JudikaturVfGH

U330/12 - U331/12 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechtssatz

Rechtssatz
27. Juni 2012

Asylgerichtshof als vorlagepflichtiges Gericht iSd Art267 AEUV zu qualifizieren.

Der Asylgerichtshof vertritt die Auffassung, dass im vorliegenden Fall Ungarn gemäß Art10 Abs1 Dublin-II-VO für die Prüfung des in Österreich gestellten Antrages auf internationalen Schutz zuständig sei, obwohl der Beschwerdeführer den Feststellungen der angefochtenen Entscheidung zufolge erstmals in Griechenland das Hoheitsgebiet der Europäischen Union illegal betrat. Der Asylgerichtshof begründet dies im Wesentlichen damit, dass es eine mitgliedstaatliche "Anknüpfungskette" gebe, welche durch die Ausreise des Beschwerdeführers aus Griechenland nach Mazedonien und Serbien sowie das damit erfolgte Verlassen des Hoheitsgebiets der Mitgliedstaaten der Europäischen Union unter nachfolgender Wiedereinreise in Ungarn "quasi gerissen" sei.

Dem Verfassungsgerichtshof erscheint es jedoch zweifelhaft, ob diese Auslegung mit der Dublin-II-VO vereinbar ist.

Aus Art10 Abs1 Dublin-II-VO ergibt sich nicht eindeutig, ob die Zuständigkeit des Mitgliedstaates, dessen Grenzen ein Asylwerber aus einem Drittstaat kommend illegal überschritten hat, dann erlischt, wenn der Drittstaatsangehörige (kurzzeitig) das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten verlässt, ohne im ersten Mitgliedstaat einen Asylantrag gestellt zu haben.

Die Rechtsfrage, ob Griechenland trotz (kurzfristiger) Ausreise des Fremden in einen Drittstaat für die Prüfung eines sodann in einem anderen Mitgliedstaat gestellten Asylantrages zuständig ist, ist im Rahmen des Rechtsschutzsystems des Unionsrechts Sache des EuGH. Es handelt sich dabei insoweit um eine entscheidungserhebliche Frage, als sich der Asylgerichtshof für eine Entscheidung nach §5 Abs1 AsylG 2005 nicht allein auf die Zustimmung eines Mitgliedstaates zur Übernahme eines Asylwerbers berufen darf. Da die Frage vom EuGH bisher noch nicht entschieden worden ist, wäre der Asylgerichtshof verpflichtet gewesen, sie dem EuGH zur Vorabentscheidung vorzulegen. Dabei wäre auch zu fragen, ob wegen der systemischen Mängel im griechischen Asylsystem und der dortigen Gefährdungslage für Asylwerber betr eine Verletzung ihrer Rechte nach Art3 EMRK im Hinblick auf die jüngste Rechtsprechung des EGMR (vgl EGMR 21.01.11, Fall MSS, Appl 30696/09) - ungeachtet des Urteils des EuGH vom 21.12.11, C-411/10 und C-493/10 - eine andere Beurteilung des primär zuständigen Mitgliedstaates iSd Dublin-II-VO geboten ist.

Daher Verletzung des Beschwerdeführers in seinem Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter.

Ebenso unter Hinweis auf die vorliegende Entscheidung U331/12, U350/12, uva, alle E v 27.06.12.

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