22Bs5/24g – OLG Wien Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Wien hat als Berufungsgericht in der Strafsache gegen A* und B* wegen Verbrechen der Schlepperei nach § 114 Abs 1, Abs 3 Z 1, Z 2 und Z 3, Abs 4 erster Fall FPG und weiterer strafbarer Handlungen über die Berufungen der Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt als Schöffengericht vom 5. September 2023, GZ 52 Hv 65/23k-94.3, wegen des Ausspruchs über Strafe und den Verfall am 6. Februar 2024 unter dem Vorsitz der Senatspräsidentin Mag. Mathes, im Beisein der Richter Mag. Hahn und Mag. Gruber als weitere Senatsmitglieder, in Gegenwart der Oberstaatsanwältin Mag. Wallenschewski, in Anwesenheit der Angeklagten und ihres Verteidigers Dr. Dr. Dohr, LL.M., LL.M. durchgeführten Berufungsverhandlung zu Recht erkannt:
Spruch
Den Berufungen wird nicht Folge gegeben.
Gemäß § 390a Abs 1 StPO fallen den Angeklagten auch die Kosten des Berufungsverfahrens zur Last.
Text
Entscheidungsgründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurden A* der „Verbrechen der Schlepperei nach § 114 Abs 1, Abs 3 Z 1, Z 2 und Z 3 und Abs 4 erster Fall FPG“ (I. und II.) sowie B* der „Verbrechen der Schlepperei nach § 114 Abs 1, Abs 3 Z 2 und Z 3 und Abs 4 erster Fall FPG“ (I. und III.) schuldig erkannt und jeweils nach § 114 Abs 4 FPG A* zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten und B* zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt.
Gemäß § 20 Abs 1 StGB wurden EUR 1.600, bei A* und EUR 10, bei B* für verfallen erklärt.
Danach haben A* und B* die rechtswidrige Einreise von Fremden, nämlich asylsuchenden Drittstaatsangehörigen ohne gültige Einreise oder Aufenthaltserlaubnis für die Europäische Union, in oder durch einen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder Nachbarstaat Österreichs mit dem Vorsatz gefördert, sich oder einen Dritten durch ein dafür geleistetes Entgelt unrechtmäßig zu bereichern, und zwar
I. im bewussten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter (§ 12 [erster Fall] StGB) am 16. März 2023, indem sie 30 Fremde versteckt in einem von ihnen gelenkte Sattelzugfahrzeug samt Sattelanhänger in einer rund 24-stündigen Fahrt ohne Pause, ohne Toilettenmöglichkeiten, ohne Nahrung, ohne ausreichend Frischluft und zusammengepfercht zwischen dem Ladegut von Rumänien nach Österreich, **, beförderten;
II. A*
1. am 21. Februar 2023, indem er sieben Fremde versteckt in einem von ihm gelenkten Sattelzugfahrzeug samt Sattelanhänger von Rumänien über Ungarn bis nach Österreich, **, beförderte;
2. am 11. November 2022 im Zusammenwirken mit einem bislang unbekannten Täter, indem er 31 Fremde versteckt in einem von ihnen gelenkten Sattelzugfahrzeug samt Sattelanhänger von Rumänien über Ungarn nach Österreich, **, beförderte;
3. am 2. Dezember 2022, indem er zwölf Fremde versteckt in einem von ihm gelenkten Sattelzugfahrzeug samt
Sattelanhänger von Rumänien über Ungarn und Österreich nach Deutschland beförderte;
III. B* am 24. Jänner 2023, indem er 14 Fremde versteckt in einem von ihm gelenkten Sattelzugfahrzeug samt Sattelanhänger von Rumänien über Ungarn bis nach Österreich, **, beförderte;
wobei sie die Taten nach § 114 Abs 1 FPG jeweils als Mitglied einer – aus ihnen beiden sowie weiteren unbekannten Tätern bestehenden – kriminellen Vereinigung, in Bezug auf jeweils mindestens drei Fremde, zu Punkt I. auf eine Art und Weise, durch die die Fremden, insbesondere während der Beförderung, längere Zeit hindurch in einen qualvollen Zustand versetzt wurden, und A* überdies „gewerbsmäßig (§ 70 Abs 1 Z 3 erster Fall StGB)“ begingen.
