3R174/24s – OLG Wien Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Wien hat als Berufungsgericht durch den Senatspräsidenten Mag. Iby als Vorsitzenden sowie den Richter Mag. Resetarits und den KR Binder in der Rechtssache der klagenden Partei A* GmbH , FN **, **, vertreten durch Mag. Franz Podovsovnik, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Republik Österreich , vertreten durch die Finanzprokuratur, wegen zuletzt EUR 668.696,07 s.A., über die Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Handelsgerichtes Wien vom 13.08.2024, **-18, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen und zu Recht erkannt:
Spruch
I. Das Berufungsverfahren wird fortgesetzt.
II. Der Berufung wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit EUR 4.551,10 bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Die ordentliche Revision ist nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Klägerin betreibt seit dem Jahr 1985 am Standort ** unter der Etablissementbezeichnung „B*“ ein Restaurant.
Von Jänner 2016 bis Mai 2017 wurde die Gaststätte vollständig neu errichtet. Im Juni 2017 wurde das Lokal neu eröffnet, sodass von Juni 2017 bis August 2018 ein Vollbetrieb stattfand. Aufgrund von Anrainerbeschwerden war eine Neubewilligung der Betriebsanlage erforderlich und musste das Lokal adaptiert werden. Das Lokal war sodann erneut von September 2018 bis April 2020 geschlossen; in diesem Zeitraum wurden keine Umsätze erzielt. Im Mai 2020 war die Neueröffnung. COVID-19-bedingt war das Restaurant dann wieder von 03.11.2020 bis 19.05.2021 geschlossen.
Am 10.11.2020 beantragte die Klägerin bei der COVID-19 Finanzierungsagentur des Bundes GmbH (in Folge COFAG) einen Lockdown-Umsatzersatz für November 2020 und am 04.01.2021 einen Lockdown-Umsatzersatz für Dezember 2020. Die COFAG zahlte für November 2020 einen Betrag von EUR 2.300,-- und für Dezember 2020 einen Betrag von EUR 5.170,70 an die Klägerin aus. Den Ersuchen der Klägerin, den Ersatzbetrag nach Punkt 4.7. des Anhanges 1 der VO Lockdown-Umsatzersatz (bzw für Dezember 2020: der 3. VO Lockdown-Umsatzersatz; in Folge nur: RL) zu ermitteln, kam die COFAG nicht nach.
Die Klägerin begehrte zuletzt die Zahlung von weiteren EUR 668.696,07 als Lockdown-Umsatzersatz für die Monate November und Dezember 2020. Sie habe ihren Restaurantbetrieb aufgrund von Anrainerbeschwerden von September 2018 bis Mai 2020 schließen müssen. Die Beklagte hätte daher den Umsatzverlust nicht nach Punkt 4.5.1. lit a der RL berechnen dürfen. Vielmehr hätte die Berechnung nach Punkt 4.5.1. lit b, c oder d oder nach Punkt 4.7. der RL erfolgen müssen. Im Hinblick auf die Einstellung des Restaurantbetriebes haben die Umsatzsteuervoranmeldungen (in Folge: UVA) aus dem Jahr 2019, aber auch die Steuerbescheide betreffend das Jahr 2019 die tatsächlichen wirtschaftlichen Verhältnisse der Klägerin nicht richtig abgebildet. Die für die Berechnung des Umsatzersatzes herangezogenen Daten der Finanzverwaltung (UVA für November bzw Dezember 2019) seien daher nicht aussagekräftig. Die Begriffe „ausreichend“ (Punkt 4.5.2. der RL) bzw. „aussagekräftig“ (Punkt 4.7. der RL) seien so zu interpretieren, dass – soweit irgend möglich – die fiktiven Umsätze für die Lockdown-Perioden so ermittelt werden, dass sie den wirtschaftlichen Verhältnissen des betroffenen Unternehmens entsprechen. Bei verfassungskonformer Interpretation der Verordnungen seien die UVA der Klägerin sohin nicht „ausreichend“ im Sinne des Punktes 4.5.2. der RL.
Die Beklagte beantragte Klagsabweisung und vertritt die Ansicht, Punkt 4.5.2. der RL sehe die zwingende Anwendung des Punktes 4.5.1. lit a der RL vor. Die Klägerin habe sowohl im November 2019 als auch im Dezember 2019 in der UVA einen Umsatz von EUR 0,00 gemeldet. Der Grund dafür sei irrelevant. Ein Umbau, der dazu führe, dass kein Umsatz erzielt worden sei, führe gemäß den Förderbedingungen ausdrücklich nicht zu einer Änderung und/oder Erweiterung der Bemessungsgrundlage.
