V22/12 ua – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechtssatz
Allen Gerichten, unabhängig davon, ob sie in erster oder höherer Instanz entscheiden, kommt gemäß Art89 Abs2 iVm Art139 Abs1 B-VG die Befugnis (und Verpflichtung) zu, bei Bedenken gegen die Gesetz- und Verfassungsmäßigkeit von Verordnungsbestimmungen, die sie in einem Verfahren anzuwenden haben, deren Aufhebung beim VfGH zu beantragen.
Anfechtungsgegenstand bleibt auch in dem Fall, dass sich die Bedenken ob der Gesetzmäßigkeit der Verordnungsbestimmung auf eine Verfassungswidrigkeit der gesetzlichen Grundlage der Verordnung beziehen, die vom Gericht anzuwendende Verordnungsbestimmung. Die gesetzliche Grundlage wird dann zum Prüfungsgegenstand, wenn der VfGH von Amts wegen aus Anlass des Verordnungsprüfungsantrags des Gerichts gemäß Art140 Abs1 B-VG ein Gesetzesprüfungsverfahren einleitet.
Die Anträge, in §6 erster Satz
Systemnutzungsentgelte-Verordnung 2012 die Worte "und Einspeisern" als gesetzwidrig aufzuheben, sind daher auch insoweit zulässig, als die antragstellenden Gerichte die Gesetzwidrigkeit dieser Verordnungsbestimmung (ausschließlich) mit ihrer mangelnden gesetzlichen Determinierung (Art18 B-VG) oder mit einer Grundrechtswidrigkeit der gesetzlichen Grundlage dieser Verordnungsbestimmung begründen (siehe VfSlg 11027/1986).
Es ist zumindest nicht denkunmöglich, wenn die antragstellenden Gerichte davon ausgehen, dass die Behandlung der den jeweiligen gerichtlichen Anlassverfahren zugrunde liegenden (Feststellungs )Klagen [von Kraftwerksbetreibern auf Feststellung des Nichtbestehens der Zahlungspflicht] (siehe den Wortlaut von §22 Abs2 Satz 2 ElWOG 2010) im Hinblick auf die Systemnutzungsentgelte-Verordnung 2012 kein (neuerliches) Streitschlichtungsverfahren vor der Regulierungskommission voraussetzt, weil "die Sache" (§12 Abs4 E-ControlG) bereits nach Durchführung eines Streitschlichtungsverfahrens bei Gericht anhängig ist. Da vor diesem Hintergrund nicht ausgeschlossen werden kann, dass die angefochtene Bestimmung des §6 Systemnutzungsentgelte-Verordnung 2012 eine Voraussetzung für die Entscheidungen der antragstellenden Gerichte in den Anlassverfahren bildet, eine Aufhebung der angefochtenen Wortfolge in §6 der genannten Verordnung genügte, um die behaupteten Rechtswidrigkeiten für die gerichtlichen Anlassverfahren zu beseitigen und auch sonst keine Bedenken ob der Zulässigkeit der (Haupt )Anträge entstanden sind, sind diese zulässig. Auf die Eventualanträge braucht daher nicht eingegangen zu werden (VfSlg 18422/2011).
Das Netzverlustentgelt soll jene Kosten abgelten, die dem Netzbetreiber für die transparente und diskriminierungsfreie Beschaffung von angemessenen Energiemengen zum Ausgleich physikalischer Netzverluste entstehen. Eine Durchschnittsbetrachtung bei der Ermittlung angemessener Energiemengen ist dabei ausdrücklich zulässig.