Bei der Strafbemessung wertete das Erstgericht beim Erstangeklagten als erschwerend die über die Gewerbsmäßigkeit hinausgehende Tatwiederholung, die Vielzahl der Geschleppten und die mehrfache Deliktsqualifikation, mildernd den bisher ordentlichen Lebenswandel und das letztlich reumütige Geständnis, beim Zweitangeklagten erschwerend das Zusammentreffen zweier Verbrechen, die Vielzahl der Geschleppten und die mehrfache Deliktsqualifikation, mildernd den bisher ordentlichen Lebenswandel und das überwiegend reumütige Geständnis.
Nach Zurückweisung der Nichtigkeitsbeschwerden durch Erkenntnis des Obersten Gerichtshofs vom 14. Dezember 2023 ist über die Berufungen der Angeklagten wegen Strafe, die auf eine tat- und schuldangemessene Herabsetzung der verhängten Freiheitsstrafen und deren zumindest teilweise bedingte Nachsicht abzielt, und des Ausspruchs über den Verfall (ON 99.2) zu erkennen.
Vorauszuschicken ist, dass der Oberste Gerichtshof in seinem Erkenntnis zur Klarstellung festhielt, dass hinsichtlich beider Rechtsmittelwerber die Feststellungen zu den Transportbedingungen (US 5) nur zu I. die Subsumtion auch nach § 114 Abs 3 Z 3 FPG (Versetzung des oder der Geschleppten in einen qualvollen Zustand) tragen (vgl 12 Os 56/18d).
Solcherart hat A* (nicht die, sondern) das Verbrechen der Schlepperei nach § 114 Abs 1, Abs 3 Z 1, Z 2 und Z 3, Abs 4 erster Fall FPG (I.) und die Verbrechen der Schlepperei nach § 114 Abs 1, Abs 3 Z 1 und Z 2, Abs 4 erster Fall FPG (II.) verwirklicht.
B*, bei dem die Tatrichter gewerbsmäßige Tatbegehung nicht annahmen (US 12), hat demnach das Verbrechen der Schlepperei nach § 114 Abs 1, Abs 3 Z 2 und Z 3, Abs 4 erster Fall FPG (I.) und das Verbrechen der Schlepperei nach § 114 Abs 1, Abs 3 Z 2, Abs 4 erster Fall FPG (III.) verwirklicht.
Aufgrund dieser Klarstellung besteht bei der Entscheidung über die Berufung keine Bindung an die fehlerhafte Subsumtion (RIS-Justiz RS0118870).
Rechtliche Beurteilung
Der Berufung der Angeklagten kommt Berechtigung nicht zu.
Wie das Erstgericht mängelfrei erwog, ist die Grundlage für die Bemessung der Strafe jeweils einzelfallbezogen die Schuld des Täters, wobei das Gericht Erschwerungs- und Milderungsgründe, soweit sie nicht schon die Strafdrohung bestimmen, gegeneinander abzuwägen und auch auf die Auswirkungen der Strafe und anderer zu erwartender Folgen der Tat auf das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft Bedacht zu nehmen hat. Dabei ist vor allem zu berücksichtigen, inwieweit die Tat auf eine gegenüber rechtlich geschützten Werten ablehnende oder gleichgültige Einstellung des Täters und inwieweit sie auf äußere Umstände oder Beweggründe zurückzuführen ist, durch die sie auch einem mit den rechtlich geschützten Werten verbundenen Menschen nahe liegen könnte. Im Allgemeinen ist die Strafe umso strenger zu bemessen, je größer die Schädigung oder Gefährdung ist, die der Täter verschuldet oder die er zwar nicht herbeigeführt, aber auf die sich sein Verschulden erstreckt hat, je mehr Pflichten er durch seine Handlung verletzt, je reiflicher er seine Tat überlegt, je sorgfältiger er sie vorbereitet oder je rücksichtsloser er sie ausgeführt hat und je weniger Vorsicht gegen die Tat hat gebraucht werden können. Belange der Generalprävention sind bei der auszumessenden Strafe ebenso zu berücksichtigen ( Tipold in Leukauf / Steininger , StGB 4 § 32 Rz 9; Fabrizy / Michel-Kwapinski / Oshidari , StGB 14 § 32 Rz 7; RIS-Justiz RS0090600).
