JudikaturVfGH

G37/12 ua – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechtssatz

Rechtssatz
20. September 2012

Abweisung der Anträge des UVS Vorarlberg auf Aufhebung von Wortfolgen in §79 Abs1 und Abs2 AbfallwirtschaftsG 2002 (im Folgenden: AWG 2002) idF BGBl I 43/2007 betr Mindeststrafen von 3 630 € bzw 1 800 € für gewerbsmäßig im Bereich der Abfallwirtschaft Tätige.

Obwohl das Erkenntnis VfSlg 17719/2005 die Mindeststrafe von € 3.630,- unter dem Aspekt des Umgangs mit gefährlichen Abfällen (§79 Abs1 Z7 AWG 2002) behandelte, lassen sich die wesentlichen Aussagen des VfGH auf die angefochtenen Bestimmungen in §79 Abs1 AWG 2002 (unter dem Aspekt der Z9 und Z17 leg cit) und in §79 Abs2 AWG 2002 (unter dem Aspekt der Z11 leg cit) übertragen. Das differenzierte System von Strafdrohungen wurde im AWG 2002 auch in der Novelle BGBl I 43/2007 nicht geändert.

Der Gesetzgeber hat durch die Bestimmungen des §79 AWG 2002 ein differenziertes System von Strafdrohungen geschaffen, um Verstößen gegen das Abfallwirtschaftsgesetz 2002 angesichts ihrer potentiellen Auswirkungen auf die öffentlichen Interessen der Gesundheit von Menschen und der Umwelt - unter Beachtung des vom Täter aus dem Verstoß gezogenen wirtschaftlichen Vorteils - effektiv entgegenzuwirken (vgl VfSlg 17719/2005).

Die wesentliche Änderung einer ortsfesten Behandlungsanlage bedarf gemäß §37 Abs1 AWG 2002 der behördlichen Genehmigung. Eine wesentliche Änderung ist nach §2 Abs8 Z3 leg cit die "Änderung einer Behandlungsanlage, die erhebliche nachteilige Auswirkungen auf den Menschen oder die Umwelt haben kann". Der VfGH hat keine Bedenken dagegen, dass die Genehmigungspflicht einer Behandlungsanlage (und damit auch der daran knüpfende Verwaltungsstraftatbestand) an die - bloße - Möglichkeit von erheblichen nachteiligen Auswirkungen auf den Menschen oder die Umwelt gebunden wird. Der Gesetzgeber stellt bei der Genehmigungspflicht in zulässiger Weise in einer typologischen Betrachtung darauf ab, ob Behandlungsanlagen dieser Art erhebliche nachteilige Auswirkungen auf die Schutzgüter haben können. Sind solche nachteiligen Auswirkungen möglich, ist (erst) im Rahmen des Genehmigungsverfahrens für die konkrete Behandlungsanlage zu entscheiden, ob diese tatsächlich erhebliche nachteilige Auswirkungen auf die Schutzgüter hat und wie diese Auswirkungen gegebenenfalls vermieden oder minimiert werden können. Vor diesem Hintergrund ist weder der Umstand, dass der Gesetzgeber den Straftatbestand des §79 Abs1 Z9 AWG 2002 an die Genehmigungspflicht des §37 Abs1 leg cit knüpft, noch die gewählte Mindeststrafhöhe als unsachlich zu erkennen.

Ein Vergleich der Strafbestimmungen in verschiedenen Gesetzen ist nur eingeschränkt möglich, unter anderem weil der Gesetzgeber in den einzelnen Rechtsgebieten eigenständige Zielsetzungen verfolgt und in aller Regel auch eigene Ordnungssysteme schafft. Die von der Gewerbeordnung 1994 (vgl §366 Abs1 Z3 GewO 1994) abweichende Mindeststrafdrohung in §79 Abs1 AWG 2002 für gewerbsmäßig im Bereich der Abfallwirtschaft tätige Personen lässt sich sohin von vornherein mit tatsächlichen Unterschieden zur Errichtung und zum Betrieb gewerblicher Betriebsanlagen, aber auch mit unterschiedlichen Ordnungssystemen begründen, die der Gesetzgeber in beiden Rechtsgebieten geschaffen hat.

Der VfGH erachtet es als nicht unsachlich, wenn der Gesetzgeber im Rahmen seines rechtspolitischen Gestaltungsspielraums im AWG 2002 eine höhere Mindeststrafe für jene Fälle vorsieht, in denen gegen eine nachträgliche Auflage nach §62 Abs3 AWG 2002 verstoßen wird (im Vergleich zur Mindeststrafe bei Verstoß gegen eine im Zuge des Genehmigungsverfahrens vorgeschriebene Auflage). So kann eine sachliche Begründung in dieser unterschiedlichen Strafandrohung schon darin erblickt werden, dass §62 Abs3 AWG 2002 die Vorschreibung nachträglich erforderlicher Auflagen nur dann vorsieht, wenn die gemäß §43 leg cit wahrzunehmenden Interessen trotz Einhaltung der im Genehmigungsbescheid enthaltenen Auflagen, Bedingungen oder Befristungen nicht hinreichend geschützt sind. Die Bestimmung nimmt dabei nicht nur darauf Bezug, dass nachteilige Folgen der Auswirkungen einer Behandlungsanlage eintreten können, sondern auch schon tatsächlich eingetreten sind (§62 Abs3 zweiter Satz leg cit). Wenn demgemäß die Erfüllung einer nachträglichen Auflage - bei welcher der Gesetzgeber im Hinblick auf einen bereits erfolgenden Betrieb der Behandlungsanlage und die in §43 leg cit genannten Interessen ein verstärktes Schutzverständnis ins Treffen zu führen vermag - mit einer höheren Mindeststrafdrohung im Falle des Verstoßes untermauert werden soll, kann dies nicht als unsachlich beurteilt werden.

Die Behauptung, §79 Abs1 Z17 AWG 2002 lasse eine Berücksichtigung des Grades der Verletzung der Interessen, die durch die konkrete Auflage geschützt sind, "nur in einem deutlich eingeschränkten Ausmaß" bei der Strafbemessung zu, geht nach den bisherigen Ausführungen und unter Berücksichtigung des §20 und §21 VStG ins Leere.

Rückverweise