JudikaturOLG Wien

20Bs131/25y – OLG Wien Entscheidung

Entscheidung
16. Mai 2025

Kopf

Das Oberlandesgericht Wien hat durch den Senatspräsidenten Mag. Jilke als Vorsitzenden sowie die Richterinnen Mag. Neubauer und Mag. Wolfrum, LL.M., als weitere Senatsmitglieder in der Maßnahmenvollzugssache des A* nach § 21 Abs 2 StGB über die Beschwerde der Staatsanwaltschaft Krems a.d. Donau gegen den Beschluss des Landesgerichts Krems a.d. Donau vom 25. April 2025, GZ ** 23, nichtöffentlich den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Beschwerde wird dahin Folge gegeben, dass der angefochtene Beschluss aufgehoben und das Verfahren zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen wird.

Text

Begründung:

Mit Urteil des Landesgerichts Korneuburg vom 13. Dezember 2016, AZ **, wurde A* der Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 und Abs 3 erster und vierter Fall StGB und der schweren Nötigung nach §§ 15, 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1 erster Fall StGB schuldig erkannt und hiefür zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt; weiters ordnete das Erstgericht gemäß § 21 Abs 2 StGB die Einweisung des A* in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher an (ON 13).

Der Schuldspruch erfolgte, weil A* in der Nacht auf den 22. März 2016 in **

I./ mit einer unmündigen Person, und zwar dem am ** geborenen B*, eine dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlung unternahm, indem er sich entkleidete, den Genannten aufforderte, seinen erigierten Penis in den Mund zu nehmen, und anschließend dazu veranlasste, Oralverkehr an ihm bis zum Samenerguss vorzunehmen, wodurch B* in besonderer Weise erniedrigt wurde, zumal er in dessen Mund bzw. zumindest in sein Gesicht ejakulierte, wobei die Tat eine posttraumatische Belastungsstörung bei B*, sohin eine an sich schwere Körperverletzung (§ 84 Abs 1 StGB) zur Folge hatte;

II./ im Anschluss an die unter Spruchpunkt I./ geschilderte Handlung B* durch die sinngemäße Äußerung, er werde ihn und seinen Vater umbringen, sollte er etwas sagen, sohin durch gefährliche Drohung mit dem Tod, zu einer Unterlassung, und zwar einer Aussage über den unter Punkt I./ geschilderten Vorfall gegenüber seinem Vater, zu nötigen versuchte.

Bei der Strafbemessung wurde unter anderem die festgestellte Persönlichkeitsstörung im Sinne einer geistigen Abartigkeit höheren Grades, die intellektuelle Minderausstattung des Angeklagten sowie seine Enthemmung durch Alkohol mildernd gewertet.

Das urteilsmäßige Strafende war am 16. Oktober 2024, seither befindet sich der Untergebrachte im Maßnahmenvollzug.

Nachdem zuletzt mit Beschluss des Landesgerichts Krems a.d. Donau vom 19. August 2024, GZ ** ein Antrag des Untergebrachten auf bedingte Entlassung aus dem Maßnahmenvollzug abgewiesen und festgestellt worden war, dass die weitere Unterbringung des A* in einem forensisch therapeutischen Zentrum nach § 21 Abs 2 StGB notwendig ist (ON 14), ordnete das Erstgericht mit dem angefochtenen Beschluss (ON 23) nach Einholung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens Dris. C* (ON 17) sowie nach Anhörung des Untergebrachten (ON 22) gemäß § 47 StGB die bedingte Entlassung des A* aus dem Maßnahmenvollzug nach § 21 Abs 2 StGB ab Rechtskraft des Beschlusses, frühestens per 15. Mai 2025 unter Bestimmung einer zehnjährigen Probezeit, Anordnung von Bewährungshilfe und Erteilung folgender Weisungen an:

a) Wohnsitznahme in der Nachbetreuungseinrichtung D* in ** unter Einhaltung der dortigen Vorgaben, Regeln und Bedingungen (Hausordnung);

