JudikaturOLG Wien

19Bs123/25i – OLG Wien Entscheidung

Entscheidung
16. Juni 2025

Kopf

Das Oberlandesgericht Wien hat durch den Senatspräsidenten Mag. Baumgartner als Vorsitzenden sowie die Richterinnen Mag. Wilder und Mag. Körber als weitere Senatsmitglieder in der Strafsache gegen A* wegen 287 Abs 1 StGB über den Einspruch des Genannten gegen das in seiner Abwesenheit gefällte Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 5. März 2025, GZ **, nichtöffentlich den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Einspruch wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil aufgehoben und dem Erstgericht gemäß § 427 Abs 3 vierter Satz StPO die Anordnung einer neuen Hauptverhandlung aufgetragen.

Text

Begründung:

[1] Mit Strafantrag vom 23. Jänner 2025 (ON 16) legte die Staatsanwaltschaft Wien im Verfahren ** des Landesgerichts für Strafsachen Wien den in Deutschland wohnhaften iranischen Staatsangehörigen A* das Vergehen der Begehung einer mit Strafe bedrohten Handlung im Zustand voller Berauschung nach § 287 Abs 1 (§ 83 Abs 3 Z 2) StGB zur Last, weil er sich am 14. Oktober 2024 in **, wenn auch nur fahrlässig, durch den Genuss von Alkohol in einen die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Rausch versetzt und im Rausch einen Rettungssanitäter am Körper verletzt habe, indem er mit dem Fuß gegen B* trat und ihm Schläge in die Bauchgegend versetzte, wodurch dieser leichte Verletzungen, nämlich eine Thoraxprellung links und ein Abdominaltrauma, erlitt, sohin Handlungen gesetzt habe, die ihm außer diesem Zustand als das Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs 3 Z 2 StGB angerechnet würden.

[2] Zur Hauptverhandlung am 5. März 2025 erschien der Angeklagte nicht. In dieser hielt der Einzelrichter fest, dass der Angeklagte unentschuldigt nicht erschienen sei, ihm sei der Strafantrag zur Überprüfung seiner deutschen Adresse zugestellt und von diesem am 28. Jänner 2025 persönlich übernommen worden. In der Folge sei der Angeklagte an derselben Adresse mit (erg. Verfügung vom) 13. Februar 2025 geladen worden, bis dato sei kein Rückschein eingelangt (HV-Protokoll ON 19.1,2). Nach Beschlussfassung auf Verhandlung in Abwesenheit des Angeklagten und Verlesung von dessen Aussage ON 2.4 fällte der Erstrichter nach Durchführung des Beweisverfahrens ein Abwesenheitsurteil im Sinne des schriftlichen Strafantrags und verurteilte den Angeklagten zu einer für eine Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von fünf Monaten (ON 19.1; ON 19.2).

[3] Gegen dieses Urteil richtet sich der rechtzeitig erhobene, mit einer Berufung wegen Nichtigkeit verbundene Einspruch des Angeklagten (ON 25.2). Er habe keine Ladung erhalten, weil er sich von Mitte Februar bis zum 16. März 2025 nicht an seiner deutschen Wohnadresse (gleichzeitig Zustelladresse), sondern durchgehend in Österreich aufgehalten habe. Die Ladung sei zudem, wie sich aus dem Akt und der dem Einspruch angeschlossenen Sendungsverfolgung ergebe, entgegen § 17 Abs 3 ZustellG nicht mindestens zwei Wochen bei der Post hinterlegt gewesen, da das Erstgericht die Ladung am 14. Februar 2025 aufgegeben habe und diese bereits am 27. Februar 2025 nach Österreich zurückgesendet worden sei.

[4]

Rechtliche Beurteilung

Dem Einspruch kommt Berechtigung zu.

[5] Zur Rechtzeitigkeit: Ein Abwesenheitsurteil ist dem Angeklagten in seiner schriftlichen Ausfertigung stets persönlich und zu eigenen Handen zuzustellen (§ 427 Abs 1 letzter Satz StPO; Kirchbacher , StPO 15 § 427 Rz 13). Gemäß § 427 Abs 3 StPO kann er dagegen innerhalb von 14 Tagen Einspruch erheben.

[6] Der Tatrichter verfügte am 28. März 2025 die Zustellung des Abwesenheitsurteils samt Übersetzung, Hv-Protokoll und Rechtsmittelbelehrung an den Angeklagten mit internationalem Rückschein an dessen deutsche Wohnadresse (ON 1.9). Das Abwesenheitsurteil wurde am 9. April 2025 in den Briefkasten des Angeklagten gegeben, wo es am 10. April 2025 von einem Bekannten behoben und ihm mittels WhatsApp übermittelt wurde (ON 25.3). Unabhängig von dem Umstand, dass das Abwesenheitsurteil entgegen § 83 Abs 3 StPO iVm § 21 ZustellG nicht zu eigenen Handen des Einspruchswerbers zugestellt wurde, ist sein am 24. April 2025 eingebrachter Einspruch (ON 25.1) daher jedenfalls rechtzeitig.

[7] Zur Sache: Gemäß der Bestimmung des § 427 Abs 1 StPO darf die Hauptverhandlung bei sonstiger Nichtigkeit nur dann in Abwesenheit des Angeklagten durchgeführt und das Urteil gefällt werden, wenn er gemäß §§ 164 oder 165 StPO zum Anklagevorwurf vernommen und ihm die Ladung zur Hauptverhandlung persönlich zugestellt wurde. Die Vorladung hat – neben der Bekanntgabe des Termins und Informationen über den Gegenstand der Verhandlung – eine Belehrung über die Möglichkeit der Verhandlung in Abwesenheit zu enthalten ( Bauer in WK-StPO § 427 Rz 11).

