B99/12 ua – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechtssatz
Die Behörde ist zutreffend davon ausgegangen, dass für die Frage der Abstammung iSd §7 StbG nicht die genetische, sondern die rechtliche Elternschaft ausschlaggebend ist (siehe dazu bereits VfSlg 19596/2011), und hat daher auch eine DNA-Analyse gemäß §5 StbG nicht in Betracht gezogen.
Ermittlungen dazu, wer die rechtlichen Eltern eines Kindes sind, hat die Staatsbürgerschaftsbehörde jedoch nur dann anzustellen, wenn die für den Erwerb der Staatsbürgerschaft gem §7 StbG entscheidende Frage der (rechtlichen) Abstammung nicht ohnehin bereits geklärt bzw rechtsverbindlich festgestellt ist. Im vorliegenden Fall wurden der belangten Behörde zunächst - wie aus den dem VfGH vorgelegten Akten hervorgeht, mit Apostillen versehene - ukrainische Geburtsurkunden vorgelegt, in denen jeweils Herr und Frau L. als Eltern der Beschwerdeführer genannt werden. Des Weiteren liegt der belangten Behörde eine Amtsbestätigung des BG Döbling vor, die ebenfalls Herrn und Frau L als Eltern der Beschwerdeführer bezeichnet.
Mit ihrer Annahme, bei der Ermittlung der für die Beurteilung der rechtlichen Abstammung maßgeblichen Rechtsordnung stehe der österreichische ordre public einer Anerkennung der ukrainischen Geburtsurkunden und damit einer Anwendung des ukrainischen Sachrechts allein deswegen entgegen, weil dieses Leihmutterschaft zulässt, verkennt die belangte Behörde aber die Rechtslage in einer in die Verfassungssphäre reichenden Weise.
Zum ordre public zählen nach hL und Rechtsprechung der Inhalt der geschützten Grundwertungen des österreichischen Rechtes, also die unverzichtbaren Wertvorstellungen, die die österreichische Rechtsordnung prägen. Verfassungsgrundsätze (insbesondere durch die EMRK geschützte Menschenrechte) spielen dabei jedenfalls eine tragende Rolle. Als von §6 IPR-Gesetz geschützte Grundwerte und somit ordre public-feste Rechtsgüter werden etwa die persönliche Freiheit, die Gleichberechtigung, das Verbot abstammungsmäßiger, rassischer und konfessioneller Diskriminierung, die Freiheit der Eheschließung, die Einehe, das Verbot der Kinderehe und insbesondere auch der Schutz des Kindeswohles angesehen. Wie der VfGH bereits in VfSlg 19596/2011 ausgeführt hat, sind die Regelungen des FortpflanzungsmedizinG und die an diese anknüpfenden, statusrechtliche Fragen regelnden Bestimmungen des ABGB weder Bestandteil der Grundwertungen der österreichischen Rechtsordnung noch sind diese Regelungen - auch soweit sie Leihmutterschaften verbieten - verfassungsrechtlich geboten.
Die Auffassung der belangten Behörde, das Verbot der Leihmutterschaft und die Regelung des §137b ABGB gehörten zum ordre public, womit eine Anerkennung der ukrainischen Geburtsurkunden und eine Anwendbarkeit des ukrainischen Rechts auf Grund von §6 IPR-Gesetz schon deshalb ausgeschlossen sei, weil dieses Leihmutterschaft zulässt, ist somit, wie sich bereits aus der Begründung des Erkenntnisses VfSlg 19596/2011 ergibt, im Hinblick auf das Kindeswohl denkunmöglich. Es widerspräche nämlich offensichtlich dem Wohl des Kindes, wenn ihm durch die Versagung der Anerkennung ausländischer Hoheitsakte bzw. von mit Apostille versehenen Urkunden über die im Ausland begründete rechtliche Mutterschaft für die österreichische Rechtsordnung seine biologische Mutter als Mutter im Rechtssinne genommen und dafür - wie dies nach §137b ABGB der Fall wäre - die Leihmutter in die Mutterrolle gezwungen würde, obwohl sie weder biologisch noch nach dem Personalstatut der Leihmutter bzw. jenem der Kinder deren Mutter ist, noch dies sein will und kann und auch mit dem Kind keine Familiengemeinschaft begründet hat.
Es ist also in Fällen wie dem hier vorliegenden verfassungsrechtlich ausgeschlossen, für die Beurteilung der Abstammung (und in der Folge der Staatsbürgerschaft) des Kindes zwingend auf österreichisches Sachrecht und damit auf §137b ABGB abzustellen. Nicht zuletzt wird das Kind dadurch von allen gegenüber leiblichen Eltern sonst bestehenden Obsorge-, Unterhalts- und sonstigen Vermögensrechten gerade gegenüber den genetischen Eltern (die auch als "faktische Eltern" Teil des gemeinsamen Familienlebens sind) ausgeschlossen. Dazu kommt, dass bei einer Nicht-Anerkennung der nach der ausländischen Rechtsordnung bestehenden rechtlichen Mutterschaft der österreichischen Wunschmutter deren genetische, aber von einer Leihmutter geborene Kinder - erwerben diese nach dem Staatsbürgerschaftsrecht des fremden Staates wie hier nach jenem der Ukraine nicht die Staatsbürgerschaft der Leihmutter bzw. des Staates, in dem sie geboren wurden - staatenlos sind.
Im Lichte des Art8 EMRK und der entscheidenden Bedeutung, die im Rahmen der Abwägung dem Wohl des Kindes zukommt, ist daher in Konstellationen wie der hier vorliegenden für die Beurteilung der rechtlichen Elternschaft die ausländische Rechtsordnung und damit für den Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft durch Abstammung nach §7 StbG der Nachweis durch entsprechende echte öffentliche Urkunden maßgeblich.