JudikaturOLG Wien

18Bs102/25v – OLG Wien Entscheidung

Entscheidung
12. Mai 2025

Kopf

Das Oberlandesgericht Wien hat durch die Richterin Mag. Heindl als Vorsitzende sowie die Richterinnen Mag. Primer und Dr. Hornich, LL.M., als weitere Senatsmitglieder in der Strafvollzugssache des A* wegen bedingter Entlassung aus Freiheitsstrafen über die Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen den Beschluss des Landesgerichts Krems an der Donau vom 3. April 2025, GZ **-12.3, nichtöffentlich den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Beschwerde wird dahin Folge gegeben, dass der angefochtene Beschluss aufgehoben und das Verfahren zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen wird.

Begründung:

Text

Der am ** geborene iranische Staatsangehörige A* verbüßt in der Justizanstalt ** eine über ihn mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 24. August 2021, rechtskräftig am selben Tag, AZ **, wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 2 Z 3, Abs 3 SMG, der Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 erster und zweiter Fall SMG, des Verbrechens des Diebstahls durch Einbruch nach §§ 15, 127, 129 Abs 2 Z 1 StGB und des Vergehens der Begehung einer mit Strafe bedrohten Handlung im Zustand voller Berauschung nach § 287 Abs 1 (§ 125) StGB verhängte Freiheitsstrafe in der Dauer von 18 Monaten sowie eine eine über ihn mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 19. Dezember 2023, rechtskräftig am selben Tag, AZ **, wegen des Vergehens der Vorbereitung von Suchtgifthandel nach § 28 Abs 1 erster Satz zweiter Fall SMG verhängte Freiheitsstrafe in der Dauer von 15 Monaten.

Das errechnete Strafende fällt auf den 22. Mai 2026. Die zeitlichen Voraussetzungen einer bedingten Entlassung gemäß § 46 Abs 1 StGB iVm § 152 Abs 1 Z 1 StVG liegen seit 6. Jänner 2025 vor, jene nach 46 Abs 1 StGB iVm § 152 Abs 1 Z 2 StVG werden am 22. Juni 2025 erfüllt sein.

Mit dem angefochtenen Beschluss vom 3. April 2025 (ON 12.1, 2; ON 12.3) bewilligte das Landesgericht Krems an der Donau als zuständiges Vollzugsgericht – entgegen der Stellungnahme der Staatsanwaltschaft (ON 1.2) und nach Anhörung des Strafgefangenen (ON 12.1) – dessen bedingte Entlassung gemäß § 46 Abs 1 StGB in Verbindung mit § 152 Abs 1 Z 2 StVG am 22. Juni 2025 unter Bestimmung einer dreijährigen Probezeit und Erteilung der Weisung des Inhalts „Für die Dauer der Probezeit wird die Weisung erteilt, dass sich der Strafgefangene weiterhin regelmäßig einer suchtherapeutischen Behandlung unterziehen muss.“ .

Mit Beschluss vom 4. April 2025 wurde überdies Bewährungshilfe angeordnet (ON 12.2).

Gegen den Beschluss vom 3. April 2025 (ON 12.3) richtet sich die fristgerechte Beschwerde der Staatsanwaltschaft (ON 13).

Der Strafgefangene gab dazu eine mit 25. April 2025 datierte Stellungnahme, eingelangt beim Beschwerdegericht am 5. Mai 2025, ab.

Rechtliche Beurteilung

Der Beschwerde kommt im spruchgemäßen Umfang Berechtigung zu.

