G17/11 ua – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechtssatz
Zurückweisung des Anträge des UVS Steiermark auf Aufhebung des §76a Abs2 und der Wortfolge "sich auf öffentlichem Grund befinden oder" in §76a Abs1 GewO 1994 idF BGBl I 66/2010.
Antrag auf Aufhebung des §76a Abs2 GewO überschießend, da es für die Beseitigung der behaupteten Verfassungswidrigkeit ausreicht, die in §76a Abs2 GewO verwiesene, im Eventualantrag angefochtene Wortfolge des §76a Abs1 Z4 zweiter Halbsatz GewO aufzuheben.
Selbst bei Beseitigung der Wortfolge "sich auf öffentlichem Grund befinden oder" in §76a Abs1 GewO weiterhin mögliche Anwendung des §76a Abs1 GewO auf den konkreten Gastgarten im Hinblick auf die Wortfolge "an öffentliche Verkehrsflächen angrenzen"; insoweit Antrag zu eng gefasst.
Zulässigkeit der Eventualanträge.
Aufhebung der Wortfolge "eine Gesundheitsgefährdung oder unzumutbare Belästigung durch Lärm ist jedenfalls nicht zu erwarten, wenn die im Einleitungssatz und in Z1 bis Z3 genannten Voraussetzungen erfüllt sind;" in §76a Abs1 Z4 GewO 1994 idF BGBl I 66/2010 wegen Verstoßes gegen den Gleichheitsgrundsatz.
Berücksichtigung der als Umschreibung einer Staatsaufgabe zu verstehenden Inhalte des BVG Umweltschutz bei Beurteilung gesetzlicher Regelungen am Maßstab des Gleichheitsgrundsatzes geboten; auch Vermeidung von Störungen durch Lärm enthalten.
Von der - verfassungsrechtlich gebotenen, vgl VfSlg 14551/1996 - Genehmigungspflicht nach §74 ff GewO sind Gastgärten nach der geltenden Rechtslage ausgenommen. Das Erfordernis der Einhaltung zusätzlicher Kriterien vermag an der Tatsache, dass eine Beurteilung der Wahrung der in §74 Abs2 GewO genannten Schutzinteressen vor Aufnahme des Gastgartenbetriebs nicht erfolgt, nichts zu ändern; insbesondere sind die Voraussetzungen nicht dafür maßgeblich, ob der Gastgartenbetrieb geführt wird; sie berühren lediglich die Gestaltung des Gastgartenbetriebs.
Durch das - einer Prüfung der Auswirkungen von Lärm im Einzelfall entzogene - System der Anzeigepflicht des Gastgewerbetreibenden kommt es nicht nur in Härtefällen, sondern in einer nicht zu vernachlässigenden Anzahl an Fällen, wenn nicht sogar - zumindest in Wohngebieten - im Regelfall, zur Beeinträchtigung der Schutzinteressen der Nachbarn.
Erforderlichkeit des Abstellens auf die tatsächlichen örtlichen Gegebenheiten bei der schalltechnischen und lärmmedizinischen Beurteilung; Abstand zwischen der Lärmquelle zum nächsten Anrainer, Verbauungsdichte, Bestehen bzw Beschaffenheit von Reflektionsflächen, tatsächlicher Umgebungslärm zu berücksichtigen.
Begrenzung der spezifischen Immissionen allein durch eine Begrenzung auf 75 Verabreichungsplätze und ein bestimmtes, durch Hinweistafeln angezeigtes und durch den Gastgewerbetreibenden durchzusetzendes Verhalten an der Lärmquelle nicht zu erwarten.
Sicherstellung der Einhaltung sämtlicher Kriterien des §74 Abs2 GewO durch eine Prognoseentscheidung nicht möglich.
Keine Rechtfertigung der Regelung durch - im Vergleich zu §112 Abs3 GewO idaF - nunmehr vorgesehene weitere Voraussetzungen (hinsichtlich der Dimensionierung, Situierung und Betriebszeit) für die Inanspruchnahme der Genehmigungsfreistellung, da diese Bedingungen Gesundheitsgefährdungen und unzumutbare Belästigungen iSd §74 Abs2 Z1 und Z2 GewO in einer erheblichen Zahl von Fällen nicht auszuschließen vermögen.
Kein angemessener Ausgleich zwischen den verfassungsrechtlich geschützten Interessen des durch die Lärmerregung durch Gastgärten beeinträchtigten Personenkreises und der Erwerbsfreiheit der Gastgewerbetreibenden sowie den allgemeinen Interessen der Bevölkerung am Betrieb von Gastgärten.
Keine Rechtfertigung der Genehmigungsfreistellung durch die Möglichkeit der nachträglichen Auflagenerteilung nach §76a Abs8 iVm §79, §79a GewO (Gefahr länger andauernder gesundheitsgefährdender Betriebszustände während eines laufenden Ermittlungsverfahrens) oder "flankierende Regelungen" (Untersagung des Betriebs innerhalb von drei Monaten nach Anzeige, Schließung des Gastgarten, Entziehung der Gewerbeberechtigung); Möglichkeit der Geltendmachung von Schutzinteressen ex post nicht gleich einer ex-ante-Beurteilung im Bewilligungsverfahren
(VfSlg 16103/2001).
Keine Vergleichbarkeit des Anzeigeverfahrens nach §76a GewO mit dem - als verfassungsrechtlich zulässig erachteten - vereinfachten Betriebsanlagengenehmigungsverfahren nach §359b GewO.
Verfassungskonforme Interpretation nicht möglich. Sowohl der Wortlaut als auch der erkennbare Zweck der Regelung lassen keinen Zweifel offen, dass anstelle der mit einer auf die Betriebszeit eingeschränkten "ausübungsrechtlichen Garantie" verbundenen Genehmigungspflicht nunmehr ein bloßes Anzeigeverfahren angeordnet wird und der Betrieb von Gastgärten zwischen 8 und 23 Uhr bzw 9 und 22 Uhr ohne Genehmigung ermöglicht werden soll.