Mit dem angefochtenen Urteil wies das Erstgericht das Klagebegehren mit der wesentlichen Begründung ab, eine Vorgehensweise nach Punkt 4.5.1. lit a der RL sei aufgrund der Formulierung des Punktes 4.5.2. der RL zwingend geboten gewesen. Das Datenmaterial sei für eine Berechnung ausreichend und aussagekräftig gewesen. Das Erstgericht ging dabei von dem im Berufungsverfahren nicht strittigen und auf den Urteilsseiten 2 bis 3 und 9 bis 23 ersichtlichen Sachverhalt aus, auf den verwiesen wird.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Klägerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, das Urteil abzuändern und dem Klagebegehren zur Gänze stattzugeben; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die Beklagte beantragt, der Berufung nicht Folge zu geben.
Aufgrund eines von der Klägerin erhobenen Parteiantrages auf Normenkontrolle wurde das Berufungsverfahren mit Beschluss vom 24.10.2024 bis zum Einlangen des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofs unterbrochen.
Mit Beschluss vom 04.03.2025, V 78-79/2024-9 , wies der Verfassungsgerichtshof den Antrag zurück, weshalb das Berufungsverfahren von Amts wegen fortzusetzen war.
Rechtliche Beurteilung
Die Berufung ist nicht berechtigt.
Gegenstand des Berufungsverfahrens ist die Frage, ob der Umsatzersatz der Klägerin zwingend nach Punkt 4.5.1 lit a der RL zu berechnen war.
1. Nach Punkt 4.2 der RL entspricht die Höhe des Lockdown-Umsatzersatzes 80% (bzw für Dezember 50%) des gemäß der Punkte 4.4, 4.5, 4.6 und 4.7 der RL zu ermittelnden Umsatzes des Antragstellers. Dazu ist gemäß Punkt 4.4 lit a der RL zunächst der nach einer der Berechnungsmethoden gemäß Punkt 4.5 der RL ermittelte Umsatz für November bzw Dezember 2019 (vergleichbarer Vorjahresumsatz) zu ermitteln. Punkt 4.5.1 der RL normiert, dass der als vergleichbarer Vorjahresumsatz heranzuziehende Umsatz des Antragstellers im November bzw Dezember 2019 von der Finanzverwaltung anhand der in Punkt 4.5.1 lit a bis lit d der RL genannten Berechnungsmethoden zu ermitteln ist, wobei Punkt 4.5.1 lit a der RL auf den in der UVA angegebenen Umsatz abstellt. Liegen der Finanzverwaltung zum Zeitpunkt der Antragstellung ausreichend Daten für die Berechnung gemäß Punkt 4.5.1 lit a der RL vor, so ist diese Berechnungsmethode für den vergleichbaren Vorjahresumsatz heranzuziehen (Punkt 4.5.2 zweiter Absatz der RL). Nur dann, wenn die notwendigen Daten nicht vorliegen, sind die Berechnungsmethoden gemäß Punkt 4.5.1 lit b oder c der RL anzuwenden. Erst wenn keine ausreichende Daten für die Ermittlung nach Punkt 4.5.1 lit a bis c der RL vorhanden sind, hat die Berechnung nach Punkt 4.5.1 lit d der RL zu erfolgen.
Punkt 4.7. der RL ermöglicht eine Korrektur der Daten, wenn es aufgrund mangelhafter, unvollständiger oder nicht aussagekräftiger Daten der Finanzverwaltung (beispielsweise einer falsch hinterlegten ÖNACE-Nr. oder nicht aussagekräftiger Daten aufgrund steuerlicher Sonderregime) bei der Ermittlung der Höhe des Lockdown-Umsatzersatzes zu Ergebnissen kommt, die erheblich von den tatsächlichen Verhältnissen abweichen.
2.Aus diesen Bestimmungen folgt, dass die Höhe des Umsatzersatzes grundsätzlich am Umsatz der Vergleichsmonate des Vorjahres anknüpft (so auch 1 Ob 181/22g [Rz 57]). Punkt 4.5.2 zweiter Absatz der RL normiert, dass die Beträge der UVA des Vergleichsmonates heranzuziehen sind, wenn ausreichend Daten für die Berechnung vorliegen. Nach dem eindeutigen Wortlaut stellt die Bestimmung lediglich darauf ab, ob Daten vorhanden sind, nicht jedoch, welchen Inhalt diese haben. Ob der Umsatz im November bzw Dezember 2019 daher besonders hoch oder niedrig war, ist für die Beurteilung der Frage, ob die Daten „ausreichend“ sind, nicht von Bedeutung. Da Daten der Klägerin aus der UVA vorhanden waren, kam eine Ermittlung des vergleichbaren Vorjahresumsatzes nach den Punkten 4.5.1. lit b bis d der RL nicht in Frage.