Nach § 46 Abs 1 StGB ist einem Verurteilten nach Verbüßung der Hälfte der verhängten zeitlichen Freiheitsstrafe der Rest der Strafe unter Bestimmung einer Probezeit bedingt nachzusehen, sobald unter Berücksichtigung der Wirkung von Maßnahmen gemäß §§ 50 bis 52 StGB anzunehmen ist, dass er durch die bedingte Entlassung nicht weniger als durch die weitere Verbüßung der Strafe von der Begehung strafbarer Handlungen abgehalten wird. Besonderes Augenmerk ist nach Abs 4 leg.cit. darauf zu legen, inwieweit sich die Verhältnisse seit der Tat durch Einwirkung des Vollzugs positiv geändert haben bzw. ob negative Faktoren durch Maßnahmen nach §§ 50 bis 52 StGB ausgeglichen werden können. Hat der Verurteilte eine Tat unter Einfluss einer Therapiebedürftigkeit indizierenden Besonderheit begangen, kommt der Bereitschaft, eine bereits während der Haft begonnene Behandlung auch in Freiheit fortzusetzen, bei der Prognoseentscheidung gewichtige Bedeutung zu. Auch in diesem Fall setzt die bedingte Entlassung aber die Annahme der im Vergleich zur weiteren Verbüßung nicht geringeren Wirkung im Bezug auf künftige Straffreiheit voraus ( Jerabek/Ropper , WK² StGB § 46 Rz 15/1). Bei der zu erstellenden Verhaltensprognose sind insbesondere die Art der Tat, das private Umfeld des Verurteilten, sein Vorleben und seine Aussichten auf ein redliches Fortkommen in Freiheit in die Erwägungen einzubeziehen.

Vor jeder Entscheidung über die Gewährung oder Ablehnung der bedingten Entlassung hat das Vollzugsgericht in die Akten des Strafverfahrens Einsicht zu nehmen. Es sind alle Strafakten beizuschaffen, die Grundlage des Strafvollzugs sind. In analoger Anwendung des § 494a Abs 3 letzter Satz StPO kann sich das Gericht mit der Einsichtnahme in eine Abschrift des Urteils begnügen, wenn sie eine ausreichende Entscheidungsgrundlage darzustellen vermag ( Pieber , WK 2 StVG § 152 Rz 9).

Im konkreten Fall nahm das Erstgericht lediglich die vollzugsgegenständlichen Urteile des Landesgerichts für Strafsachen Wien zum Akt (ON 7 und ON 8), obwohl sich aus dem Akteninhalt, unter anderem aus dem ebenfalls zum Akt genommenen Beschluss des Landesgerichts Krems an der Donau vom 22. Oktober 2024, AZ **, mit welchem die bedingte Entlassung des Strafgefangenen nach § 152 Abs 1 Z 1 StVG aus spezialpräventiven Erwägungen abgelehnt worden war (ON 10), ergibt, dass die Beischaffung der gesamten vollzugsgegenständlichen Akten geboten gewesen wäre, weil dem Strafgefangenen bereits in beiden vollzugsgegenständlichen Verfahren nach Einholung von psychotherapeutischen Gutachten Strafaufschub nach § 39 Abs 1 Z 1 SMG gewährt worden war, der letztlich widerrufen werden musste.

Völlig unerörtert blieb im bekämpften Beschluss nämlich – wie die Staatsanwaltschaft zutreffend aufzeigt (ON 13, 3 f) –, weshalb das Erstgericht zur Annahme gelangte, dass der Strafgefangene nunmehr trotz ungenutzt gebliebener Resozialisierungschancen in Form von zwei Strafaufschüben nach § 39 Abs 1 Z 1 SMG, wobei er die der zweiten Verurteilung zugrunde liegenden Tathandlungen während offenen Strafaufschubs nach § 39 SMG beging (ON 10, 3) und er beim zweiten Strafaufschub die Therapie noch am Tag des Therapieantritts abbrach (Einsicht Verfahrensautomation Justiz), durch eine bedingte Entlassung nicht weniger als durch die weitere Verbüßung der Strafe von der Begehung strafbarer Handlungen abgehalten werde.

Die gebotene Auseinandersetzung des Strafgefangenen mit seiner Delinquenz und seiner Suchtgiftergebenheit während der Haft ist aus der vorliegenden Stellungnahme der Anstaltsleitung nicht ersichtlich. Eine Stellungnahme des psychologischen Dienstes liegt nicht vor. Er selbst führte aus, wöchentlich eine Einzeltherapie zu absolvieren (ON 12.1, 2).

