32Bs212/22v – OLG Wien Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Wien als Vollzugssenat nach § 16a StVG hat durch die Senatspräsidentin Mag. Seidl als Vorsitzende sowie die Richterin Dr. Vetter und den fachkundigen Laienrichter Oberst Turner als weitere Senatsmitglieder in der Vollzugssache des M***** H***** über dessen Beschwerde gegen den Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Vollzugsgericht vom 18. Mai 2022, GZ *****, nach § 121b Abs 3 StVG in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Beschwerde wird Folge gegeben, der angefochtene Beschluss aufgehoben und in der Sache selbst erkannt :
M***** H***** wurde in Ansehung des am 2. Mai 2021 ausgegebenen Abendessens in seinem subjektiv-öffentlichen Recht auf Ausfolgung einer den ernährungswissenschaftlichen Erkenntnissen entsprechenden und schmackhaften Verpflegung (§ 38 Abs 1 StVG) verletzt.
Text
Begründung
Mit dem angefochtenen Beschluss gab das Landesgericht für Strafsachen Wien als Vollzugsgericht im zweiten Rechtsgang (vgl zum ersten Rechtsgang ON 16) einer Beschwerde des M***** H***** vom 18. Juli 2021 (ON 1) gegen die Entscheidung des Leiters der Justizanstalt Stein vom 14. Juli 2021 (ON 4 S 17) nicht Folge.
Begründend wurde wortwörtlich ausgeführt wie folgt:
Im – gegenständlich zur Beurteilung des Sachverhalts relevanten – Zeitraum vom 15. März 2021 bis zum 16. Mai 2021 befand sich M***** H***** in der Justizanstalt Stein. Diese war beginnend mit März 2021 mit einem COVID-19 Cluster innerhalb der Anstalt konfrontiert. Die bis dato in dieser Form noch nie dagewesene „Notsituation“ stellte sowohl die Bediensteten als auch die Insassen der Anstalt vor neue Herausforderungen. Um dem Infektionsgeschehen entgegenzuwirken, wurden zunächst sowohl anstaltsinterne als auch Außenkontakte auf das unbedingt notwendige Maß eingeschränkt. Dies war zum Schutz und zur Prävention im Hinblick auf das sich schnell ausbreitende, hoch ansteckende Virus erforderlich, wobei Einschränkungen für Insassen und Bedienstete aufgrund dieser Ausnahmesituation unvermeidbar waren.
Dennoch stiegen die Infektionszahlen weiter an und es musste, da die Verpflegung der Insassen durch die Anstaltsküche nicht mehr sichergestellt werden konnte, ab 22. März 2021 bis einschließlich 16. Mai 2021 die Normalkostverpflegung der Insassen über das Militärkommando Niederösterreich abgerufen werden. Als zusätzliche zeitlich begrenzte Schutz- und Präventivmaßnahme wurde zur Minimierung der anstaltsinternen Kontakte, auf Grund einer mündlichen Weisung des Anstaltsleiters gegenüber den Führungskräften, in der Zeit vom 15. März 2021 bis einschließlich 16. Mai 2021 das Abendessen der Insassen im Rahmen und zum Zeitpunkt der Mittagsessensausgabe ausgegeben, wobei auf bei Zimmertemperatur lagerbare Kaltverpflegung abgezielt wurde. Diese Maßnahme wurde nach erfolgreicher Eindämmung des Clusters sofort beendet.
Am 02. Mai 2021 erhielt auch M***** H***** sein Abendessen im Rahmen der Mittagsausgabe um ca. 10:45 Uhr. Dieses bestand an diesem Tag aus 80 g Frischwurstscheiben ohne Verpackung und einem Stück Paprika. Beides entsprach den ernährungswissenschaftlichen Erkenntnissen und war zu diesem Zeitpunkt in schmackhaftem, nicht verdorbenem Zustand. Dieser Zustand hielt auch im weiteren Verlauf des Tages an und war die Kost auch noch zu einer der allgemein üblichen Zeit des Abendessens entsprechenden Uhrzeit, nämlich ca. 19 Uhr, noch schmackhaft.
