JudikaturOLG Wien

32Bs360/21g – OLG Wien Entscheidung

Entscheidung
24. Februar 2022

Kopf

Das Oberlandesgericht Wien als Vollzugssenat nach § 16a StVG hat durch die Senatspräsidentin Mag. Seidl als Vorsitzende, sowie die Richterin Dr. Vetter und den fachkundigen Laienrichter HR Mag. Dr. Mock als weitere Senatsmitglieder in der Vollzugssache des M***** H***** über dessen Beschwerde gegen den Beschluss des Landesgerichtes ***** als Vollzugsgericht vom *****, GZ *****/21i-11 nach § 121b Abs 2 StVG in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Beschwerde wird Folge gegeben, der angefochtene Beschluss aufgehoben und dem Landesgericht für Strafsachen Wien als Vollzugsgericht die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.

Text

Begründung:

Mit dem bekämpften Beschluss wies das Landesgericht ***** als Vollzugsgericht eine Beschwerde des M***** H***** vom 18. Juli 2021 gegen die Mitteilung des Leiters der Justizanstalt ***** vom 14. Juli 2021 (ON 4 S 17) als unzulässig zurück.

Das Vollzugsgericht hielt fest, dass sich M***** H***** mit Eingabe vom 18. Juli 2021 (ON 1) gegen eine Entscheidung des Anstaltsleiters vom 14. Juli 2021 beschwert habe. Tatsächlich handle es sich nicht um eine Entscheidung, sondern um eine Mitteilung gemäß § 122 StVG (welche irrtümlich unter der Zahl AZ *****/21b geführt worden sei). Mit dieser Mitteilung sei der Beschwerdeführer davon verständigt worden, dass kein Anlass für eine aufsichtsbehördliche Veranlassung seitens des Anstaltsleiters bestehe. Da Aufsichtsbeschwerden gemäß § 122 StVG nicht bescheidmäßig zu erledigen seien, fehle einer Mitteilung der Behörde, dass sie sich zu einer begehrten aufsichtsbehördlichen Verfügung nicht veranlasst finde, jeder rechtsgestaltende oder -feststellende Inhalt. Unter dieser Voraussetzung könne selbst die Wahl der äußeren Form eines Bescheides nicht zu einer Verletzung subjektiver Rechte führen, sodass Beschwerden gegen die Ablehnung einer aufsichtsbehördlichen Verfügung ohne Rücksicht auf die Form der Erledigung zurückzuweisen seien.

In concreto liege keine Entscheidung oder Anordnung der Anstaltsleiterin der Justizanstalt ***** (sic!) gemäß § 121 Abs 1, zweiter Satz (ergänze: StVG) vor. Die Beschwerde sei daher als unzulässig zurückzuweisen gewesen.

Dagegen richtet sich die rechtzeitige Beschwerde des M***** H***** (ON 13).

Das Landesgericht ***** übersehe, dass sich die Entscheidung (Mitteilung) des Anstaltsleiters vom 14. Juli 2021 auf seine Beschwerde vom 3. Mai 2021 beziehe. Diese Beschwerde sei gemäß § 121 Abs 1 StVG eingebracht worden. Selbst wenn der Anstaltsleiter seine Entscheidung als Mitteilung gemäß § 122 StVG bezeichne, liege dennoch eine sachliche Entscheidung zu seiner Beschwerde nach § 121 Abs 1 StVG vor. Ansonsten könne jeder Anstaltsleiter eine Entscheidung zu einer Administrativbeschwerde nach § 121 StVG als Aufsichtsbeschwerde nach § 122 StVG bezeichnen und damit das Administrativbeschwerderechtsverfahren abschaffen, da es nie mehr eine Entscheidung, sondern nur mehr Mitteilungen nach § 122 StVG geben würde. Es stehe dem Anstaltsleiter nicht frei, eine Administrativbeschwerde willkürlich als Aufsichtsbeschwerde zu behandeln. Er habe ordnungsgemäß gegen eine Entscheidung Beschwerde erhoben.

Weiters habe der Anstaltsleiter in seiner Stellungnahme vom ***** dem Landesgericht ***** mitgeteilt, dass eine von ihm getroffene Entscheidung im Sinn des § 121 Abs 1 StVG vorliege. Die Beschwerde sei auch nicht irrtümlich (wie vom Landesgericht ***** angenommen) unter der Zahl AZ *****/21b geführt worden, sondern zu Recht.

