JudikaturOLG Wien

17Bs389/24s – OLG Wien Entscheidung

Entscheidung
13. Januar 2025

Kopf

Das Oberlandesgericht Wien hat durch den Senatspräsidenten Dr. Röggla als Vorsitzenden sowie die Richterin Mag. Schneider-Reich und den Richter Ing.Mag. Kaml als weitere Senatsmitglieder in der Strafsache gegen A*wegen § 83 Abs 1 StGB über dessen Beschwerde gegen den Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 15. Dezember 2024, GZ **-6, nichtöffentlich den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Beschwerde wird Folge gegeben, der angefochtene Beschluss aufgehoben, dem Einspruch wegen Rechtsverletzung des A* vom 3. Dezember 2024 (ON 5) Folgegegeben und festgestellt, dass durch die unterlassene Zustellung der Benachrichtigung des Beschuldigten von der Einstellung des Verfahrens an seinen ausgewiesenen Verteidiger das Gesetz in § 83 Abs 4 StPO verletzt wurde.

Text

Begründung:

Am 31. Juli 2024 übermittelte die PI B* der Staatsanwaltschaft Wien zu GZ ** einen Anschlussbericht betreffend den am ** geborenen A* wegen des Verdachts der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB zum Nachteil der C* (ON 2), der bereits die Bekanntgabe der Bevollmächtigung der Rechtsanwälte Dr. D*, Mag. E* und Mag. F* vom 19. Juli 2024 samt Antrag auf Ermittlung einer Aktenabschrift (ON 2.14) beinhaltete.

Am 2. August 2024 wurde das Verfahren zu ** sofort nach § 190 Z 2 StPO eingestellt und hievon (neben dem Opfer und der Kriminalpolizei) der Beschuldigte A* verständigt (ON 1.1).

Nach einem Akteneinsichtsbegehren der ausgewiesenen Rechtsvertretung am 28. November 2024 (ON 4), das uneingeschränkt bewilligt wurde (ON 1.2), erhob A* Einspruch wegen Rechtsverletzung nach § 106 StPO und führte dazu aus, die Verteidiger hätten sich bereits am 19. Juli 2024 mit der Vollmachtsbekanntgabe ausgewiesen, seien bei seiner Beschuldigtenvernehmung am 31. Juli 2024 anwesend gewesen und hätten erst – nachdem sie über Monate hinweg keine Veränderung im Verfahren bemerkt hätten – durch die Akteneinsicht vom 28. November 2024 in Erfahrung gebracht, dass längst eine Einstellung des Verfahrens erfolgt sei, wodurch sie auch erfahren hätten, dass entgegen den Bestimmungen des § 83 Abs 4 StPO keine Zustellung an die ausgewiesenen Verteidiger erfolgt und hiedurch das subjektive Recht des Beschuldigten verletzt worden sei.

Nachdem die Staatsanwaltschaft dem Begehren auf Zustellung entsprochen hatte, legte sie den Akt dem Landesgericht für Strafsachen Wien zur Entscheidung über den Einspruch wegen Rechtsverletzung im Hinblick auf die ausdrücklich beantragte Feststellung der Gesetzesverletzung vor (ON 1.3 – 1.6).

Mit dem angefochtenen Beschluss wies das Landesgericht für Strafsachen Wien den Einspruch ab und führte begründend aus, dass zwar das subjektive Recht auf Zustellung der Einstellung an den Verteidiger verletzt worden sei, die Verletzung jedoch mangels Beschwer des Antragstellers nicht geeignet sei, die weiteren Voraussetzungen des § 106 StPO zu erfüllen, weil die Verletzung nicht geeignet wäre, die Ausübung eines Rechtes zu verweigern.

Rechtliche Beurteilung

Gegen diesen Beschluss richtet sich die rechtzeitige Beschwerde des A* (ON 7), der Berechtigung zukommt.

