JudikaturVfGH

B1070/11 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechtssatz

Rechtssatz
11. Oktober 2012

Der in Art7 B-VG garantierte Gleichheitsgrundsatz erstreckt sich auch auf Unionsbürger mit nicht-österreichischer Staatsangehörigkeit (vgl zB VfSlg 19077/2010 und 19118/2010).

Es ist im gegebenen Zusammenhang zu prüfen, ob die (seit der Fassung BGBl I 138/2000 unverändert in Geltung stehende) Vorschrift des §175 Abs2 FinStrG - als lex specialis - den Bestimmungen des §3 f StVG uneingeschränkt (also auch in Bezug auf die erst später in den Rechtsbestand aufgenommene Regelung über die Möglichkeit der Abwendung von Freiheitsstrafen durch Erbringung gemeinnütziger Leistungen) vorgeht oder nur insoweit, als Vorgänge um die Strafvollzugsanordnung bzw den Strafantritt betroffen sind.

Unter gleichheitsrechtlichen Gesichtspunkten ist davon auszugehen, dass §175 Abs2 nur insoweit besondere Bestimmungen zu §3 und §3a StVG enthält, als der Strafantritt als solcher oder die Vorführung geregelt sind. Anderes trifft indes auf jene Teile des §3 und §3a StVG zu, welche die Haftverschonung durch gemeinnützige Leistung regeln:

Die Annahme einer gänzlichen Verdrängung des §3 und §3a StVG einschließlich der hier maßgeblichen Regelungen über die Möglichkeit der Abwendung der Strafverbüßung durch §175 Abs2 FinStrG würde nämlich zu einem nicht hinnehmbaren Wertungswiderspruch zwischen dem Vollzug von Freiheitsstrafen im verwaltungsbehördlichen Finanzstrafverfahren einerseits und im gerichtlichen Finanzstrafverfahren andererseits führen.

Der VfGH verkennt nicht, dass zwischen gerichtlichem und verwaltungsbehördlichem Finanzstrafverfahren wesentliche Unterschiede bestehen, die - etwa aus Gründen der Verwaltungsökonomie - grundsätzlich verschiedenartige Regelungen einer Frage (auch auf dem Gebiet des Strafvollzuges) sachlich zu rechtfertigen vermögen (vgl VfSlg 8017/1977, 9956/1984).

Es ist jedoch kein sachlicher Grund ersichtlich, der es rechtfertigen würde, §175 Abs2 FinStrG so zu verstehen, dass die von einem Strafgericht wegen einer Finanzstraftat zu einer - maximal neunmonatigen - (Ersatz )Freiheitsstrafe Verurteilten in §3 und §3a StVG eröffnete Option einer von der Finanzstrafbehörde mit einer - geringeren (höchstens dreimonatigen - §20 Abs2 FinStrG) - Ersatzfreiheitsstrafe belegten Person nicht zukommt.

Eine solche - von der belangten Behörde vorgenommene - Auslegung würde eine dem Gesetzgeber nicht zusinnbare unsachliche Schlechterstellung eines im verwaltungsbehördlichen Finanzstrafverfahren Bestraften gegenüber einem im gerichtlichen Finanzstrafverfahren Verurteilten bedeuten. Denn der Gesetzgeber stuft in die Zuständigkeit der Verwaltungsbehörde fallende Finanzvergehen von vornherein - schon wegen der vergleichsweise geringeren Höhe des Hinterziehungsbetrages - als weniger schwerwiegend ein als der gerichtlichen Kompetenz unterfallende Finanzdelikte und sieht für erstere deshalb eine geringere Strafdrohung vor (mit Judikaturhinweisen).

Der Auffassung der belangten Behörde zuwider widerstreitet diese - verfassungsrechtlich gebotene - Interpretation auch nicht dem Wortlaut des §1 StVG. Dass sich die diesbezüglichen Begriffsdefinitionen - wie alle Bestimmungen des StVG - auf den Vollzug gerichtlich verhängter Freiheitsstrafen beziehen, hindert die sinngemäße Anwendung der §3 Abs1 zweiter und dritter Satz sowie §3a StVG im finanzstrafbehördlichen Vollzugsverfahren in keiner Weise.

Schließlich spricht die Bedachtnahme auf die Intention des Gesetzgebers, mit der Schaffung des §3a StVG der Sozialschädlichkeit von kurzen Freiheitsstrafen begegnen zu können, ebenfalls für die dargelegte - gleichheitskonforme - Auslegung, zumal gemäß §175 Abs1 erster Satz FinStrG verwaltungsbehördlich verhängte Ersatzfreiheitsstrafen gleich gerichtlichen in Justizanstalten zu vollziehen sind.

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