Die Sache sei an den Anstaltsleiter zurückgestellt worden, es seien Erhebungen geführt worden. In der Justizanstalt wolle niemand die Verantwortung für die Rechtsverletzung nach § 38 Abs 1 StVG übernehmen und es habe sich der Anstaltsleiter mit einer Mitteilung nach § 122 StVG aus der Verantwortung genommen. Aufgrund der Verletzung verfahrensrechtlicher Bestimmungen sei seiner Beschwerde Folge zu geben und dem Landesgericht ***** aufzutragen, über die gegenständliche Beschwerde zu entscheiden.

Rechtliche Beurteilung

Dem Rechtsmittel kommt Berechtigung zu.

Nach § 16a Abs 1 Z 1 StVG entscheidet das Oberlandesgericht Wien für das gesamte Bundesgebiet über Beschwerden gegen einen Beschluss des Vollzugsgerichts nach § 16 Abs 3 StVG wegen Rechtswidrigkeit, wobei Letztere nicht vorliegt, soweit das Vollzugsgericht Ermessen im Sinne des Gesetzes geübt hat (Abs 2). Gemäß § 16a Abs 3 StVG ist gegen den Beschluss des Vollzugsgerichts nach § 16 Abs 3 StVG eine Beschwerde nur dann zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der zur Wahrung der Rechtseinheit, Rechtssicherheit oder Rechtsentwicklung erhebliche Bedeutung zukommt, insbesondere wenn das Vollzugsgericht von der bisherigen höchstgerichtlichen Rechtsprechung abweicht, eine solche fehlt oder uneinheitlich ist.

Vorauszuschicken ist, dass die Beschwerde des M***** H***** vom 3. Mai 2021, mit der er reklamiert, dass am 2. Mai 2021 das Abendessen (80g Frischwurstscheiben ohne Verpackung, 1 Stück Paprika) zeitlich mit dem Mittagessen ausgegeben worden sei (ON 1 in ON 9), vom Landesgericht ***** als Vollzugsgericht zu AZ *****/21b am ***** mangels unmittelbarer Zuständigkeit des Vollzugsgerichtes an den Leiter der Justizanstalt ***** zur Erledigung im eigenen Wirkungsbereich übermittelt wurde. Das Vollzugsgericht hielt dabei zutreffend fest, dass es sich beim Inhalt der Beschwerde weder um eine Beschwerde über eine Entscheidung (über ein Ansuchen oder über eine Beschwerde betreffend eines Strafvollzugsbediensteten oder eines Ordnungsstraferkenntnisses) handle, noch um eine Beschwerde über eine Anordnung des Anstaltsleiters gegenüber einem Untergebrachten im Sinne des § 26 Abs 1 StVG und auch nicht um ein dem Strafgefangenen gegenüber gesetztes Verhalten des Anstaltsleiters (siehe ON 2 in ON 9).

Mit der Beschwerde des M***** H***** vom 18. Juli 2021, gerichtet gegen die Entscheidung des Anstaltsleiters der Justizanstalt ***** vom 14. Juli 2021, die auch zu AZ *****/21b des Landesgerichtes ***** eingebracht wurde (ON 1), wurde vom Landesgericht *****, das davon ausging, dass eine Neueingabe vorliege, ein neuer Akt angelegt, und zwar AZ *****/21i (vgl Verfügung in ON 1 S 1).

Gemäß § 16 Abs 3 StVG entscheidet das Vollzugsgericht über Beschwerden (1.) gegen eine Entscheidung oder Anordnung des Anstaltsleiters, (2.) wegen Verletzung eines subjektiven Rechts durch ein Verhalten des Anstaltsleiters und (3.) wegen Verletzung der Entscheidungspflicht durch den Anstaltsleiter.

Unter Entscheidungen sind inhaltliche Erledigungen von Ansuchen oder Beschwerden sowie Ordnungsstraferkenntnisse zu verstehen. Unter einer Anordnung ist die Geltendmachung der Befehlsgewalt durch den Anstaltsleiter gegenüber einem Strafgefangenen im Sinne des § 26 Abs 1 StVG zu verstehen ( Pieber in WK 2 StVG § 16 Rz 11/3). Unter Verhalten sind alle Handlungen, Duldungen und Unterlassungen zu verstehen, die keine Entscheidungen oder Anordnungen sind ( Pieber aaO § 16 Rz 11/6).