Die Außentemperaturen im Raum Krems lagen am 02. Mai 2021 zwischen 8° und 13° Celsius. Eine exakte Feststellung der Haftraumtemperatur ist nicht möglich, jedoch ist von einer Raumtemperatur von 22° bis 23° Celsius auszugehen, da die Hafträume beheizt werden.
M***** H***** verfügte im Beschwerdezeitraum weder über einen Kühlschrank in seinem Haftraum, noch gab es einen „Gemeinschaftskühlschrank“ in seiner Abteilung. Es bestand für ihn jedoch die Möglichkeit einer Lagerung der Kost zwischen dem Fenster und den Gitterstäben.
Die Beschwerde des Beschwerdeführers vom 03. Mai 2021 richtete sich gegen das „Verhalten“ des Anstaltsleiters. M***** H***** sei aufgrund der Anordnung des Anstaltsleiters und der damit verbundenen Ausgabe des kühl zu lagernden Abendessens am 02. Mai 2021 bereits bei der Ausgabe des Mittagessens in seinem subjektiv-öffentlichen Recht auf gesetzeskonforme Verpflegung gemäß § 38 Abs 1 StVG verletzt worden. Das Essen sei aufgrund der fehlenden Kühlung zur allgemein üblichen Abendessenszeit um 19 Uhr nicht mehr schmackhaft gewesen (ON 9, 2).
Mit seiner Entscheidung vom 14.07.2021, welche vom Anstaltsleiter als „Mitteilung gemäß § 122 StVG“ bezeichnet wurde, teilte dieser dem Beschwerdeführer mit, dass sich aufgrund des Umstandes, dass das in seiner Beschwerde geäußerte Vorbringen keine inhaltliche Übereinstimmung mit den Ergebnissen der durchgeführten Erhebungen gefunden habe und somit von Missständen nicht ausgegangen werden könne, kein Anlass für weitere aufsichtsbehördliche Veranlassungen ergäbe (ON 4, 17).
Beweiswürdigend führte das Erstgericht aus, dass Frischwurst über mehrere Stunden bedenkenlos auch bei Zimmertemperatur gelagert werden könne. Aufgrund der allgemeinen Lebenserfahrung könne ausgeschlossen werden, dass bei Lagerung eines Wurstaufschnitts ohne Verpackung bei Zimmertemperatur bereits nach einigen Stunden ein signifikanter, über eine leichte Verfärbung des obersten Blattes hinausgehender Qualitätsverlust eingetreten sein könne. Selbst bei einer leichten Verfärbung des obersten Wurstblatts sei gewährleistet, dass die verabreichte Kost den ernährungswissenschaftlichen Erkenntnissen entspreche und schmackhaft sei. Diese – auf die allgemeine Lebenserfahrung gestützte – Feststellung werde auch durch den Umstand untermauert, dass es mit Ausnahme der Eingaben des M***** H***** keine Beanstandungen der Qualität oder des Geschmacks der Abendverpflegung gegeben habe und es bei sämtlichen Insassen zu keinen gesundheitlichen Beschwerden bzw Beeinträchtigungen infolge des Verzehrs der Kost gekommen sei. Darüber hinaus hätte M***** H***** bereits am 2. Mai 2021 die Möglichkeit gehabt, die Qualität der ausgegebenen Lebensmittel beim zuständigen Abteilungsbeamten zu beanstanden, was er jedoch unterlassen habe.
