B970/09 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechtssatz
Kein Widerspruch zwischen der gesetzlichen Regelung des §351c Abs10 Z1 ASVG und der Ausführungsbestimmung des §25 Abs2 Z1 litb der Verfahrensordnung zur Herausgabe des Erstattungskodex nach §351g ASVG (VO-EKO)betreffend die Wirtschaftlichkeit und den Preis von Originalprodukt und Generikum. Kein Verordnungscharakter der Ökonomischen Beurteilungskriterien der Heilmittel-Evaluierungs-Kommission (beratendes Gremium des Hauptverbandes ohne Behördenfunktion).
Gestaffeltes Preissystem, das im Falle des Vorliegens eines Generikums zwingend eine Festlegung von dessen Preis 25,7 % unter dem zuvor um 30 % reduzierten Preis des Originals vorsieht und für weitere Generika genügend große Preisunterschiede zu den bereits vorhandenen vorschreibt. Das Verlangen einer neuerlichen Reduktion des Preises des Originals, sobald auf diese Weise durch ein Generikum eine dritte Preisreduktion erfolgt ist, wird ungeachtet der Verwendung des Wortes "kann" im Gesetzestext nicht in das freie Ermessen des Hauptverbandes gelegt; eine verfassungskonforme Deutung dieser Gesetzesstelle in ihrem Zusammenhang führt vielmehr zu dem Ergebnis, dass es bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen und vor dem Hintergrund des Gesetzeszwecks dem Hauptverband weder freisteht, manche Unternehmen im Gegensatz zu anderen von einer Forderung nach einer weiteren angemessenen Preisreduktion auszunehmen, noch im Falle der Ablehnung einer angemessenen Preisreduktion von einer Streichung aus dem Erstattungskodex abzusehen. Die Streichung der Arzneispezialität aus dem Erstattungskodex ist daher die zwingende Folge einer Nichteinigung zwischen dem Hauptverband und dem vertriebsberechtigten Unternehmen im Rahmen dieser gesetzlichen, durch die Verordnung noch näher präzisierten Vorgaben.
Verfassungskonforme Annahme der Gewährleistung der Wirtschaftlichkeit der im Erstattungskodex angeführten Arzneimittel nur bei Preissenkung im gesetzlich geforderten Ausmaß.
Das Vorgehen des Hauptverbandes und der belangten Behörde, sich an den Empfehlungen der Ökonomischen Beurteilungskriterien der Heilmittel-Evaluierungs-Kommission zu orientieren, entspricht den Vorgaben des §351g Abs2 ASVG, wonach die Kommission auch anzuhören ist, wenn der Hauptverband von sich aus eine Veränderung im Erstattungskodex beabsichtigt, wobei die Kommission gemäß §351g Abs2 Z1 ASVG unter anderem auch eine Empfehlung zur ökonomischen Bewertung einer Arzneispezialität abzugeben hat.
Keine Bedenken gegen das gegenüber dem zuständigen Bundesminister für Gesundheit in §351h Abs3 Z7 ASVG dem Hauptverband eingeräumte Recht auf Vorschlag eines Vertreters als Mitglied der Unabhängigen Heilmittelkommission, Unabhängige Heilmittelkommission als Kollegialbehörde mit richterlichem Einschlag iSd Art133 Z4 B-VG und Tribunal iSd Art6 EMRK (VfSlg 17686/2005, 17701/2005); Zulässigkeit der Vorschreibung der Mitwirkung von Interessenvertretern an der Entscheidung: Sicherstellung eines Interessenausgleichs durch Sachverstand und unterschiedliche Interessen der beteiligten Kreise (hier: Vertreter der krankenversicherten Beschäftigten und der pharmazeutischen Unternehmen, der Sozialversicherungsträger und des Hauptverbandes). Keine Zweifel an der Unabhängigkeit der Kommission, kein zu enges organisatorisches Naheverhältnis.
Keine Bedenken gegen die konkrete Zusammensetzung der belangten Behörde im vorliegenden Fall, Unabhängigkeit und Weisungsfreiheit der Mitglieder, keine besonderen, Zweifel an der Unabhängigkeit und Unvoreingenommenheit der Mitglieder weckenden Umstände.
Gemäß §351f ASVG hat die Entscheidung über die Streichung einer Arzneispezialität zwar "der Hauptverband" zu treffen, und zwar, da die Zuständigkeit zur Erlassung eines Streichungsbescheides nicht zu den in §441d ASVG taxativ aufgezählten Aufgaben der Trägerkonferenz gehört, durch den Verbandsvorstand. Das vom Hauptverband in die belangte Behörde entsendete Mitglied hat sich aufgrund seiner Stellung als Leiter der Abteilung "Evidence Based Medicine" und "Health Technology Assessment" des Hauptverbandes, deren Aufgabengebiet auch von der Tätigkeit der Heilmittel-Evaluierungs-Kommission völlig getrennt ist und ihm auch keinen Zugriff auf Akten der Heilmittel-Evaluierungs-Kommission eröffnet hat, im Verhältnis zu seiner weisungsfreien Tätigkeit für die belangte Behörde in einer sog. "Mischverwendung" befunden (zur Zulässigkeit einer solchen Konstruktion siehe VfSlg 18554/2008; kein dem Fall Sramek gg. Österreich, EGMR 22.10.84, Fall Sramek, Serie A Nr 84, vergleichbarer Fall).