§53 ElWOG 2010 sieht in seinem Absatz 1 zunächst vor, dass das Netzverlustentgelt von Entnehmern und - mit Ausnahme solcher mit einer Anschlussleistung bis inklusive 5 MW - Einspeisern zu entrichten ist. §53 ElWOG 2010 trifft damit die grundsätzliche Entscheidung, wer das Netzverlustentgelt zu tragen hat (Tariflastentscheidung). Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass - wie die Regulierungskommission in ihren Stellungnahmen zu Recht hervorhebt - die Bestimmung des Netzverlustentgelts im Gesamtsystem der Festlegung des Systemnutzungsentgelts zu sehen ist und insofern die Tariflastentscheidung beim Netzverlustentgelt durch die Regelungen über die weiteren Bestandteile des Systemnutzungsentgelts ebenfalls gesetzlich eingegrenzt wird.
Auch die Tariflastverteilung bezüglich des Netzverlustentgelts zwischen Entnehmern und Einspeisern ist im ElWOG 2010 in einer nach der dargestellten Rechtsprechung des VfGH im Hinblick auf Art18 B-VG verfassungsrechtlich nicht zu beanstandenden Weise geregelt: Mit den in §3 und §4 ElWOG 2010 festgelegten Zielen und gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen; der Vorgabe von Kriterien für die Bestimmung des Systemnutzungsentgelts in §51 Abs1 ElWOG 2010, insbesondere der Festlegung der Grundsätze der Gleichbehandlung aller Systembenutzer; der Kostenorientierung und weitestgehenden Verursachungsgerechtigkeit; der Anordnung, dass in concreto das Netzverlustentgelt arbeitsbezogen festzulegen ist (§53 Abs2 ElWOG 2010), und schließlich dem in den Absätzen 3 bis 5 des §49 ElWOG 2010 geregelten Verfahren der Erlassung der Systemnutzungsentgelte-Verordnung hat der Gesetzgeber die Tariflastverteilung bezüglich des Netzverlustentgelts in ihren Grundzügen geregelt (vgl VfSlg 17348/2004).
Das Gesetz grenzt insbesondere auch den von den antragstellenden Gerichten in den Mittelpunkt ihrer Bedenken gerückten Spielraum der Regulierungskommission bei der Regelung der Tariflastverteilung durch die Vorgaben der Gleichbehandlung und der arbeitsbezogenen Festlegung ein. Der VfGH hat in vergleichbarem Zusammenhang bereits festgehalten, dass ein gesetzlich festgeschriebener Grundsatz der Gleichbehandlung aller Systembenutzer (wie ihn im vorliegenden Zusammenhang §51 Abs1 ElWOG 2010 normiert) dahingehend zu verstehen ist, dass der Netznutzungstarif entsprechend sachlich zu differenzieren und die Systemnutzer im Hinblick auf ihre jeweilige Kostenverursachung gleich zu behandeln sind (so zu §23a Abs5 GWG 2000 VfGH 15.03.12, V26/11 ua). Dass es dabei auf die Sachgegebenheiten ankommt, ergibt sich aus der vorgenannten Rechtsprechung des VfGH und ist in §53 Abs1 und Abs2 ElWOG 2010 im hier maßgeblichen Zusammenhang auch ausdrücklich angesprochen. Damit kann den speziellen technischen Gegebenheiten etwa durch Pauschalierungen oder typisierende Betrachtungen bei der tarifmäßigen Anknüpfung und Ausgestaltung Rechnung getragen werden. Darin, dass das Gesetz damit mehrere durch Verordnung auszugestaltende Lösungen erlaubt, kann allein kein Widerspruch zu Art18 B-VG erblickt werden, solange wie hier der Gesetzgeber die Auswahl in ihren Grundzügen geregelt und dementsprechend von gesetzlich festgelegten Kriterien abhängig gemacht hat. Dass die in §6 Systemnutzungsentgelte-Verordnung 2012 konkret erfolgte Zuordnung willkürlich sei, indem sie eine völlig einseitige Lastenverteilung anordne, wurde im Verfahren nicht behauptet.
