G66/12 ua – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechtssatz
Aufhebung des Wortes "Eheliche" in §7 Abs1 StbG 1985 sowie des §7 Abs3 StbG 1985.
Zulässigkeit der Anträge des Verwaltungsgerichtshofes.
Es ist nichts hervorgekommen, was an der Präjudizialität der angefochtenen Bestimmungen in §7 StbG 1985 zweifeln ließe. Der VwGH geht denkmöglich davon aus, dass er bei der Entscheidung über die bei ihm angefochtenen Bescheide §7 Abs3 StbG 1985 und, wegen des untrennbaren inhaltlichen und systematischen Zusammenhangs, auch §7 Abs1 StbG 1985 anzuwenden hat, weil sich der Ausschluss des Erwerbs der Staatsbürgerschaft durch die Beschwerdeführer in den Verfahren vor dem VwGH auch daraus ergibt, dass es sich bei diesen jeweils nicht um das eheliche, sondern um das uneheliche Kind eines österreichischen Vaters handelt.
Der VfGH geht - wie auch der VwGH in seinen Anträgen - mit der einschlägigen Rechtsprechung des EGMR (EGMR 11.10.11, Fall Genovese, Appl 53124/09) davon aus, dass die Frage der Erlangung der Staatsbürgerschaft, soweit sich diese auf die Abstammung von den Eltern gründet, in den Schutzbereich des Art8 Abs1 EMRK fällt. Staatliche Regelungen, die die Erlangung (Erwerb oder Verleihung) der Staatsbürgerschaft in solchen Fällen von bestimmten Voraussetzungen abhängig machen, müssen daher den Anforderungen des Art8 Abs2 EMRK entsprechen und müssen gemäß Art14 EMRK so ausgestaltet sein, dass sie zu keiner Benachteiligung führen, die insbesondere im Geschlecht, in der Rasse, Hautfarbe, Sprache, Religion, in den politischen oder sonstigen Anschauungen, in nationaler oder sozialer Herkunft, in der Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit, im Vermögen, in der Geburt oder im sonstigen Status begründet ist.
Der VfGH tritt dem VwGH auch darin bei, dass der in Art7 Abs1 B-VG österreichischen Staatsbürgern gewährleistete Gleichheitsgrundsatz auch auf Fallkonstellationen wie die vorliegende, in denen es um die rechtliche Klärung des Status der österreichischen Staatsbürgerschaft für bestimmte Personen geht, anwendbar ist.
Indem §7 Abs3 StbG 1985 uneheliche Kinder - anders als §7 Abs1 StbG 1985 vergleichbare eheliche Kinder - eines österreichischen Vaters vom Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft durch Abstammung nach dem Vater ausschließt und auf ein Verfahren zur Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft unter bestimmten, im Wesentlichen allgemein für Fremde geltenden Voraussetzungen und unter der Voraussetzung, dass dem österreichischen Vater Pflege und Erziehung des Kindes zustehen, verweist (vgl §12 Z3 iVm §17 Abs1 Z3 sowie §10 Abs1 Z2 bis Z8, Abs2 und Abs3 StbG 1985), benachteiligt diese Regelung uneheliche Kinder eines österreichischen Vaters (und einer Mutter mit fremder Staatsangehörigkeit) gegenüber vergleichbaren ehelichen Kindern.
Nun verkennt der VfGH den im Familienrecht begründeten grundsätzlichen Unterschied zwischen ehelichen Vätern, für die die Vermutung der Vaterschaft nach §138 ABGB gilt, und unehelichen Vätern, deren Vaterschaft der Feststellung (§163 ABGB) oder Anerkennung (§163c ABGB) bedarf, nicht. Darin liegt ein im Sinne der Rechtsprechung des EGMR sehr gewichtiger Grund, der es grundsätzlich rechtfertigen kann, die Erlangung der österreichischen Staatsbürgerschaft des unehelichen Kindes eines österreichischen Vaters und einer Mutter mit fremder Staatsangehörigkeit nicht durch Abstammung eintreten zu lassen, sondern von einem Verfahren zur Verleihung der Staatsbürgerschaft abhängig zu machen.
Dieselben Voraussetzungen wie für Fremde allgemein auf uneheliche Kinder eines österreichischen Vaters (und einer Mutter mit fremder Staatsangehörigkeit) in jedem Fall, also beispielsweise auch in Fällen, in denen der Vater die Vaterschaft in unmittelbarer zeitlicher Nähe zur Geburt anerkannt hat und im Geburtenbuch gemäß §19 Z4 iVm §8 Abs2 PersonenstandsG eingetragen ist, zur Anwendung zu bringen, erweist sich aber als zur Umsetzung des für sich sehr gewichtigen Regelungsanliegens nicht als verhältnismäßig und damit als gegen Art14 iVm Art8 EMRK verstoßend. Denn es ist keine sachliche Rechtfertigung dafür zu erkennen, dass ausnahmslos und in jedem Fall das uneheliche anders als das eheliche Kind beispielsweise aus einer allfälligen anderen, etwa von der Mutter abgeleiteten Staatsangehörigkeit ausscheiden muss, dass die Erlangung der Staatsbürgerschaft von der Selbsterhaltungsfähigkeit des Kindes bzw seiner Eltern abhängt oder dass für die hier in Rede stehenden Kinder die Erlangung der Staatsbürgerschaft ohne eine bestimmte Aufenthaltsdauer in Österreich nur möglich ist, wenn dem Vater Pflege und Erziehung des Kindes zustehen. Art8 iVm Art14 EMRK verhalten angesichts der besonderen Bedeutung, die dem Kindeswohl im Rahmen des Art8 Abs2 EMRK zukommt und dem grundsätzlichen, aus Art14 EMRK abzuleitenden Gebot, uneheliche gegenüber ehelichen Kindern nicht zu benachteiligen, den Gesetzgeber dazu, die Erlangung der Staatsbürgerschaft von unehelichen Kindern österreichischer Väter (und Müttern mit fremder Staatsangehörigkeit) nicht dadurch unverhältnismäßig zu erschweren, dass einerseits undifferenziert Voraussetzungen für die Erlangung der Staatsbürgerschaft zur Anwendung gebracht werden, die auf Fremde allgemein abzielen, oder andererseits besondere Voraussetzungen hinsichtlich einer (nicht) notwendigen Aufenthaltsdauer in Österreich nur dann gelten, wenn dem unehelichen Vater Pflege und Erziehung des Kindes zustehen. Damit finden heute vielfach anzutreffende, dem Schutz des Familienlebens des Art8 EMRK unterfallende Formen des Zusammenlebens nicht verheirateter Eltern mit ihren unehelichen Kindern nicht angemessen Berücksichtigung.