Unabhängig davon muss eine Weisung nach § 51 StGB das auferlegte Gebot oder Verbot hinreichend deutlich bezeichnen und sich direkt an den bedingt Entlassenen richten, dies gilt auch für eine Behandlungsweisung. Die Weisung, „sich einer Therapie zu unterziehen“, reicht nicht (vgl Schroll/Oshidari , WK² StGB § 51 Rz 7 mwN; siehe auch Rz 39 ff zur Behandlungsweisung). Die gegenständliche Weisung „dass sich der Strafgefangene weiterhin regelmäßig einer suchtherapeutischen Behandlung unterziehen muss“ entspricht nicht den gesetzlichen Vorgaben, insbesondere lässt sich daraus nicht einmal ableiten, ob die Therapie stationär oder ambulant erfolgen soll.

Festzuhalten ist überdies, dass bedingt Entlassene grundsätzlich die mit der Erfüllung der ihnen erteilten Weisungen verbundenen Kosten selbst zu tragen haben (vgl RIS-Justiz RS0132825). Ein Ausspruch nach § 179a Abs 2 StVG erfolgte nicht.

Außerdem hat sich das Erstgericht nicht mit den zusätzlich vorhandenen Risikofaktoren auseinandergesetzt. Dem Akt sind keine konkreten Informationen über das Vorliegen eines sozialen Empfangsraums des Strafgefangenen zu entnehmen. Er selbst verweist in seiner Erklärung lediglich auf eine (unbelegt) vorhandene Wohn- und Arbeitsmöglichkeit (ON 2, 1). In der nur wenige Minuten dauernden Anhörung blieb dieser Umstand unerörtert, weshalb auch das Argument des Erstgerichts, der Strafgefangene habe in der Anhörung auch den Eindruck vermittelt, dass der Strafvollzug eine ausreichend abschreckende Wirkung gesetzt habe, um ihn von der Begehung weiterer Straftaten abzuhalten, nicht überzeugt (ON 12.3, 4). Die Beteuerungen des Strafgefangenen, es sei alles gut, er habe aus seinen Fehlern gelernt und werde nicht wieder zu Drogen zu greifen (ON 12.1, 2), vermögen eine Auseinandersetzung mit dem Inhalt der Urteilsakten, dem privaten Umfeld und den Aussichten auf ein redliches Fortkommen in Freiheit nicht zu ersetzen. Auch in seiner Stellungnahme vermag er den aufgegriffenen Beschwerdepunkten keine stichhaltigen Argumente entgegenzusetzen.

Das Verfahren ist daher mangelhaft geblieben und der Beschluss zu kassieren (§ 17 Abs 1 Z 3 StVG iVm § 89 Abs 2a Z 3 StPO).

Im weiteren Verfahren wird das Erstgericht sämtliche als Beurteilungsgrundlage erforderlichen Akten, eine Stellungnahme über die Dauer und den Verlauf der in Haft begonnenen Behandlung der Suchtgiftergebenheit des Strafgefangenen sowie Bestätigungen zum behaupteten Wohn- und Arbeitsplatz beizuschaffen haben. Sollten sich daraus wesentliche Anhaltspunkte dafür ergeben, dass sich die Verhältnisse des Verurteilten seit der Tat durch Einwirkung des Vollzugs tatsächlich positiv geändert haben und Aussichten auf ein redliches Fortkommen in Freiheit bestehen, sodass anzunehmen ist, dass er durch die bedingte Entlassung nicht weniger als durch die weitere Verbüßung der Strafe von der Begehung strafbarer Handlungen abgehalten wird, wird das Erstgericht ein psychotherapeutisches Gutachten zu den Erfolgsaussichten einer Behandlungsweisung sowie auch zur Klärung, ob eine mögliche Therapie ambulant oder stationär erfolgen soll, einzuholen haben.

Im Anschluss daran wird das Erstgericht neuerlich eine begründete Entscheidung unter Einbeziehung sämtlicher oben angeführter Parameter zu treffen haben.

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