[8] Einem Einspruch ist nach § 427 Abs 3 StPO stattzugeben, wenn nachgewiesen wird, dass der Angeklagte durch ein unabweisbares Hindernis abgehalten wurde, in der Hauptverhandlung zu erscheinen. Maßgebliches Kriterium ist, ob der Angeklagte die Hauptverhandlung wegen eines Umstandes versäumt hat, der auch gewissenhafte Menschen in seiner Lage vom Erscheinen abgehalten hätte. Zustellmängel, die den Angeklagten am Erscheinen in der Hauptverhandlung hindern, erfüllen – neben der mit ihnen verbundenen Nichtigkeitssanktion nach § 281 Abs 1 Z 3 StPO – in der Regel die Bedingung eines unabweisbaren Hindernisses ( Bauer, aaO Rz 20f).

[9] Gemäß Art 5 Abs 1 des Übereinkommens über die Rechtshilfe in Strafsachen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU-RHÜ; BGBl III 2005/65) übersendet jeder Mitgliedstaat Personen, die sich im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats aufhalten, für sie bestimmte Verfahrensurkunden unmittelbar durch die Post. Liegen Anhaltspunkte dafür vor, dass der Zustellungsempfänger der Sprache, in der die Urkunde abgefasst ist, unkundig ist, so ist gemäß Abs 3 des genannten Rechtshilfeübereinkommens die Urkunde – oder zumindest deren wesentlicher Inhalt – in die Sprache oder in eine der Sprachen der Mitgliedsstaaten, in dessen Hoheitsgebiet der Empfänger sich aufhält, zu übersetzen. Ist der Behörde, die die Verfahrensurkunde ausgestellt hat, bekannt, dass der Empfänger nur einer anderen Sprache kundig ist, so ist die Urkunde – oder zumindest deren wesentlicher Inhalt in diese andere Sprache zu übersetzen.

[10] Aus dem Akteninhalt ergibt sich, dass der Angeklagte der deutschen Sprache nicht mächtig ist (vgl. ON 2.4; aber auch die HV-Ausschreibung ON 17, zu der ein Dolmetscher für Farsi geladen wurde). Entgegen Art 5 Abs 3 EU-RHÜ erfolgte die Ladung des Angeklagten zur Hauptverhandlung - samt den darin enthaltenen Belehrungen zu den Rechtsfolgen des Nichterscheinens – jedoch ausschließlich in deutscher Sprache (ON 17).

[11] Die Zustellung der Ladung zur Hauptverhandlung ohne Anschluss einer Übersetzung des wesentlichen Inhalts der Ladung (sowie auch zuvor des Strafantrags) an den der deutschen Sprache aktenkundig nicht mächtigen Angeklagten widersprach somit Art 5 Abs 3 des EU-RHÜ. Wird eine erforderliche Übersetzung des zuzustellenden Schriftstücks nicht angeschlossen, gilt die Zustellung als nicht bewirkt. Die solcherart (ohne Übersetzung) vorgenommene Ladung ist somit nicht gehörig im Sinne des § 427 StPO erfolgt (vgl. RIS-Justiz RS0117620; RS0117621; OLG Linz 7 Bs 85/23h).

[12] Darüber hinaus ist die Ladung dem Angeklagten tatsächlich nicht zugekommen.

[13] Am 13. Februar 2025 verfügte der Einzelrichter die Ladung des A* zur Hauptverhandlung am 5. März 2025 an seiner Wohnadresse in Deutschland in ** mit internationalem Rückschein (ON 17). Die Ladung wurde am 14. Februar 2025 bei der Post aufgegeben und erfolgte am 17. Februar ein erfolgloser Zustellversuch (ON 21; ON 25.4), woraufhin sie unter Hinterlassung einer Benachrichtigung des Empfängers davon in der Postfiliale **, ** hinterlegt wurde (ON 21; ON 27). Am 27. Februar 2025 wurde die Ladung nach einem neuerlichen erfolglosen Zustellversuch als nicht behoben an das Landesgericht für Strafsachen Wien retourniert (ON 21; ON 25.4), wo der Postfehlbericht am 18. März 2025 einlangte (ON 21; ON 25.4).

[14] Der Einspruchswerber war laut vorgelegter Rechnung der C* GmbH vom 19. Februar 2025 ab diesem Tag bis zum 24. Februar 2025 in ** aufhältig (ON 25.5). Daraus sowie aus dem Umstand, dass er am 17. Februar 2025 sowie am 27. Februar 2025 nicht angetroffen werden konnte, wohingegen er den Strafantrag an seiner Wohnadresse entgegennahm (On 1.7), erschließt sich, dass er tatsächlich, wie von ihm im Einspruch behauptet, in diesem Zeitraum nicht an seiner (deutschen) Zustelladresse ortsanwesend war, sodass ihm die Ladung – die im Übrigen entgegen dem wie hier auch bei Zustellungen in Deutschland anzuwendenden (RIS-Justiz RS0083845 [T1]) § 17 Abs 3 erste Satz ZustellG nicht zwei Wochen zur Abholung bereit gehalten wurde – nicht zugekommen ist und er durch ein unabweisbares Ereignis am Erscheinen bei der Hauptverhandlung verhindert war.

[15] Die im § 427 Abs 1 StPO festgelegten Voraussetzungen für die Durchführung der Hauptverhandlung und Fällung eines Abwesenheitsurteils waren daher nicht erfüllt, weshalb dem Einspruch stattzugeben, das angefochtene Urteil aufzuheben und dem Landesgericht für Strafsachen Wien die Anordnung einer neuen Hauptverhandlung aufzutragen war.

[16] Die mit dem erfolgreichen Einspruch verbundene Brufung des Angeklagten wird damit gegenstandslos ( Bauer aaO, Rz 22 ).

Rückverweise