht.
Keine "erweiterte" Bindungswirkung eines Zurückweisungsbeschlusses des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH) iSd §63 Abs1 VwGG mangels eines stattgebenden Erkenntnisses. Bindungswirkung nur hinsichtlich der Unzuständigkeit des VwGH, nicht auch hinsichtlich der Zuständigkeit einer anderen Behörde.
§41 Abs1 und §42 Abs2 Z3 VwGG ermöglichen es dem VwGH, in einer mit dem gerichtlichen Verfahren vergleichbaren und wirksamen Weise ausreichende Tatsachengrundlagen zu erarbeiten, um die maßgebliche Rechtsfrage beurteilen zu können, indem er sich nach seiner eigenen Rechtsprechung zu einer - wenngleich beschränkten - Kontrolle der Beweiswürdigung, im Regelfall aber nicht zu eigenen Beweisaufnahmen befugt sieht.
Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Schaffung von Rechtsbehelfen für einen wirksamen Rechtsschutz iSd Art19 EUV. Effektiver Rechtsschutz als allgemeiner Grundsatz des Unionsrechtes, der auch in Art6 und Art13 EMRK verankert ist. Bekräftigung durch Art47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (Grundrechtecharta); dort keine Beschränkung des Schutzbereiches auf civil rights, Art6 EMRK jedoch für die Auslegung des Gerichtsbegriffes bestimmend.
Der VwGH erfüllt bei verfassungs- und konventionskonformer Wahrnehmung seiner gesetzlichen Befugnisse zur Sachverhaltskontrolle im Allgemeinen und im Besonderen auch in Verfahren wie jenem, das dem angefochtenen Bescheid zugrunde liegt, die Anforderungen an ein Gericht iSd Art6 EMRK.
VwGH daher auch für die korrespondierende grundrechtliche Garantie im Recht der Union als Gericht mit hinreichender Kontrollbefugnis in Tatsachenfragen anzusehen (vgl die Rechtsprechung des EuGH, zB EuGH 22.05.03, Rs C-462/99, Connect Austria, Slg 2003 I-05197, Rz 39 ff). Sogar Verpflichtung des VwGH mangels Zuständigkeit anderer gerichtlicher Instanzen eine allfällige Beschränkung seiner Zuständigkeit durch Art133 B-VG kraft Unionsrechts unangewendet zu lassen.
Der VwGH ist sohin ein Gericht iSd Art47 der Grundrechtecharta. Zur Erfüllung des Gebots wirksamen Rechtsschutzes ist daher keine Vorschrift des Unionsrechts unmittelbar anzuwenden, welche die Zuständigkeit einer unabhängigen Verwaltungsbehörde herbeiführen und jene des VwGH zur Entscheidung über die Beschwerde gegen den Genehmigungsbescheid der belangten Behörde im Umweltverträglichkeitsprüfungsverfahren beseitigen würde.
Der Wiedereinsetzungsantrag wäre daher zurückzuweisen gewesen.
Auch deshalb kein Vorrang des Art10a Abs3 Satz 1 der Richtlinie 85/337/EWG idF der Richtlinie 2003/35/EG gegenüber innerstaatlichem Recht, weil diese Bestimmung nicht inhaltlich unbedingt und hinreichend genau ist, um die Voraussetzungen für die unmittelbare Anwendbarkeit zu erfüllen (vgl EuGH 12.05.11, Rs C-115/09, Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland, Rz 55 und 56).
Mehrfacher Widerspruch einer Annahme der Zuständigkeit des Umweltsenates zur Bundesverfassung: Widerspruch zu Art19 B-VG hins der Obersten Organe, Schaffung einer Form der im B-VG nicht vorgesehenen mittelbaren Bundesverwaltung, Widerspruch zum erhöhten Bestimmtheitsgebot für Zuständigkeitsregelungen.
Ein Vorrang von Unionsrecht vor österreichischem Verfassungsrecht kommt mit Blick auf den Grundsatz der doppelten Bedingtheit von das Unionsrecht umsetzenden Rechtsvorschriften erst dann in Betracht, wenn eine unionsrechtskonforme Rechtslage nicht durch die Nichtanwendung von einfachgesetzlichen Rechtsvorschriften herbeigeführt werden kann, ohne dass es gleichzeitig der Annahme eines Vorrangs des Unionsrechts gegenüber Verfassungsrecht bedarf.
She auch B741/11 und B742/11, beide E v 19.09.11, betr das Vorhaben ÖBB-Strecke Schwarzach/St Veit - Villach
Hbf, Steinbach - Angertal.
Weiters B823/11 und B824/11, beide E v 25.10.11, betr das Vorhaben Ausbau der ÖBB-Strecke Pottendorfer Linie und Wien Zvbf - Felixdorf, Trassenverschwenkung Aspangbahn.