Das Erstgericht hat die Strafzumessungsgründe im Wesentlichen korrekt erfasst und auch angemessen gewichtet, währenddessen es den Angeklagten nicht gelingt Mängel in der Strafzumessung zu ihren Ungunsten geltend zu machen.
Dem Berufungsvorbringen zuwider liegt der Milderungsgrund des § 34 Abs 1 Z 6 StPO nicht vor.
Als untergeordneter Tatbeitrag ist nur ein Verhalten strafmildernd, welches nach Art und Umfang für die Tatausführung nicht erheblich ist. Dies trifft etwa auf an sich nicht notwendige, aber noch in einer kausalen Beziehung stehende Teiltathandlungen wie Aufpasserdienste zu, nicht aber zB auf den Lenker eines bei einem Einbruchsdiebstahl verwendeten Fahrzeugs ( Riffel WK 2 StGB § 34 Rz 16) und schon gar, nicht wie fallkonkret vorliegend, auf das Lenken des Fahrzeugs mit dem die Fremden geschleppt werden, das eine unmittelbare Tathandlung darstellt.
Das Erstgericht hat auch, wie moniert, bei beiden Angeklagten ein (umfassend) reumütiges Geständnis mildernd erwogen, wobei ein umfassendes reumütiges Geständnis im Sinn des Milderungsgrundes des § 34 Abs 1 Z 17 StGB nicht vorliegt.
Die beiden Angeklagten, die in ihren Einvernahmen vor den Kriminalbehörden und der Haft- und Rechtsschutzrichterin sich nicht geständig verantworteten, bekannten sich letztlich eingangs der Hauptverhandlung formal für schuldig und gaben übereinstimmend an, die Sache zu bereuen um in unmittelbaren Anschluss auf Fragen zu den Schlepperfahrten II. und III. keinerlei nähere Angaben zum Tathergang und den Abläufen der Fahrten zu machen, sondern sagten ab nun von ihrem Schweigerecht Gebrauch zu machen (ON 94, Seite 5 ff). Der Zweitangeklagte gab darüber hinaus auch während der Hauptverhandlung an, die Schlepperfahrt vom 24. Jänner 2023 nicht vorgenommen zu haben, sodass mangels Zeugenaussagen und weiterer dahingehenden Beweismittel Feststellungen zu näheren Transportbedingungen zu den Schlepperfahrten Fakten II. und III. nicht getroffen werden konnten. Es kann ihnen sohin die für den Milderungsgrund der ersten Variante des § 34 Abs 1 Z 17 StGB erforderliche Reumütigkeit (RIS-Justiz RS0091585) gerade noch für die Schlepperfahrt Spruchpunkt I., anlässlich derer sie auf frischer Tat betreten wurden, zugute gehalten werden, nicht jedoch ein Beitrag zur Wahrheitsfindung. Dieser hat nicht nur durch das anfängliche Leugnen und der Verweigerung weiterer Angaben anlässlich der Hauptverhandlung nicht stattgefunden, sondern hätten auch die überwiegenden Belastungen durch das aufwendig durchgeführte Beweisverfahren und die umfassenden kriminalpolizeilichen Erhebungen durch das LKA Niederösterreich, in welchem vorab die rumänischen Grenzregistrierungen eingeholt wurden und sodann ein Zeit/Wegdiagramm durch die Auskunft der ASFINAG Mautdaten hinsichtlich der Fahrten erfolgte, im Verband mit den jeweiligen Aufgriffen der Fremden an den ausgewiesenen Örtlichkeiten und die am Handy des Erstangeklagten sichergestellten und ausgewerteten Absetzvideos, in welchen die Angeklagten als Beweis für die Organisation Videos von der Anzahl der geschleppten Personen anfertigten, keine Bedeutung für die Erleichterung der Beweisführung gehabt. Angesichts dieser objektivierten Beweisergebnisse wäre nicht nur ein Leugnen sinnlos, sondern hätte auch ein weitergehendes Geständnis keine Bedeutung für die Erleichterung der Beweiswürdigung gehabt (RIS-Justiz RS0091460).