Rechtlich erwog das Erstgericht, dass im Allgemeinen davon auszugehen sei, dass das Abendessen zwischen 17:00 Uhr und 19:00 Uhr eingenommen werde. Die Einhaltung üblicher Tageszeiten sei jedenfalls ein subjektiv-öffentliches Recht des Insassen. Dies beziehe sich nach dem Ziel des § 38 StVG aber nur auf warme bzw frisch zubereitete Speisen, Kaltverpflegung könne auch außerhalb dieser Zeiten ausgefolgt werden, wenn sie bei Zimmertemperatur lagerbar oder wenn eine Kühlmöglichkeit vorhanden sei. Bei den fallkonkret ausgegebenen Frischwurstscheiben mit einem Stück Paprika handle es sich um eine Kaltverpflegung, die auch außerhalb der üblichen Tageszeiten ausgefolgt werden könne, wenn sie bei Zimmertemperatur gelagert werden könne oder wenn eine Kühlmöglichkeit vorhanden sei. Eine Lagerung bei einer Zimmertemperatur von maximal 23°C sei möglich, ohne Gefahr zu laufen, dass die verabreichte Kost den ernährungswissenschaftlichen Erkenntnissen widerspreche oder nicht schmackhaft wäre. Die Ausgabe der Kaltverpflegung für das Abendessen außerhalb der angesprochenen Zeiten sei daher nicht zu beanstanden.
Überdies habe angesichts des sich schnell ausbreitenden COVID-19-Clusters eine gesundheitsgefährdende Ausnahmesituation vorgelegen, welche schnelles Handeln der Anstaltsleitung erfordert habe. Da die Maßnahme auf den für die Bekämpfung des Clusters unbedingt notwendigen Zeitraum beschränkt worden sei, sei klar, dass die Abendessensausgabe im Rahmen des Mittagessens eine zur Verminderung der anstaltsinternen Kontakte notwendige und auch verhältnismäßige Maßnahme dargestellt habe. Das Interesse daran, dass die Gesundheit sämtlicher Insassen und Bediensteten der Anstalt geschützt werde, überwiege das Interesse eines einzelnen Insassen auf Ausgabe der Abendversorgung in den späten Nachmittags- bzw Abendstunden. Es wäre dem Beschwerdeführer auch zumutbar gewesen in Anbetracht der relativ kühlen Außentemperatur am besagten Tag die Verpflegung der gängigen Praxis der Strafgefangenen entsprechend zwischen dem Fenster und den Gitterstäben zu lagern und gekühlt zu halten. Von dieser Möglichkeit habe der Beschwerdeführer keinen Gebrauch gemacht.
Dagegen richtet sich die rechtzeitige Beschwerde des M***** H***** (ON 25), der - soweit verfahrensrelevant - zusammengefasst ausführt, dass das Abendessen nicht gekühlt habe werden können und dieses sohin nicht mehr zum einwandfreien Verzehr geeignet gewesen wäre, was sein subjektives Recht auf eine schmackhafte Verpflegung gemäß § 38 Abs 1 StVG verletze. Das Erstgericht stelle aktenwidrig fest, dass bei der Ausgabe des Abendessens zur Mittagszeit auf bei Zimmertemperatur lagerbare Kaltverpflegung abgezielt worden sei. Seine Beschwerde richte sich auch nicht gegen das Verhalten des Anstaltsleiters, sondern gegen den verantwortlichen Küchenleiter. Wäre auf eine nicht kühlpflichtige Verpflegung umgestellt worden, hätte er seine Beschwerde nicht erhoben.
Darüber hinaus habe es niemals Aufschnitt gegeben, sondern immer eine Scheibe Wurst im Stück, fallkonkret ca 80 Gramm mit einer Stärke von ca acht Millimetern. Da er nicht über ein Tafelmesser verfügt habe, welches ihm ermöglicht hätte von der Scheibe eine dünne Schicht abzuschneiden, wäre es ihm auch nicht möglich gewesen, den Rest der Wurstscheibe noch zu essen. Selbst wenn es Aufschnitt gewesen wäre und man ein oder zwei Wurstscheiben hätte entfernen können, läge eine Verletzung von § 38 Abs 1 StVG vor, weil dann sein Recht auf eine ausreichende Kost verletzt gewesen wäre.