b) regelmäßige Teilnahme an der dortigen psychosozialen Betreuung, den dortigen Tagesstrukturangeboten sowie dem dortigen Arbeits /Beschäftigungsprogramm;

c) Fortsetzung der begonnenen Psychotherapie (derzeit bei Frau E*, Männerberatung);

d) Einhaltung strikter Alkohol und Drogenabstinenz und Duldung der Durchführung regelmäßiger Kontrollen der angeordneten Abstinenz in Form von Alkomatkontrollen nach der Rückkehr von Ausgängen, monatlichen CDT Kontrollen und unangekündigter Drogenharn Kontrollen;

e) Fortführung und Compliance im Hinblick auf die Einnahme der verordneten triebhemmenden Medikamente (SSRI);

f) Durchführung quartalsweise psychiatrischer Kontrollen;

g) regelmäßiger Kontakt zum beigegebenen Bewährungshelfer.

Begründend stützte sich das Erstgericht stark gekürzt zusammengefasst auf positive Stellungnahmen der Anstaltsleitung der Justizanstalt ** und des Maßnahmenteams, der Äußerung der F* im Zusammenhalt mit dem aktuellen psychiatrischen Gutachten des Sachverständigen Dr. C*, der aus gutachterlicher Sicht eine bedingte Entlassung des A* aus dem Maßnahmenvollzug unter Anordnung der im Spruch genannten flankierenden Weisungen empfohlen habe.

Am 27. Juni 2024 sei der Untergebrachte in die Nachbetreuungseinrichtung D* ausgelagert worden, wobei sich der Untergebrachte im Rahmen von Unterbrechungen der Unterbringung compliant verhalten habe, Alkohol und Drogenkontrollen seien stets negativ verlaufen. Der Untergebrachte selbst habe angegeben, seine Taten zu bereuen, mittlerweile habe er durch die Psychotherapien gelernt, mit Konflikten und Überforderung besser umzugehen, er könne heute schneller emotional regulieren, ziehe sich bei Konflikten zurück, verzichte auf Alkohol und Drogen und wisse wo er sich Hilfe holen könne, etwa bei seiner Psychotherapeutin oder dem Bewährungshelfer.

Im ergänzenden Bericht vom 23. April 2025 (ON 20.3) habe das Maßnahmenteam zusammengefasst mitgeteilt, dass die vom Sachverständigen Dr. C* empfohlenen Weisungen allesamt vorbereitet seien und eine Entlassung des Untergebrachten per 15. Mai 2025 organisiert und vorbereitet werden könne, der Untergebrachte habe sich im Rahmen zweier Telefonate gegenüber der zuständigen Sozialarbeiterin mit sämtlichen empfohlenen Weisungen ausdrücklich einverstanden erklärt. Die Nachsorgeeinrichtung Verein D* habe bestätigt, dass sich der Untergebrachte kooperativ zeige und insgesamt weiterhin ein sehr stabiler und guter Betreuungsverlauf vorliege (ON 20.2).

Der Untergebrachte erklärte am 30. April 2025 auf Rechtsmittel zu verzichten (ON 24), die Staatsanwaltschaft Krems a.d. Donau gab zunächst keine Rechtsmittelerklärung ab.

Noch während offener Rechtsmittelfrist berichtete das Departement Maßnahmenvollzug § 21 Abs 2 StGB der Justizanstalt **, dass es am 6. Mai 2025 zur ersten Verwarnung des A* im Rahmen der Unterbrechung der Unterbringung in der Nachsorgeeinrichtung D* gekommen sei, weil er zwei Stunden und zehn Minuten verspätet in die Wohneinrichtung zurückgekehrt und zudem alkoholisiert gewesen sei (ON 25).