Im Lichte der eingangs angeführten Prämissen ist der Schuldgehalt, der Handlungs-, Gesinnungs- wie Erfolgsunwert der Tathandlungen als hoch einzustufen.
Beim Erstangeklagten ist zu erwägen, dass er bei seinen Fahrten insgesamt achtzig Fremde schleppte und die Qualifikation des § 114 Abs 3 Z 2 FPG vielfach überschritt und – wie das Erstgericht zutreffend erwog - dass er gleich vier Qualifikationstatbestände erfüllt und die Qualifikation des Versetzens längere Zeit hindurch in einen qualvollen Zustand nach § 114 Abs 3 Z 3 FPG bereits erfüllt ist, wenn dies auf einen einzigen Fremden zutrifft, der Erstangeklagte wie der Zweitangeklagte jedoch durch die zu Spruchpunkt I. geschilderte Handlung gleich dreißig Fremde in einen solchen Zustand versetzten.
Auch der Zweitangeklagte schleppte bei seinen beiden Fahrten insgesamt vierundvierzig Fremde, wobei ihm zugute zu halten ist, dass nach dem rechtskräftigen Schuldspruch er die Taten nicht auch gewerbsmäßig beging.
Die vorliegenden Handlungen weisen nicht nur gegenüber den (qualvoll) geschleppten Fremden ein hohes Tatunrecht, sondern auch einen hohen sozialen Störwert auf, sie indizierten auch umfangreiche Abwehrmaßnahmen durch europäische kriminalbehördliche und staatsanwaltschaftliche Ermittlungen, sodass das Erstgericht zutreffend erwog, dass die Strafbemessung auch generalpräventiven Erwägungen Rechnung tragen und deutlich gezeigt werden muss, dass derart sozial- und volkswirtschaftlich schädliche Straftaten auch merkbare Strafen nach sich führen.
Für eine Herabsetzung des Strafausmaßes bieten weder das Berufungsvorbringen noch der Akteninhalt begründeten Anlass, zumal diesem Anliegen nicht nur der durch die Tathandlungen zum Ausdruck gekommene, in der Person der Angeklagten liegende charakterliche Mangel spezialpräventiv entgegensteht, sondern aus den von den Angeklagten gesetzten Tathandlungen eine gegenüber rechtlich geschützten Werten besonders ablehnende bzw. gleichgültige Einstellung erhellt (§ 32 Abs 2 StGB).
Eine Reduktion der Freiheitsstrafe oder auch nur teilbedingte Nachsicht derselben scheitert aber eben auch an Aspekten der Generalprävention, zumal gerade Schlepperei besorgniserregende Wachstumsraten aufweist und dieser Kriminalitätsform nur durch hohe unbedingte Strafen begegnet werden kann. Im Sinne geordneter Rechtspflege ist es von eminenter Bedeutung, dass potenziellen Nachahmungstätern vor Augen geführt wird, dass derartige der Schwerkriminalität zuzuzählende Delikte mit der gebotenen Härte des Gesetzes geahndet werden, um der Begehung vergleichbarer strafbarer Handlungen durch andere entgegenzuwirken und das Vertrauen in den Rechtsstaat und sein Funktionieren nicht zu erschüttern. Zur einigermaßen aussichtsreichen Eindämmung dieser auch mit hohen kriminellen Erlösen für die Täter einhergehenden Verbrechensform bedarf es konsequenter Wahrnehmung der verfügbaren Abwehrmöglichkeiten, von denen der Strafübelswirkung ganz wesentliche Bedeutung zukommt.
Der Hinweis auf in anderen Verfahren verhängte Strafen kann im Hinblick auf die Besonderheit jedes einzelnen Falls nicht zielführend sein, zumal, wie eingangs erwogen, die Schuld des Täters Grundlage der Strafbemessung zu sein hat (vgl. Mayerhofer, StGB 6 § 32 E 5).
Der Ausspruch des Verfalls, basierend auf den Feststellungen hinsichtlich des erhaltenen Entgelts, gründet in der bezogenen Gesetzesstelle und begegnet keinen Bedenken durch das Berufungsgericht wobei darauf hinzuweisen ist, dass es sich hierbei um keine Strafe sondern um eine vermögensrechtliche Maßnahme eigener Art handelt (OGH 14 Os 133/21x).