Gehe man von den Feststellungen des Erstgerichtes aus, wonach die Wurst trotz Ausgabe um 10:30 Uhr auch noch um 19:00 Uhr einwandfrei zum Verzehr geeignet gewesen wäre, handle es sich um einen Zeitraum von zehn Stunden und dreißig Minuten. Unter den Erstrichtern habe sich kein Mikrobiologe oder Lebensmittelkontrolleur oder eine sonstige fachkundige Person befunden. Im Handel und der Gastronomie würde etwa ein strenges Reglement zur Einhaltung der Kühlkette bei kühlpflichtigen Lebensmitteln bestehen. Werde ein leicht verderbliches Lebensmittel wie Wurst bei Zimmertemperatur gelagert, so sei dessen Abgabe an einen Endkonsumenten strengstens verboten. Der Gesetzgeber habe es auch bereits vor vielen Jahren verboten, solche Lebensmittel an Schweine zu verfüttern. Für Gefangene im Strafvollzug hätten die selben Lebensmittelqualitätsmerkmale und Richtlinien zu gelten wie für den Bürger außerhalb eines Gefängnisses. Die Abgabe an den Endkonsumenten werde verboten, weil nach zehn Stunden bereits Bakterien entstanden sein könnten, die für Personen mit einer Immunschwäche gesundheitsschädlich seien und auch bei ansonsten gesunden Menschen Magen- und Darmprobleme verursachen könnte. Er selbst habe einen sehr empfindlichen Magen und eine Vielzahl von Magen-Darm-Problemen. Es sei auch unrichtig, dass andere Gefangene keine Beschwerde erhoben hätten. Vielmehr hätten sich Gefangene an ihn gewandt und sich über den Umstand beschwert. Vielen sei eine Beschwerde zu umständlich, zu viel Arbeit oder es fehle am nötigen Grundwissen.
Soweit das Landesgericht für Strafsachen Wien vermeine, dass die Wurst auch auf der Fensterablage gelagert hätte werden können, da es eine Außentemperatur von 13°C gehabt habe, sei auszuführen, dass es nicht ratsam sei, eine unverpackte Wurst auf einem dreckigen Fensterbalken abzulegen. Darüber hinaus sei dies nach § 4 h der Hausordnung verboten und stelle eine Ordnungswidrigkeit dar. Überdies habe er die Ausgabe des Abendessens zur Mittagszeit beim Abteilungsbeamten moniert. Dieser habe ihm mitgeteilt, dass er da nichts tun könne. Kühlpflichtige Lebensmittel seien keine Kaltverpflegung und dürften nicht stundenlang vor dem üblichen Verzehr ausgegeben werden.
Rechtliche Beurteilung
Dem Rechtsmittel kommt Berechtigung zu.
Nach § 16a Abs 1 Z 1 StVG entscheidet das Oberlandesgericht Wien für das gesamte Bundesgebiet über Beschwerden gegen einen Beschluss des Vollzugsgerichts nach § 16 Abs 3 StVG wegen Rechtswidrigkeit, wobei Letztere nicht vorliegt, soweit das Vollzugsgericht Ermessen im Sinne des Gesetzes geübt hat (Abs 2).
Gemäß § 16a Abs 3 StVG ist gegen den Beschluss des Vollzugsgerichts nach § 16 Abs 3 StVG eine Beschwerde nur dann zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der zur Wahrung der Rechtseinheit, Rechtssicherheit oder Rechtsentwicklung erhebliche Bedeutung zukommt, insbesondere wenn das Vollzugsgericht von der bisherigen höchstgerichtlichen Rechtsprechung abweicht, eine solche fehlt oder uneinheitlich ist.
Gemäß § 38 Abs 1 StVG hat ein Strafgefangener das subjektiv-öffentliche Recht mit einfacher, ernährungswissenschaftlichen Erkenntnissen entsprechender, schmackhafter Anstaltskost ausreichend verpflegt zu werden. Dem kann grundsätzlich auch eine kalte Mahlzeit gerecht werden ( Drexler/Weger, StVG 5 § 38 Rz 1). Der Begriff „schmackhaft“ umfasst sowohl die Qualität der verwendeten Zutaten als auch die Zubereitung ( Drexler/Weger , aaO Rz 2).