Gemäß § 106 Abs 1 StPO steht ein Einspruch an das Gericht jeder Person zu, die behauptet, im Ermittlungsverfahren durch die Staatsanwaltschaft in einem subjektiven Recht verletzt zu sein, weil ihr entweder die Ausübung eines Rechts nach diesem Gesetz verweigert oder (Z 1) oder eine Ermittlungs- oder Zwangsmaßnahme unter Verletzung von Bestimmungen dieses Gesetzes angeordnet oder durchgeführt wurde (Z 2).

Als subjektive Rechte sind somit solche zu verstehen, welche den Betroffenen einen Anspruch auf ein bestimmtes Verfahrensrecht nach der StPO einräumen oder die Voraussetzungen und Bedingungen festlegen, die bei der Ausübung von Zwang gegenüber Betroffenen nach der StPO konkret einzuhalten sind.

Umfang der Prüfung ist die Rechtmäßigkeit staatsanwaltschaftlichen Handelns. Bei der Behauptung der Verletzung eines subjektiven Rechts im Ermittlungsverfahren nach § 106 Abs 1 StPO muss es sich grundsätzlich um das eigene subjektive Recht des Einspruchswerbers handeln (Pilnacek/Stricker WK-StPO § 106 Rz 10). Das Gericht hat ausschließlich die Einhaltung der StPO zu prüfen, es ist auf die Kontrolle der Rechtmäßigkeit beschränkt.

Auch gegen eine erst nach Einstellung des Ermittlungsverfahrens getroffene Entscheidung der Staatsanwaltschaft kann in Fällen behaupteter Verletzung in einem von der Strafprozessordnung eingeräumten subjektiven Recht Einspruch wegen Rechtsverletzung erhoben werden (RIS-Justiz RS0132414).

Die StPO regelt in § 83 Abs 4 StPO, dass soweit der Beschuldigte oder ein anderer Beteiligter des Verfahrens durch einen Verteidiger oder eine andere Person vertreten wird, diesem Verteidiger oder Vertreter zuzustellen ist (mit Ausnahme der Ladung zur Hauptverhandlung in erster Instanz, des Abwesenheitsurteils sowie Verständigungen nach dem 11. Hauptstück der StPO). Eine rechtswirksame Zustellung kann somit nur an den ausgewiesenen Vertreter bzw Verteidiger erfolgen; wird dennoch an den vertretenen Beschuldigten zugestellt, so entfaltet dies keine Rechtswirkung, selbst dann, wenn das Schriftstück in weiterer Folge dem Vertreter zukommt (Murschetz in WK-StPO § 83 Rz 2 mwN). Es handelt sich dabei um ein in der StPO verbrieftes subjektives Recht des Beschuldigten, dass – wie das Erstgericht selbst erkannte – durch die Zustellung der Benachrichtigung des Beschuldigten von der Einstellung des wider ihn geführten Strafverfahrens an ihn statt an seinen ausgewiesenen Verteidiger verletzt wurde. Nicht zutreffend hingegen ist die Ansicht des Erstgerichts, dem Einspruchswerber mangle es an einer Beschwer, weil die Gesetzesverletzung nicht geeignet sei, die Ausübung eines Rechts zu verweigern, stellt doch die Zustellung an den ausgewiesenen Verteidiger das genannte Recht nach der StPO dar, das durch die Zustellung ausschließlich an den Beschuldigten selbst bereits verweigert und verletzt wurde. Die Spekulation der Erstrichterin darüber, dass der ehemals Beschuldigte keine sonstigen Nachteile erleiden könne, ist im Lichte dessen, dass sich zumindest wohl Kostenfolgen für ihn ergeben könnten, nicht nachvollziehbar.

In Stattgebung der Beschwerde war daher festzustellen, dass durch die unterlassene Zustellung der Benachrichtigung des A* von der Einstellung des wider ihn geführten Strafverfahrens an seinen ausgewiesenen Verteidiger das Gesetz in § 83 Abs 4 StPO verletzt wurde.

Gegen diesen Beschluss steht ein weiterer Rechtszug nicht zu.