G77/12 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechtssatz
Aufhebung des §6 GrEStG 1987 idF BGBl I 142/2000.
Die Grunderwerbsteuer stellt im (Normal)Fall des entgeltlichen Erwerbes eines Grundstückes auf den Wert der Gegenleistung ab und geht damit im Wesentlichen vom Verkehrswert des Grundstückes aus. Gegen diese Art der Ermittlung der Bemessungsgrundlage bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Sofern aber eine Gegenleistung nicht vorhanden ist oder ihr Wert nicht ermittelt werden kann, wird auf den (einfachen oder dreifachen) Einheitswert abgestellt. Gegen eine solche Regelung bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken, solange der Einheitswert (sei es auch nach pauschaler Aufwertung oder Vervielfachung) annähernd dem Verkehrswert der Liegenschaft, wie er normalerweise in der Gegenleistung zum Ausdruck kommt, entspricht.
Nach den Vorstellungen des historischen Gesetzgebers sollte bemessungsrechtlich zwischen den Fällen, in denen der Wert der Gegenleistung herangezogen wird, und jenen, in denen ersatzweise auf den Wert des Grundstückes abgestellt wurde, kein grundsätzlicher Unterschied bestehen. Vielmehr war der Einheitswert des Grundstückes als eine adäquate (und daher auch verfassungsrechtlich unbedenkliche) Ersatzbemessungsgrundlage gedacht. Die verfassungsrechtlichen Bedenken ergeben sich (nur) deswegen, weil diese annähernde Äquivalenz der Bemessungsgrundlagen wegen des Verzichts auf die Aktualisierung der Einheitswerte nicht mehr gegeben ist und auch durch pauschale Zuschläge oder Vervielfacher nicht mehr hergestellt werden kann. Es genügt in diesem Zusammenhang auf jene Vorjudikatur zu verweisen, in der der VfGH festgestellt hat, dass der (vervielfachte) Einheitswert heute in keinem auch nur einigermaßen vorhersehbaren Verhältnis zum Verkehrswert steht (vgl VfSlg 19487/2011, 18093/2007).
Keine sachlichen Gründe für diese differenzierende Behandlung zwischen den Fällen des Abs1 und des Abs2 des §4 GrEStG 1987 erkennbar.
Es ist nicht zu bestreiten, dass es bei einer Transaktionssteuer in Höhe von (grundsätzlich) 3,5 % des Wertes eines Grundstückes einen gewichtigen Unterschied ausmacht, ob bei einem Teil der Tatbestände als Bemessungsgrundlage der Verkehrswert (in Form der Gegenleistung) herangezogen wird, während bei dem anderen Teil auf den Einheitswert abgestellt wird, der auf Grund der dargestellten Entwicklung in der Regel (auch nach Verdreifachung) bloß einen Bruchteil dieses Wertes ausmacht.
Der VfGH bezweifelt nicht, dass es sowohl für die Finanzverwaltung als auch für die Steuerpflichtigen (und die von ihnen eingeschalteten Rechtsvertreter) am einfachsten ist, sich an den zuletzt bescheidmäßig festgestellten Einheitswerten zu orientieren. Dem Gesetzgeber ist es auch erlaubt, einfache und leicht handhabbare Regelungen zu treffen und einen unwirtschaftlichen Verwaltungsaufwand zu vermeiden. Gründe der Verwaltungsökonomie können allerdings nicht jegliche Regelung rechtfertigen. Es muss ein angemessenes Verhältnis zu den in Kauf genommenen Rechtsfolgen eingehalten werden.
Es ist dem Gesetzgeber jedenfalls verwehrt, ein (Bewertungs)Verfahren vorzusehen oder beizubehalten, das zu vollkommen realitätsfernen und daher willkürlichen Bemessungsgrundlagen führt. Wenn der Gesetzgeber aber eine Aktualisierung der - an sich unbedenklichen - Einheitswerte über einen Zeitraum von mehreren Jahrzehnten unterlässt bzw verhindert, dann löst er damit Verwerfungen und Unstimmigkeiten im Steuersystem aus, die ab einem bestimmten Zeitpunkt auch mit Gründen der Verwaltungsökonomie nicht mehr gerechtfertigt werden können, zumal es auf der Hand liegt, dass die "Unangemessenheit" der Rechtsfolgen angesichts der steigenden Immobilienpreise bzw Baukosten einerseits, der regional unterschiedlichen Entwicklung andererseits mit jedem weiteren Jahr zunimmt.