Die Kost ist zu den für die Einnahme von Mahlzeiten allgemein üblichen Tageszeiten auszugeben (§ 38 Abs 1 letzter Halbsatz StVG). Der Begriff der üblichen Tageszeiten stellt stets auf die konkreten Verhältnisse des betreffenden Strafgefangenen ab. Im Allgemeinen ist davon auszugehen, dass das Frühstück zwischen 05:00 Uhr und 07:00 Uhr, das Mittagessen zwischen 11:00 Uhr und 14:00 Uhr und das Abendessen zwischen 17:00 Uhr und 19:00 Uhr eingenommen werden kann. Die Einhaltung üblicher Tageszeiten, die dem beschäftigungsbedingten Tagesablauf entsprechen, ist jedenfalls ein subjektiv-öffentliches Recht des Insassen, das sich aber - nach dem Ziel der Bestimmung - nur auf warme bzw frisch zubereitete Speisen bezieht. Kaltverpflegung kann auch außerhalb der genannten Zeiten ausgefolgt werden, wenn sie bei Zimmertemperatur lagerbar ist (zB Brot und Konserven), oder wenn eine Kühlmöglichkeit vorhanden ist. Es besteht kein Rechtsanspruch auf das Einräumen einer solchen Kühlmöglichkeit im Haftraum, sondern sind die Lebensmittel dann gegebenenfalls entsprechend zeitnah zum Verzehr auszugeben . Daher widerspricht nach der Judikatur die Ausgabe eines kühl zu lagernden Fischfilets als Abendessen bereits um 10:40 Uhr Vormittags an einem heißen Sommertag (+27°C) in einem Haftraum ohne Kühlmöglichkeit allen ernährungswissenschaftlichen Erkenntnissen und verletzt die Bestimmung des § 38 Abs 1 StVG ( Drexler/Weger , aaO Rz 4).
Nach den insofern unbedenklichen Feststellungen bestand für den Beschwerdeführer keine Kühlmöglichkeit.
Einer vom Erstgericht in Erwägung gezogenen Lagerung am Fensterbrett steht – wie vom Beschwerdeführer aufgezeigt – entgegen, dass die Ablage von Gegenständen am Fensterbrett nach der Hausordnung verboten ist (vgl § 4 h der vom Oberlandesgericht Wien beigeschafften Hausordnung der Justizanstalt Stein).
Mit Blick auf die dargestellte Rechtslage ist zu prüfen, ob die ausgefolgten Speisen/Lebensmittel bei der festgestellten Haftraumtemperatur von 22 bis 23 Grad Celsius lagerbar sind, da diese ansonsten nicht als Kaltverpflegung (die nicht zeitnah zu den allgemeinen Essenszeiten ausgegeben werden muss) gelten können.
Aus einer Empfehlung des Bundesministeriums für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz (vgl Öffentliches Gesundheitsportal Österreich, www.gesundheit.gv.at) zum Thema „Die Lagerung im Kühlschrank“, ergibt sich etwa, dass Wurst bei einer Temperatur von 0°C bis plus 2°C im Kühlschrank gelagert werden soll. Weiters wird festgehalten, dass die meisten Keime in einem Lebensmittel durch Erhitzen für mindestens zwei Minuten auf über 70°C abgetötet werden, Keime sich bei Raumtemperatur sehr schnell vermehren und bei Temperaturen unter 5°C das Wachstum der meisten Keime verlangsamt oder gestoppt wird. Daher gelte, dass leicht verderbliche Waren vom Einkauf bis nach Hause gekühlt werden sollten und Waren nach dem Einkauf rasch nach Hause gebracht und wieder gekühlt werden sollten sowie, dass Lebensmittel nicht direkter Sonneneinstrahlung ausgesetzt werden sollen.