3. Die Berufungswerberin meint, die Daten seien aber jedenfalls nicht aussagekräftig iSd Punktes 4.7 der RL, wobei sie mehrfach ins Treffen führt, der (nicht erzielte) Umsatz im November und Dezember 2019 sei nicht repräsentativ für die tatsächliche wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Unternehmens. Darauf kommt es aber nicht an. Die Verordnungen stellen bei der Ermittlung des Umsatzersatzes auf das Vergleichsmonat des Vorjahres ab. Aus dem Gesamtzusammenhang der Richtlinie folgt eindeutig, dass ein Vorgehen nach Punkt 4.7 nur dann zu erfolgen hat, wenn die vorhandenen Daten formell mangelhaft sind. Der Umstand, dass im Vergleichszeitraum (aus welchen Gründen auch immer) ein besonders hoher oder niedriger Umsatz erzielt wurde, macht die Daten für das konkrete Vergleichsmonat jedoch nicht „nicht aussagekräftig“ im Sinne der Bestimmung. Entgegen der Rechtsansicht der Berufungswerberin kommt es lediglich darauf an, ob die vorhandenen Daten für den Vergleichszeitraum (hier: November bzw Dezember 2019) aussagekräftig sind, nicht jedoch ob diese Daten auch für andere Monate, die für die Berechnungen nicht von Relevanz sind, Aussagekraft haben. Punkt 4.7 der RL ist nämlich nicht zu entnehmen, dass anstelle eines wenig ertragreichen Monates ein anderes umsatzstärkeres Monat für die Berechnung herangezogen werden kann. Wenn der Umsatz im Vergleichsmonat besonders gering oder gar nicht vorhanden war, steht einem Unternehmer lediglich der Mindestbetrag laut Punkt 4.2.2 der RL zu. Dass diese Auslegung der Intention des Verordnungsverfassers entspricht, folgt auch aus dem Inhalt der FAQ des BMF (Beilagen ./3 und ./4).
5. Diese Auslegung führt auch zu keinem verfassungswidrigen Ergebnis. Da bei den finanziellen Maßnahmen zur Abfederung negativer wirtschaftlicher Auswirkungen der COVID-19-Pandemie oftmals rasches Handeln und flexible Anpassungen erforderlich waren, ist es unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten nicht zu beanstanden, wenn der Gesetzgeber der Vollziehung entsprechende Spielräume bei der Gewährung der unterschiedlichen finanziellen Maßnahmen einräumt. Der Gleichheitsgrundsatz setzt dem Gesetzgeber aber insofern inhaltliche Schranken, als er verbietet, sachlich nicht begründbare Regelungen zu treffen. Die Gewährung von staatlichen Zuwendungen hat daher nach sachlichen Kriterien zu erfolgen (VfGH V 42/2024, G 69/2024). Die Berufungswerberin erblickt eine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes darin, dass ein Unternehmen, das aufgrund einer behördlichen Schließung im Jahr 2019 keine Umsätze erzielen konnte, schlechter behandelt wird als ein Unternehmen, das neu gegründet wurde. Der Verfassungsgerichtshof vertritt in ständiger Rechtsprechung, dass nicht mit dem Maß des Gleichheitsgrundsatzes gemessen werden kann, ob eine Regelung zweckmäßig ist und das Ergebnis in allen Fällen als befriedigend empfunden wird. Geht der Gesetzgeber bei einer Regelung von einer nachvollziehbaren Durchschnittsbetrachtung aus, ist diese Regelung aus verfassungsrechtlicher Perspektive nicht zu beanstanden, mögen dadurch in manchen Fällen auch Ergebnisse erzielt werden, die von den Betroffenen als unbefriedigend empfunden werden (VfGH V 42/2024, G 69/2024). Rechtspolitisch wurde die Entscheidung getroffen, auch neu gegründeten Unternehmen eine Förderung zukommen zu lassen. Dass für bestehende und neu gegründete Unternehmen unterschiedliche Regelungen bestehen, ist unter dem Blickwinkel des Gleichheitsgrundsatzes nicht zu beanstanden, weil dabei nicht gleiche Sachverhalte ungleich behandelt werden. Vielmehr trägt die Regelung des Punktes 4.5.2 der RL dem Umstand Rechnung, dass neu gegründete Unternehmen im Vergleichszeitraum noch gar keine Umsätze erzielen konnten. Zwar hatten auch geschlossene Betriebe im Vergleichszeitraum keine Umsätze. Dies ist aber jedenfalls auf einen anderen Grund zurückzuführen als bei neu gegründeten Unternehmen, weshalb die Differenzierung zwischen bestehenden und neu gegründeten Unternehmen sachlich gerechtfertigt ist. Das Berufungsgericht hegt daher keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen Punkt 4.5 der RL. Weshalb die Regelung gegen das Willkürverbot, die Erwerbsfreiheit und die Eigentumsfreiheit verstoßen soll, wird in der Berufung nicht ausgeführt.
Die Abweisung des Klagebegehrens erfolgt daher zu Recht.
6.Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO.
7.Die ordentliche Revision war nicht zuzulassen, weil keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO zu beurteilen war.