Indem die angefochtene Bestimmung des §7 Abs3 StbG 1985 also das uneheliche Kind eines österreichischen Vaters und einer Mutter mit fremder Staatsangehörigkeit anders als §7 Abs1 StbG 1985 vergleichbare eheliche Kinder für die Erlangung der österreichischen Staatsbürgerschaft auf Verfahren verweist, die in bestimmten, nicht als unvorhersehbare Härtefälle vernachlässigbaren Fällen unter unverhältnismäßigen Voraussetzungen stehen, verstößt diese Regelung gegen Art14 iVm Art8 EMRK.
Durch die Aufhebung des §7 Abs3 StbG 1985 sowie des Wortes "Eheliche" in §7 Abs1 StbG 1985 wird die Verfassungswidrigkeit in den beim VwGH anhängigen Anlassverfahren beseitigt. Diese Verfassungswidrigkeit lässt sich auch nicht durch Aufhebung nur des §7 Abs3 StbG 1985 - weil in diesem Fall uneheliche Kinder die Staatsbürgerschaft weder nach dem Vater noch nach der Mutter durch Geburt erwerben würden - oder nur der Wortfolge "wenn ihre Mutter in diesem Zeitpunkt Staatsbürger ist" in dieser Bestimmung beseitigen, weil im zweiten Fall der nach Aufhebung verbleibende Gesetzestext eine völlig veränderte Bedeutung, nämlich dahingehend erhalten würde, dass uneheliche Kinder schlechthin durch Geburt die österreichische Staatsbürgerschaft erwerben.
Die Verfassungswidrigkeit ist auch der vom VwGH angefochtenen Regelung des §7 Abs3 StbG 1985 und nicht (ausschließlich) jenen Bestimmungen anzulasten, die die jeweiligen Voraussetzungen für die Erlangung der Staatsbürgerschaft durch das uneheliche Kind eines österreichischen Vaters und einer Mutter mit fremder Staatsangehörigkeit regeln. Denn diese Voraussetzungen erfahren ihre Bedeutung für solche unehelichen Kinder nur wegen §7 Abs3 StbG 1985. §12 Z3 iVm §17 Abs1 Z3 StbG 1985 stellt zwar, anders als andere Voraussetzungen, auf genau die Konstellation des unehelichen Kindes eines österreichischen Staatsbürgers ab, steht aber zufolge des ersten Halbsatzes des §12 StbG 1985 auch unter den allgemeinen Voraussetzungen des §10 Abs1 Z2 bis Z8, Abs2 und 3 StbG 1985, womit die Verfassungswidrigkeit auch allein durch Aufhebung der Wortfolge "und ihm die Pflege und Erziehung der Kinder zustehen" in §17 Abs1 Z3 StbG 1985 nicht beseitigt werden könnte. Die Aufhebung allgemeiner Voraussetzungen für die Erlangung der Staatsbürgerschaft, wie sie in §10 Abs1 Z2 bis 8, Abs2 und Abs3 StbG 1985 geregelt sind, für alle von §12 StbG 1985 betroffenen Fälle durch Aufhebung des Verweises im Einleitungssatz des §12 StbG 1985 würde aber den weitreichenderen Eingriff in das gesetzliche Regelungssystem bedeuten. Dass der Gesetzgeber die aufgehobenen Regelungen allenfalls unverändert wieder in Geltung setzen könnte, wenn er der Verfassungswidrigkeit an anderer Stelle im Regelungssystem des Staatsbürgerschaftsgesetzes entsprechend Rechnung trägt, verschlägt insoweit nichts.
Die Bestimmung einer Frist für das Außerkrafttreten der aufgehobenen Gesetzesstellen (31.12.13) erfolgt, um dem Gesetzgeber eine Neuregelung zu ermöglichen, die mit Art14 iVm Art8 EMRK im Einklang steht. Die Dauer der Frist trägt dem Umstand Rechnung, dass durch die Fristsetzung eine als konventionswidrig erkannte Rechtslage nur für einen gewissen Übergangszeitraum aufrecht bleiben soll.
Für Normenprüfungsverfahren, die auf Antrag eines Gerichtes eingeleitet worden sind, sieht das VfGG einen Aufwandersatz nicht vor. Es obliegt daher dem antragstellenden Gericht, - nach den für sein Verfahren geltenden Vorschriften - über einen allfälligen Kostenersatzanspruch der Parteien des Ausgangsrechtsstreits zu befinden.