Nach Einlangen dieses Berichts erhob die Staatsanwaltschaft Krems a.d. Donau fristgerecht Beschwerde gegen die Anordnung der bedingten Entlassung des A* (ON 26), monierte, dass der Strafgefangene nicht einmal während des aufrechten Maßnahmenvollzugs gewillt sei, die ihm aufgetragene Alkoholkarenz einzuhalten, weshalb nicht davon ausgegangen werden könne, dass er diese Weisung nach seiner bedingten Entlassung vollumfänglich einhalten werde. Beim Untergebrachten sei deshalb die einweisungsrelevante Gefährlichkeit, gegen die sich die Maßnahme richte, noch nicht im ausreichenden Ausmaß abgebaut, wobei auch eine engmaschige Überwachung und externe Strukturierung des Tagesablaufs und der Wohnsitznahme in der Nachbetreuungseinrichtung D* unzureichend sei. In Hinblick auf die Anlasstaten sowie die diagnostizierte Alkohol und Kokainabhängigkeit erscheine der gegenständliche Verstoß gegen das Alkoholverbot so gravierend, dass die Anordnung der bedingten Entlassung verfrüht erscheine und A* sich im Rahmen der Fortsetzung des Maßnahmenvollzugs weiter zu bewähren habe, weshalb beantragt werde, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und die Fortsetzung des Maßnahmenvollzugs anzuordnen.

Rechtliche Beurteilung

Dem Rechtsmittel kommt im spruchgemäßen Umfang Berechtigung zu.

Vorauszuschicken ist, dass im Verfahren vor dem Rechtsmittelgericht auch auf Umstände Rücksicht zu nehmen ist, die nach dem angefochtenen Beschluss eingetreten oder bekannt geworden sind (§ 89 Abs 2b dritter Satz StPO).

Aus dem aktuellen psychiatrischen Gutachten des Sachverständigen Dr. C* vom 5. April 2025 geht hervor, dass die ursprüngliche Diagnose beim Untergebrachten - eine histronischen unreife Persönlichkeitsstörung mit dissozialen Anteilen - mittlerweile vor dem Hintergrund der langjährigen Therapie und angesichts eines damit einhergehenden Nachreifungsprozesses in den Hintergrund getreten sei. Darüber hinaus leide der Untergebrachte an einer Alkoholabhängigkeit, gegenwärtig abstinent (ICD 10F 10.20) und einer Kokainabhängigkeit, gegenwärtig abstinent (ICD 10F 14.20).

Aus dem Bericht der D* in Ansehung der Unterbrechung der Unterbringung (ON 20.2) geht hervor, dass sich der Untergebrachte vom Substanzgebrauch distanziert habe, sämtliche Alkoholtests negativ verlaufen seien und es seitens des Betreuungspersonals keine Hinweise auf Substanzmissbrauch gebe (ON 20.2 S 2).

Unter Berücksichtigung des Umstands, dass der Untergebrachte gegenüber dem Sachverständigen Dr. C* angab, er verspüre keinerlei Bedürfnis nach Alkohol, weder Alkohol noch Drogen gingen ihm ab (ON 17 S 30), sich der Untergebrachte im Rahmen der Anhörung am 25. April 2025 ausdrücklich mit einer strikten Alkohol und Drogenabstinenz einverstanden erklärte (ON 22), der Untergebrachte jedoch noch vor Rechtskraft des Beschlusses offenkundig im Rahmen der Unterbrechung der Unterbringung gegen die dort erteilte Weisung der Alkoholkarenz verstieß und deutlich verspätet in die Nachsorgeeinrichtung zurückkehrte (vgl Weisungen ON 20.2 S 4), das Departement Maßnahmevollzug der Justizanstalt ** jedoch ungeachtet der mangelnden Compliance aufgrund des bisher sehr stabilen und guten Betreuungsverlaufs lediglich eine Verwarnung für indiziert erachtete (ON 25), war der bekämpfte Beschluss aufzuheben und die Sache dem Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufzutragen. Im ergänzten Verfahren wird der bestellte Sachverständige anlässlich des Weisungsverstoßes durch den Untergebrachten am 6. Mai 2025 (ON 25) ergänzend dahingehend Stellung zu nehmen haben, ob mit Blick auf den Weisungsverstoß des Untergebrachten im Rahmen der Unterbrechung der Unterbringung, noch dazu in Kenntnis der unmittelbar bevorstehenden bedingten Entlassung unter Auflagen (ON 22), dessen bedingte Entlassung nach wie vor befürwortet werden kann.

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