Das Oberlandesgericht Wien hat durch die Senatspräsidentin Dr. Schwab als Vorsitzende sowie den Richter Mag. Weber LL.M. und die Richterin Dr. Steindl als weitere Senatsmitglieder in der Strafsache gegen A* und weitere Beschuldigte wegen §§ 15, 12 zweiter Fall, 15, 310 Abs 1 StGB und andere strafbare Handlungen über die Beschwerde des B*, MA gegen den Beschluss des Landesgerichts * vom 21. Oktober 2021, GZ *, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Der Beschwerde wird nicht Folge gegeben.
Begründung:
Die Staatsanwaltschaft * führt zu * unter anderem gegen B*, MA ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Vergehen der Verletzung des von Amtsgeheimnisses als Bestimmungstäter nach §§ 12 zweiter Fall, 310 Abs 1; 15 StGB und der Vergehen der Datenverarbeitung in Gewinn- oder Schädigungsabsicht nach § 63 DSG.
Demnach wird nachgenannten Beschuldigten zur Last gelegt in C*
A./ als Beamte, ihnen ausschließlich kraft ihres Amtes anvertraute oder zugänglich gewordene Geheimnisse offenbart oder verwertet zu haben, deren Offenbarung oder Verwertung geeignet ist, ein öffentliches oder ein berechtigtes privates Interesse zu verletzen, und zwar
I./ D*
1. am 27. Mai 2019, indem er B*, MA über dessen Ersuchen via „E*“ die Namen von sieben * mitteilte, von denen vier laut D* im Juli 2017 mit dem selben Flug wie F* nach * gereist sein sollen (ON 2 S 41f, S 489);
2. am 24. Juni 2019, indem er B*, MA über dessen Ersuchen mitteilte, dass eine Person namens * seitens des * als Quelle geführt wurde, da dieser angeblich Kontakte zu G* gehabt habe (ON 2 S 39, S 347f);
II./ H* am 27. Juni 2020, indem sie die Projektunterlagen des * zur Einrichtung einer * im * („I*“) D* zur Ablichtung durch diesen zur Verfügung stellte (ON 2 S 61ff).
III./ ein noch auszuforschender bislang unbekannter Täter
1. zu einem noch festzustellenden Zeitpunkt vor dem 29. Mai 2019, indem er D* mitteilte, dass Mag. J* K* und CI L* M* der am 27. Mai 2019 eingerichteten SOKO * angehören (ON 2 S 359ff);
2. zu einem noch festzustellenden Zeitpunkt vor dem 20. August 2019, indem er D* mitteilte, dass N* der am 27. Mai 2019 eingerichteten SOKO * angehört (ON 2 S 367);
3. am 3. November 2020, indem er eine am 3. November 2020 um 03.13 Uhr von einem Mitarbeiter des O* C* an den Journaldienst versehenden Staatsanwalt * und Mitarbeiter des * per E-Mail versandte Sachverhaltsdarstellung hinsichtlich des am Vorabend in C* stattgefundenen Terroranschlags an B*, MA übermittelte (ON 2 S 21, S 167ff).
4. zu einem noch festzustellenden Zeitpunkt zwischen 31. Oktober 2018 und 1. November 2018, indem er D* mitteilte, welche Mitarbeiter des * an einer Zusammenkunft des „P*“ in ** teilgenommen hatten (ON 2 S 39, S 343f);
5. zu einem noch festzustellenden Zeitpunkt vor dem 17. August 2019, indem er eine PDF-Datei des an die *, AZ *, gerichteten und als „Verschluss“ gekennzeichneten 21. Zwischenberichts Q* vom 12. Juli 2019 an D* übermittelte (ON 2 S 365);
6. zu einem noch festzustellenden Zeitpunkt vor dem 23. September 2019, indem er D* die Anzahl der in einer ausschließlichen * zur Anwendung gelangenden Anwendung (*) gespeicherten klassifizierten Dokumente mitteilte (ON 2 S 57 ff, S 499ff).