Der VfGH kann auch nicht erkennen, dass eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Neuordnung des Bewertungsrechts - gleichgültig, ob diese die Form einer fallbezogenen Bedarfsbewertung oder einer generellen (Einheits)Bewertung annimmt - zwingend zu einem unzumutbaren administrativen Aufwand führen muss. Er hat schon in VfSlg 18093/2007 betont, dass es dem Gesetzgeber nicht verwehrt ist, ein Bewertungsverfahren zu wählen, das verwaltungsökonomischen Anforderungen gerecht wird, und mit Typisierungen und Schätzungen zu arbeiten. Außerdem ist es für den VfGH nicht nachvollziehbar, dass es für ein Problem, das sich in allen Staaten stellt, die Transaktionssteuern und/oder Vermögenssteuern auf Grundbesitz erheben, keine administrativ bewältigbaren Lösungen für das dabei auftauchende Bewertungsproblem gibt. Im Übrigen muss schon nach geltendem Recht der aktuelle Verkehrswert von Grundstücken immer dann ermittelt werden, wenn das Grundstück als Gegenleistung für ein anderes Grundstück hingegeben wird (somit insbesondere im Fall des Grundstückstausches) bzw einen Teil dieser Gegenleistung bildet.
Eine Neuordnung der Grundstücksbewertung ist mit sachlich begründbaren Befreiungen und Ausnahmen nicht unvereinbar, muss somit nicht notwendigerweise zu einer generellen Steuererhöhung führen. Der Gesetzgeber ist nicht gehindert, grunderwerbsteuerlich aus sachlichen Gründen zwischen verschiedenen Erwerbsvorgängen zu differenzieren und insbesondere unentgeltliche Übergänge von Grundstücken (einschließlich land- und forstwirtschaftlicher Betriebe) im Familienverband anders zu behandeln als Kaufverträge über Grundstücke. Eine solche Differenzierung ist aber - sofern sie nicht in einer gänzlichen Steuerbefreiung besteht - nur auf der Basis verfassungsrechtlich unbedenklicher Bemessungsgrundlagen möglich. Was hingegen die von der Bundesregierung betonten Besonderheiten des land- und forstwirtschaftlichen Vermögens betrifft, so hat der VfGH schon in VfSlg 18093/2007 festgehalten, dass keine prinzipiellen Bedenken dagegen bestehen, die Bewertung von land- und forstwirtschaftlichen Betrieben nach dem Ertragswert vorzusehen, wenn das Verfahren zu seiner Ermittlung sachgerecht ist und es sich in der Tat um die Übertragung bzw den Erwerb von land- und forstwirtschaftlichen Betrieben handelt.
Die Verfassungswidrigkeit wird durch Aufhebung des §6 GrEStG 1987 behoben. Bei Entfall dieser Bestimmung ist, weil dann "nähere Regelungen" iSd §1 Abs2 BewG 1955 im GrEStG 1987 fehlen, als Wert des Grundstückes iSd §4 Abs2 GrEStG 1987 der gemeine Wert (§10 BewG 1955) anzusetzen. Da es dem Gesetzgeber aber unbenommen ist, bei der Regelung der Grunderwerbsteuer auf den Gedanken der Verfahrensökonomie Bedacht zu nehmen und allenfalls auch bereits auf der Ebene der - verfassungsrechtlich unbedenklich ermittelten - Bemessungsgrundlage in Verfolgung sachlicher rechtspolitischer Zielsetzungen differenzierende Regelungen zu treffen, sieht sich der VfGH veranlasst, für die Aufhebung der genannten Norm eine Frist bis zum Ablauf des 31.05.14 zu bestimmen.
(Anlassfall B35/12, B v 25.02.13, Einstellung des Verfahrens infolge Zurückziehung der Beschwerde).