B1003/11 ua – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechtssatz
Keine Anwendbarkeit des Günstigkeitsprinzips des §1 Abs2 VStG im vorliegenden Fall mangels Präjudizialität dieser Bestimmung.
Das Auslaufen der Übergangsfrist für die Beschränkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit für die am 01.05.04 beigetretenen Mitgliedstaaten und die infolgedessen erfolgte Änderung der Übergangsbestimmungen des AuslBG durch BGBl I 25/2011, durch welche Staatsbürger dieser Mitgliedstaaten nicht mehr unter das Regime des AuslBG fallen, führte nicht zum Wegfall des Unwerturteils über das zur Zeit seiner Begehung strafbare Verhalten. Die Beschäftigung von Ausländern ohne entsprechende Bewilligung nach dem AuslBG ist weiterhin strafbar und mit der gleichen Strafsanktion bedroht, auch wenn das AuslBG seit einem bestimmten, nach dem strafbaren Verhalten liegenden Zeitpunkt die im konkreten Fall beschäftigten ungarischen Staatsbürgerinnen (hier: Prostituierte in einem Tanzlokal) nicht mehr umfasst und das gleiche strafbare Verhalten in Zukunft nicht mehr gesetzt werden kann.
Keine Verletzung des Art7 EMRK (Verbot der rückwirkenden Anwendung strengerer Strafbestimmungen iSd neueren Rechtsprechung des EGMR) angesichts des Wegfalls der Strafbarkeit der Beschäftigung ungarischer Staatsangehöriger mit 01.05.11.
Art7 EMRK gebietet zwar, bei Änderung der Rechtslage nach der Begehung der Straftat die für den Beschuldigten mildere Strafe zu verhängen. Es ist jedoch auch mit Blick auf Art49 Abs1 EU-Grundrechte-Charta nicht geboten, von der Verhängung einer Strafe im Fall eines Verstoßes gegen eine konkrete Verhaltenspflicht, der zur Zeit seiner Begehung strafbar war, dessen Strafbarkeit nach Begehung der Tat, aber noch vor der Verhängung der Strafe weggefallen ist, abzusehen (bei anderer Auslegung Beseitigung der Sanktionsbewehrung eines Gebots bereits vor Außerkrafttreten der Norm, rechtstreuer Normadressat wäre dann schlechter gestellt).
Keine Verletzung im Eigentumsrecht; Anwendungsvorrang des EU-Rechts auch vom VfGH zu beachten, jedoch Beurteilung der Vereinbarkeit eines innerstaatlichen Gesetzes mit Unionsrecht nur in offenkundigen Fällen, die keinerlei Raum für vernünftige Zweifel mehr lassen.
Grundsätzlich steht der Verhängung einer Verwaltungsstrafe nach §28 Abs1 Z1 lita AuslBG wegen bewilligungsloser Beschäftigung ungarischer Staatsbürgerinnen die Grundfreiheit der Arbeitnehmerfreizügigkeit nach Art45 AEUV entgegen, welche seit der Arbeitsmarktöffnung am 01.05.11 uneingeschränkt auch für ungarische Staatsangehörige gilt. Straftatbestand des §28 Abs1 Z1 lita AuslBG im vorliegenden Fall bereits vor der Arbeitsmarktöffnung erfüllt (siehe die zulässigen Maßnahmen zur Regelung des Zugangs ungarischer Staatsbürger zum innerstaatlichen Arbeitsmarkt nach dem Übergangsregime zum Kapitel Freizügigkeit im Beitrittsvertrag). Es kann daher nicht ohne vernünftigen Zweifel angenommen werden, dass die Verhängung einer Verwaltungsstrafe für ein strafbares Verhalten, das vor der Arbeitsmarktöffnung gesetzt wurde, auf der Grundlage der damals geltenden Übergangsbestimmungen nicht mit dem Unionsrecht vereinbar ist. Kein - eine denkunmögliche Gesetzesanwendung indizierender - offenkundiger Widerspruch des §28 Abs1 Z1 lita AuslBG zum Unionsrecht erkennbar.
Keine Verletzung im Recht auf persönliche Freiheit iSd Art5 EMRK und Art1 PersFrSchG 1988 (bzw Art3 Abs2 leg cit zur Zulässigkeit von Ersatzfreiheitsstrafen).