Eine Beschwerde nach dem StVG (§§ 120 ff) setzt keinen (wirksam erlassenen) Bescheid voraus. Wenn der angefochtenen Erledigung Bescheidcharakter nicht zukommt, ist sie aber als unzulässig zurückzuweisen ( Drexler/Weger , StVG 4 § 22 Rz 5 mwN). Konkret kommt der von M***** H***** bekämpften Mitteilung des Anstaltsleiters vom 14. Juli 2021 (ON 4 S 17), die dieser – wie vom Beschwerdeführer zutreffend aufgezeigt - in seinem Bericht vom ***** im Übrigen selbst als Entscheidung im Sinne des § 121 Abs 1 StVG bezeichnet (ON 4 S 3) – entgegen der Rechtsansicht des Vollzugsgerichtes – Bescheidqualität zu, weil damit zum Ausdruck gebracht wird, dass dem Vorbringen in der Beschwerde vom 3. Mai 2021, mit der M***** H***** moniert hatte, dass entgegen der Bestimmung des § 38 Abs 1 StVG am 2. Mai 2021 das Abendessen zeitlich mit dem Mittagessen um 10:30 Uhr ausgegeben worden sei (ON 1 in ON 9), als unberechtigt angesehen wird ( Hengstschläger/Leeb , AVG § 58 Rz 10ff). Überhaupt weist die Bezugnahme in der Erledigung auf einen Antrag (hier: auf eine Beschwerde [vgl ON 4 S 17]) der Partei (und nicht etwa auf eine bloße Anfrage) auf einen Bescheidwillen hin (vgl Hengstschläger/Leeb , AVG § 58 Rz 9 mwN).

Nach § 121a Abs 1 Z 1 StVG ist zur Erhebung einer Beschwerde berechtigt, wer behauptet , in einem subjektiven Recht nach diesem Bundesgesetz verletzt zu sein.

Gemäß § 38 Abs 1 StVG sind die Strafgefangenen mit einfacher Anstaltskost ausreichend zu verpflegen. Die Kost muss den ernährungswissenschaftlichen Erkenntnissen entsprechen und schmackhaft sein; sie ist zu den für die Einnahme von Mahlzeiten allgemein üblichen Tageszeiten auszugeben.

Der Begriff der üblichen Tageszeiten stellt stets auf die konkreten Verhältnisse des betreffenden Strafgefangenen ab. Im Allgemeinen ist davon auszugehen, dass das Frühstück zwischen 5:00 Uhr und 7:00 Uhr, das Mittagessen zwischen 11:00 Uhr und 14:00 Uhr und das Abendessen zwischen 17:00 Uhr und 19:00 Uhr eingenommen werden kann. Die Einhaltung üblicher Tageszeiten, die dem beschäftigungsbedingten Tagesablauf entsprechen, ist jedenfalls ein subjektiv-öffentliches Recht der Insassen. Das bezieht sich nach dem Ziel der Bestimmung freilich nur auf warme bzw frisch zubereitete Speisen. Kaltverpflegung, die bei Zimmertemperatur lagerbar ist (zB Brot, Konserven) oder für die eine Kühlmöglichkeit besteht, kann auch außerhalb dieser Zeiten ausgefolgt werden. Nach der Judikatur widerspricht etwa die Ausgabe eines kühl zu lagernden Fischfilets als Abendessen bereits um 10:40 Uhr vormittags an einem heißen Sommertag (+ 27°C ohne Kühlmöglichkeit) allen ernährungswissenschaftlichen Erkenntnissen und verletzt daher die Bestimmung des § 38 Abs 1 StVG ( Drexler/Weger , StVG 4 § 38 Rz 4 mwN).

Der Beschwerde war sohin stattzugeben, der angefochtene Beschluss wegen Rechtswidrigkeit gemäß § 121b Abs 2 StVG aufzuheben und die Angelegenheit zur neuerlichen (inhaltlichen) Entscheidung zurückzuverweisen. Insbesondere wird das Erstgericht – um einen allfällige Verletzung eines subjektiv-öffentlichen Rechts abschließend prüfen zu können - zu erheben haben, welche Nahrungsmittel für das Abendessen am 2. Mai 2021 tatsächlich und um welche Uhrzeit ausgegeben wurden, welche Temperaturen an diesem Tag im Haftraum vorherrschten und ob eine Kühlmöglichkeit bestand.

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