Aus dem - ua an alle Leiter und Leiterinnen der Justizanstalten gerichteten - Grundsatzerlass BMJ-GD50301/0002-II/a/2016 der Generaldirektion des Bundesministeriums für Justiz („Verpflegungsvorschrift 2016“) ergibt sich, dass die sogenannten HACCP-Grundsätze gelten. Dies habe aufbauend auf einer funktionierenden guten Hygienepraxis (GHP) zu geschehen. Eine funktionierende GHP stelle die unabdingbare Voraussetzung für die Umsetzung des HACCP-Konzepts dar. Im Zusammenhang mit der Lebensmittelhygiene wird auf die gesetzlichen und im Verordnungsweg ergangenen Bestimmungen des Lebensmittelrechts und die Leitlinien des Ständigen Hygieneausschusses hingewiesen (S 7, 9 dieses Erlasses). Die Hygieneleitlinie für Großküchen und Küchen des Gesundheitswesens und vergleichbare Einrichtungen der Gemeinschaftsverpflegung - die vom Bundesministerium für Gesundheit und Frauen nach Befassung des Ständigen Hygieneausschusses erlassen wurde und im Intranet unter den Aktiven Erlässen/Wirtschaft/Verpflegungs- und Küchenwesen BMJ-VD50301/0001-VD5/2011 abrufbar ist - sieht wiederum vor, dass für die Standardproduktionslinie „Kalte Küche“ eine Zwischenlagerung bei 0°C bis 4°C und ein Ausgeben bei einer Temperatur von 0°C bis 8°C erfolgen soll (S 27 der Richtlinie).
Die Ausfolgung von Frischwurst als Kaltverpflegung, zeitfern vom Zeitpunkt des vorgesehenen Verzehrs bei einer Haftraumtemperatur von 22 bis 23 Grad Celsius widerspricht daher – entgegen der Überzeugung des Erstgerichts, das sich auf die allgemeine Lebenserfahrung bezog, sich aber nicht mit den herrschenden Hygienebestimmungen auseinandersetzte - gesicherten ernährungswissenschaftlichen Erkenntnissen und stellt die im Spruch genannte Rechtsverletzung her. Nachdem die ausgegebene Kost nach § 38 Abs 1 StVG schmackhaft sein und ernährungswissenschaftlichen Erkenntnissen entsprechen muss, ist es auch irrelevant, ob die ausgegebene Kost zur Abendessenszeit – wie vom Erstgericht vermeint - noch schmackhaft und nicht verdorben gewesen sein mag.
Darüber hinaus sei darauf hingewiesen, dass die Vorgangsweise der Justizanstalt Stein im Hinblick auf den festgestellten Corona-Cluster durchaus nachvollziehbar ist und wohl in bester Absicht erfolgte. Der Bestimmung des § 38 Abs 1 StVG ist aber per se nicht zu entnehmen, dass das dort normierte subjektiv-öffentliche Recht durch die vom Vollzugsgericht ins Treffen geführte gesundheitsgefährdende Ausnahmesituation eingeschränkt werden darf, weil § 38 Abs 1 StVG - im Gegensatz etwa zu § 39 Abs 1 StVG – nicht darauf abstellt, dass das normierte subjektiv-öffentliche Recht nur soweit bestehe, als keine Gefährdung von Sicherheit und Ordnung zu befürchten sei. Auch der Grundsatz, wonach die Ausübung jedes im StVG vorgesehenen subjektiv-öffentlichen Rechts seine Grenze in der mit dem Strafvollzug wesensnotwendig verbundenen Aufrechterhaltung der Sicherheit und Ordnung in den Anstalten finde ( Drexler/Weger , aaO, § 20 Rz 9), vermag die Rechtsverletzung fallkonkret nicht zu rechtfertigen, weil nicht erkennbar ist, in welcher Form die Ausgabe von als Kaltverpflegung geeigneter Kost (etwa: Brot, Konserven) als Abendessen bereits am späten Vormittag (anstelle von als Kaltverpflegung nicht geeigneter Kost) eine Gefährdung der Sicherheit und Ordnung in der Anstalt bewirken hätte können.