B./ andere zu noch festzustellenden Zeitpunkten zu den unter A./ angeführten strafbaren Handlungen bestimmt zu haben, und zwar
I./ B*, MA D* (A./I./) bzw im Wege von D* H* (A./II./) sowie unbekannte Täter (A./III./1., 2., 4. bis 6.), indem er D* beauftragte, zum Zweck der Verwertung im Rahmen seiner politischen Tätigkeit die unter A./ jeweils angeführten vertraulichen und dem Amtsgeheimnis unterliegenden Informationen zu beschaffen und an ihn zu übermitteln;
II./ D*, indem er Nachgenannte jeweils zur Übermittlung der inkriminierten (unter A./ angeführten) Informationen aufforderte, und zwar
1. einen noch auszuforschenden bislang unbekannten Täter zu den unter A./III./1., 2., 4. bis 6. angeführten strafbaren Handlungen;
2. H* zu der unter A./II./ angeführten strafbaren Handlung.
C./ zu einem noch festzustellenden Zeitpunkt vor dem 20. Juli 2019 einen unbekannten Täter zumindest dazu zu bestimmen versucht zu haben, als Beamter, ihm ausschließlich kraft seines Amtes anvertraute oder zugänglich gewordene Geheimnisse zu offenbaren oder zu verwerten, deren Offenbarung oder Verwertung geeignet ist, ein öffentliches oder berechtigtes privates Interesse zu verletzen, nämlich zur Preisgabe von Mitgliedern der R*, und zwar
I./ B*, MA im Wege von D*, indem er diesen beauftragte, zum Zweck der Verwertung im Rahmen seiner politischen Tätigkeit die Mitglieder der R* zu eruieren;
II./ D* im Wege von A*, indem er diesen via „E*“ aufforderte, ihm die Namen der Mitglieder der R* zu übermitteln, wobei er diesem schrieb „brauche Namen?“, „bitte dringend Namen. Muss dazu etwas schreiben“ bzw. „zumindest noch ein, zwei Namen außer S* und T*, K*, U*, M*“, was A* mit „Kontakt kommt in der Nacht zurück Gleich morgen früh klärt er das ab. Melde mich umgehend“ quittierte (ON 2 S 355f).
D./ mit dem Vorsatz, sich oder einen Dritten dadurch unrechtmäßig zu bereichern, oder mit der Absicht einen anderen dadurch in seinem von § 1 Abs 1 DSG gewährleisteten Anspruch zu schädigen, personenbezogene Daten, die ihm ausschließlich aufgrund seiner berufsmäßigen Beschäftigung anvertraut oder zugänglich geworden sind oder die er sich widerrechtlich verschafft hat, selbst benützt, einem anderen zugänglich macht oder veröffentlicht, obwohl der Betroffene an diesen Daten ein schutzwürdiges Geheimhaltungsinteresse hat, und zwar B*, MA, indem er als Mitglied des * konsenslos Lichtbilder von Auskunftspersonen anfertigte und diese an D* übermittelte (ON 2 S 99 ff), nämlich
I./ am 11. Oktober 2018 während der 11. Sitzung des * ein Foto der Leiterin des * im *, V*;
II./ am 19. Oktober 2019 während der 27. Sitzung des * ein Foto von W*, einem Mitarbeiter des * im *;
III./ am 3. Juni 2019 während der 42. Sitzung des * ein Foto von X*, einem Mitarbeiter des * im *;
IV./ am 4. Juni 2019 während der 43. Sitzung des * ein Foto von Y*, dem vormaligen Leiter des * im *;
In Vollziehung der gerichtlich bewilligten Anordnungen der Durchsuchung der Melde- bzw tatsächliche Wohnanschrift des B*, MA vom 1. September 2021 und 11. September 2021 (ON 8 und ON 14; bestätigt mit unter einem ergangenem Beschluss des Oberlandesgerichts Wien zu AZ 31 Bs 331/21k ua) und der bezughabenden, von der Staatsanwaltschaft am 30. August 2021 und 11. September 2021 angeordneten Sicherstellungen von Beweismaterial wurde B*, MA am 11. September 2021 um 9.30 Uhr von den einschreitenden Beamten am Parkplatz eines Supermarkts angehalten und über die zu vollziehenden Maßnahmen in Kenntnis gesetzt. Nach Sicherstellung seines Mobiltelefons (Marke **) und dessen Übergabe an die Einsatzkräfte der Z* zur ehestmöglichen Datensicherung wurde die Durchsuchung seiner Person und seines Fahrzeugs vorgenommen, im Zuge derer ein ** (Modell ** mit der Seriennummer **) des Beschuldigten vorgefunden und sichergestellt wurde (ON 31 S 15, S 31, S 155). Die Bekanntgabe der Sperr- und Zugangscodes der Datenträger verweigerte der Beschuldigte ohne Angabe näherer Gründe (ON 31 S 15). Im Anschluss wurde ab 10.00 Uhr am Wohnsitz des B*, MA in ** die Hausdurchsuchung begonnen, die über Wunsch des Beschuldigten in Erwartung des Anwalts um 10.40 Uhr vorerst unterbrochen, jedoch mit dessen Einverständnis nach Bekanntwerden des verzögerten Eintreffens des Rechtsvertreters um 11.03 Uhr fortgesetzt wurde. Der in Substitution des Verteidigers * einschreitende Rechtsanwaltsanwärter Mag. BA* BB* traf um 11.28 Uhr am Einsatzort ein und wies – nach Rücksprache mit seinem Mandanten - einen der amtshandelnden Kriminalbeamten (*) darauf hin, dass die Herausgabe der Zugangscodes zum Mobiltelefon und sonstigen elektronischen Geräten aus dem Grund verweigert werde, weil der Beschuldigte in seiner Eigenschaft als freier Journalist und ehemaliger Nationalratsabgeordneter darauf Berufs- und Dienstgeheimnisse verwahrt hätte (ON 31 S 17f). Im Anschluss wurde von 13.10 Uhr bis 13.50 Uhr in Anwesenheit des Beschuldigten und seines Rechtsvertreters die Hausdurchsuchung an seiner Meldeadresse in ** C* vollzogen (ON 31 S 25). An beiden Einsatzorten wurden zahlreiche technische Geräte und Unterlagen sichergestellt (ON 31 S 31ff). Das jeweils angefertigte Sicherstellungsprotokoll wurde dem Beschuldigten ausgefolgt und von diesem unterfertigt (ON 31 S 19, S 25, S 35 und S 45).
Am 13. September 2021 gab RAA Mag. BA* BC* über telefonische Anfrage der zuständigen Staatsanwältin bekannt, dass der Beschuldigte „die Codes derzeit im Hinblick auf seine journalistische Tätigkeit bzw jene als ehemaliger Nationalratsabgeordneter nicht bekannt gebe. Dies sei die Begründung für die Verweigerung der Bekanntgabe der Codes gewesen“. Wie der Verteidiger des Beschuldigten, Rechtsanwalt Dr. BD* bestätigte, erfolgte diese Mitteilung in seinem Auftrag, wobei beabsichtigt gewesen sein, dadurch Widerspruch gegen die Sicherstellung im Sinn des § 112 StPO zu erheben. Nach diesen Telefonaten wies die Anklagebehörde die ermittelnden Beamten an, sämtliche (!) sichergestellte Gegenstände zu versiegeln und an die gerichtliche Verwahrungsstelle zu übermitteln (ON 1 S 15f; ON 31 S 7).
Am 15. September 2021 übermittelte die Staatsanwaltschaft dem Erstgericht den Ermittlungsakt – unter Hinweis auf obige Vorgänge und das zwischenzeitige Einlangen des nunmehr versiegelten Beweismaterials in der sensiblen Verwahrungsstelle des Gerichtshofs - „zur Prüfung bzw Einleitung eines Sichtungsverfahrens nach § 112 StPO“ (ON 1 S 17).
Mit dem angefochtenen Beschluss wies der Erstrichter den Antrag der Staatsanwaltschaft auf „Einleitung eines Sichtungsverfahrens nach § 112 StPO“ zurück, weil der Widerspruch verspätet erfolgt sei und es somit an der wesentlichen Voraussetzung für die Einleitung des gewünschten Verfahrens, nämlich der Erhebung eines zulässigen Widerspruchs, mangle (ON 35 S 8).
Dagegen richtet sich die rechtzeitige Beschwerde des B*, MA, in der das journalistische Wirken des Beschuldigten ausführlich dargelegt, eine Verfristung des Widerspruchs in Abrede gestellt und die Ansicht vertreten wird, dass dem Gericht keine Prüfungskompetenz in Bezug auf die vorliegende Annahme des Widerspruchs durch die Anklagebehörde zukomme, unklare Erklärungen jedenfalls zugunsten des Beschuldigten auszulegen seien und spätestens mit der telefonische Mitteilung am 13. September 2021 zulässig Widerspruch erhoben worden sei, weshalb der bekämpfte Beschluss aufzuheben und dem Erstgericht die Einleitung des Sichtungsverfahrens aufzutragen sei (ON 40).