Der Gesetzgeber hat somit der verordnungserlassenden Regulierungskommission hinreichend konkrete Bedingungen und Kriterien vorgegeben, anhand derer sie den ihr in verfassungsrechtlich zulässiger Weise eingeräumten Spielraum bei der Regulierung (auch) des Netzverlustentgelts auszuüben hat. Eindeutigkeit bereits der gesetzlichen Regelung der Lastenverteilung bei der Systemnutzungstarifierung ist kein aus Art18 B-VG abzuleitendes verfassungsrechtliches Erfordernis.
Der Vorwurf, der von den antragstellenden Gerichten anzuwendende §6 Systemnutzungsentgelte-Verordnung 2012 sei gesetzlich unzureichend determiniert und entbehre daher einer dem Art18 B-VG entsprechenden Grundlage, trifft daher nicht zu.
Die antragstellenden Gerichte bringen keine Argumente vor, die geeignet wären, die Begründung der Regulierungskommission, dass Netzverluste beim Transport elektrischer Energie in Netzen entstehen und somit grundsätzlich von allen Netznutzern mitverursacht werden, in einer Weise zu erschüttern, die im Hinblick auf den Maßstab, den der VfGH bei einer gleichheitsrechtlichen Beurteilung des Gesetzes heranzuziehen hat, von Bedeutung wäre. Daher kann der VfGH auch nicht finden, dass die Belastung von Einspeisern und Entnehmern dem Sachlichkeitsgebot des Gleichheitsgrundsatzes widersprechen würde. Auch die von den antragstellenden Gerichten hervorgehobene Tatsache, dass die Einspeisung von Elektrizität in das Stromnetz an verschiedenen Punkten des Netzes zu einer Reduzierung der Netzverluste beitragen kann, muss von Gesetzes oder Verfassung wegen nicht unmittelbar tariflich relevant gemacht werden. Denn der Gesetzgeber kann der Regulierungsbehörde auch einen Spielraum einräumen, wie bei der Bestimmung des Netzverlustentgelts technischen Gegebenheiten Rechnung zu tragen ist.
Der Gleichheitsgrundsatz verpflichtet entgegen dem diesbezüglichen Vorbringen der antragstellenden Gerichte den Gesetzgeber - jedenfalls in einer Situation wie der hier vorliegenden, in der keine unionsrechtliche Harmonisierung der Systemnutzungstarife besteht - auch nicht zu einer Gleichbehandlung der dem persönlichen Geltungsbereich der (österreichischen) Systemnutzungsentgelte-Verordnung 2012 unterliegenden Unternehmen mit der Tarifbelastung von Unternehmen, die außerhalb dieses Geltungsbereichs stehen.
Eine Veränderung der Systemnutzungstarifierung dahingehend, dass auch Einspeiser mit Netzverlustentgelt belastet werden, verstößt auch unter Gesichtspunkten des Vertrauensschutzes nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz. Dies trifft auch für Betreiber von Ökostromanlagen zu. Es liegt im rechtspolitischen Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers, wenn er die Abnahmesicherheit, die Ökostromerzeugern mit den einschlägigen Regelungen des ÖkostromG 2012 eingeräumt wird, und das damit verbundene weitgehend regulierte System der Abnahme von Ökostrom im Interesse einer Anpassung an technische oder wirtschaftliche Entwicklungen in bestimmten Punkten modifiziert. Dass der Gesetzgeber dies mit der Einbeziehung auch von Ökostromerzeugern in den Kreis jener Netznutzer, die auch das Entgelt für Netzverluste mittragen müssen, in einer gänzlich unsachlichen weil unverhältnismäßigen Weise getan habe, wurde von den antragstellenden Gerichten nicht vorgebracht.
In der Anordnung, dass auch Einspeiser wie Entnehmer Netzverlustentgelt zu tragen hätten, vermag der VfGH schließlich ausgehend von dem hier maßgeblichen Vorbringen der antragstellenden Gerichte weder eine unverhältnismäßige Beschränkung der Erwerbsausübungsfreiheit noch eine unangemessene Eigentumsbeschränkung zu erkennen.