Gemäß § 112 Abs 1 StPO sind für den Fall, dass die von der Sicherstellung betroffene oder anwesende Person, auch wenn sie selbst der Tat beschuldigt ist, der Sicherstellung von schriftlichen Aufzeichnungen oder Datenträgern unter Berufung auf ein gesetzlich anerkanntes Recht auf Verschwiegenheit, das bei sonstiger Nichtigkeit nicht durch Sicherstellung umgangen werden darf, widerspricht, diese auf geeignete Art und Weise gegen unbefugte Einsichtnahme oder Veränderung zu sichern und bei Gericht (bzw über Antrag bei der Staatsanwaltschaft) zu hinterlegen. Da die Sicherstellung gemäß § 110 Abs 2 StPO von der Staatsanwaltschaft anzuordnen und von der Kriminalpolizei durchzuführen ist, folgt deren Verpflichtung, bei Vorliegen eines den gesetzlichen Voraussetzungen entsprechenden Widerspruchs für die ordnungsgemäße Hinterlegung der betroffenen Gegenstände und Unterlagen zu sorgen. Die Prüfungskompetenz umfasst nur die Beurteilung, ob der Widersprechende ein gesetzlich anerkanntes Verschwiegenheitsrecht behauptet, die Entscheidung, ob dem Betroffenen ein solches tatsächlich zusteht, kommt ausschließlich dem Gericht im Rahmen des Sichtungsverfahrens zu (13 Os 94/17y).
Wenn auch dem Gesetz keine konkrete zeitliche Vorgabe zu entnehmen ist, bis zu welchem Zeitpunkt ein Widerspruch erhoben werden kann, erschließt sich nicht nur aus der Einordnung des § 112 StPO im Anschluss an die die Sicherstellung und deren Durchführung regelnden Bestimmungen (§§ 110f StPO) und der Textierung („betroffene oder anwesende Person“) sondern insbesondere aus dem Zweck dieser Regelung, durch die angestrebte Versiegelung des betroffenen Materials eine sofortige Durchsicht durch die Ermittlungsorgane zu verhindern, dass Widerspruch unverzüglich, bei Anwesenheit des Geheimnisträgers somit anlässlich der Durchsuchung und Sicherstellung, zu erheben ist (vgl OLG Wien 18 Bs 336/16t).
Da sich der bei den Hausdurchsuchungen anwaltlich vertretene Beschwerdeführer anlässlich deren Durchführung zu keinem Zeitpunkt gegen die Sicherstellung seiner technischen Geräte und Unterlagen aussprach, sondern lediglich (vorerst ohne Angabe von Gründen und in weiterer Folge) unter Berufung auf Berufs- und Dienstgeheimnisse die Bekanntgabe der Zugangscodes betreffend der sichergestellten technischen Datenträger verweigerte (diese Intention wurde von RAA Mag. BA* BB* über Nachfrage am 13. September 2021 explizit bestätigt), ging der Erstrichter zutreffend davon aus, dass die Voraussetzungen für eine gerichtliche Hinterlegung nach § 112 Abs 1 StPO nicht vorliegen.
Die vom Beschwerdeführer geforderte „Bindung“ des Gerichts an eine über Auftrag der Anklagebehörde erfolgte Entscheidung zur Versiegelung und die daraus erwachsende Verpflichtung zur Durchführung eines Sichtungsverfahrens ist nur anzunehmen, wenn unter Berufung auf ein gesetzlich anerkanntes Verschwiegenheitsrecht Widerspruch gegen die Sicherstellung erklärt wurde ( Stricker, JBl 2018, 373).
Die – nach dem klaren Wortlaut der am Einsatzort im Zusammenhang mit der Berufung auf ein Berufsgeheimnis gefallenen Äußerung unzweifelhafte - Unterlassung der Einlegung eines Widerspruchs gegen die Sicherstellung und sofortige Sichtung konkreter Objekte kann durch die vom Verteidiger des Beschwerdeführers zwei Tage nach Abschluss der Amtshandlung (über Anfrage der Anklagebehörde) erstmals offenbarte Absicht, durch die Verweigerung der Herausgabe der Zugangscodes (offensichtlich nur betreffend der verschlüsselten Geräte) Widerspruch gegen die Sicherstellung erheben zu wollen, nicht rechtswirksam nachgeholt werden.
Unterbleibt wie in gegenständlichem Fall ein Widerspruch, kann sich der Betroffene gegen die Umgehung eines Verschwiegenheitsrechts mit Einspruch wegen Rechtsverletzung (§ 106 Abs 1 Z 2 StPO) zur Wehr setzen ( Stricker aaO 371).
In Ermangelung des Vorliegens der Voraussetzungen für das von der Staatsanwaltschaft begehrte Vorgehen nach § 112 StPO wurde der Antrag vom Erstgericht zur Recht zurückgewiesen, weshalb der Beschwerde – in Übereinstimmung mit der von der Oberstaatsanwaltschaft in ihrer Stellungnahme vertretenen Ansicht – nicht Folge zu geben.
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