32Bs106/21d – OLG Wien Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Wien als Vollzugssenat nach § 16a StVG hat durch die Senatspräsidentin Mag. Seidl als Vorsitzende sowie die Richterin Dr. Vetter und den fachkundigen Laienrichter Oberst Turner als weitere Senatsmitglieder in der Vollzugssache des A***** S***** wegen Nichtgewährung eines Strafvollzugs in Form des elektronisch überwachten Hausarrests (eüH) über dessen Beschwerde gegen den Beschluss des Landesgerichts ***** als Vollzugsgericht vom *****, GZ *****, nach § 121b Abs 2 StVG in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Beschwerde wird Folge gegeben, der angefochtene Beschluss aufgehoben und die Angelegenheit zur neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen .
Text
Begründung:
Mit dem angefochtenen Beschluss gab das Landesgericht ***** als Vollzugsgericht einer Beschwerde des A***** S***** vom ***** gegen den Bescheid der Anstaltsleiterin der Justizanstalt ***** vom *****, GZ *****, mit dem sein Antrag auf Vollzug der mit Urteil des Landesgerichts ***** vom ***** (rechtskräftig seit *****), AZ *****, verhängten Freiheitsstrafe sowie der damit widerrufenen bedingt nachgesehen Strafe des Landesgerichts ***** vom *****, AZ *****, im eüH abgewiesen worden war, mit der Maßgabe, dass der Antrag nicht zurück- sondern abgewiesen werde, nicht Folge.
Begründend stellte das Vollzugsgericht unter Wiedergabe der Strafregisterauskunft des Angeklagten und des Spruchs der zuletzt erfolgten Verurteilung darauf ab, dass der Beschwerdeführer schon 16 Mal mit einer gerichtlichen Strafe belegt worden und mehrfach in Strafhaft gewesen sei, wobei bedingte Strafnachsichten überwiegend widerrufen worden seien. Sohin sei nicht mit der notwendigen hohen Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass eine bedingte Entlassung vor dem rechnerischen Strafende erfolgen werde. Die Voraussetzung einer ein Jahr nicht übersteigenden Reststrafe für die Bewilligung eines eüH läge damit nicht vor. Da die Antragstellung materiell-rechtlich nicht begründet sei, wäre der Antrag abzuweisen gewesen.
Mit der dagegen fristgerecht eingebrachten Beschwerde (ON 4) moniert A***** S*****, dass bei der Prognoseannahme bezüglich einer möglichen bedingten Entlassung nicht allein auf die Entscheidungspraxis der Vollzugsgerichte abzustellen sei, vielmehr sei zu gewichten, welche positiven und negativen Faktoren vorlägen. Das Erstgericht sei auf die für ihn sprechenden Umstände nicht eingegangen, sondern habe lediglich seine Vorstrafen und die Schwere des Anlassdelikts als Entscheidungsgrundlage herangezogen. Tatsächlich sei er trotz hohen Strafrests im ***** von der Justizanstalt Stein in die Justizanstalt Wien-Simmering überstellt worden. Er habe während der Haft eine Lehre als Metallarbeiter absolviert und die Lehrabschlussprüfung am ***** erfolgreich bestanden. Nachdem er bereits eine Lehre als Elektriker absolviert habe und auch über einen Lehrabschluss als Maurer verfüge, sei davon auszugehen, dass er sich nach einer bedingten Entlassung rasch in den Arbeitsmarkt integrieren könne. Sohin sei seine Aussicht auf ein redliches Fortkommen nach der Haft mit einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit anzunehmen. Er sei seit vielen Jahren suchtmittelabhängig, was ein wesentlicher Hintergrund für sein bisheriges strafbares Verhalten gewesen sei. Während der nunmehrigen Haft habe er sich endgültig entschieden, diese Suchtproblematik professionell zu bearbeiten. Er sei seit längerem im Substitutionsprogramm und setze sich seit ***** auch psychotherapeutisch mit seiner Suchtpersönlichkeit und seinem delinquenten Verhalten auseinander. Dabei sei er wöchentlich bei der Psychotherapeutin DSA S***** W***** in Behandlung.
Das Erstgericht stelle ihn als Menschen mit sehr hoher krimineller Energie dar. Dies sei allerdings zu relativieren, da er seit fast einem Jahr Freigänger sei und diese Vollzugsform nie missbraucht habe. Nach ständiger Spruchpraxis würden in Österreich hoch kriminelle Menschen mit entsprechendem Rückfallrisiko nie in den Genuss dieser Vollzugsform kommen, sodass dies als positiver Faktor zu werten sei. Es sei ihm bewusst, dass die Spruchpraxis des zuständigen Vollzugsgerichts in seinem Fall eine bedingte Entlassung eher nicht vorsähe, allerdings seien die erwähnten positiven Faktoren zu gewichten und daher in seinem Fall davon auszugehen, dass bezüglich der bedingten Entlassung die Entscheidung zu seinen Gunsten ausfalle.
Rechtliche Beurteilung
Nach § 16a Abs 1 Z 1 iVm Abs 2 StVG entscheidet das Oberlandesgericht Wien für das gesamte Bundesgebiet über Beschwerden gegen einen Beschluss des Vollzugsgerichts nach § 16 Abs 3 StVG wegen Rechtswidrigkeit, wobei Letztere nicht vorliegt, soweit das Vollzugsgericht Ermessen im Sinne des Gesetzes geübt hat. Gemäß § 16a Abs 3 StVG ist gegen den Beschluss des Vollzugsgerichts nach § 16 Abs 3 StVG eine Beschwerde nur dann zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der zur Wahrung der Rechtseinheit, Rechtssicherheit oder Rechtsentwicklung erhebliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Vollzugsgericht von der bisherigen höchstgerichtlichen Rechtsprechung abweicht, eine solche fehlt oder uneinheitlich ist.
Hat das Vollzugsgericht nach § 16 Abs 3 StVG Ermessen im Sinne des Gesetzes geübt, darf das Oberlandesgericht Wien den Beschluss weder aufheben, noch – um das Ermessen anders auszuüben – abändern ( Pieber in WK 2 StVG § 16a Rz 5; Drexler/Weger , StVG 4 § 16a Rz 2).
Die Bewilligung eines eüH hängt von den Umständen des jeweiligen Einzelfalls ab und begründet nur dann eine erhebliche Rechtsfrage, wenn das Vollzugsgericht von der bisherigen höchstgerichtlichen Rechtsprechung zu den gesetzlichen Rahmenbedingungen dieser Vollzugsform abweicht, wenn eine solche fehlt oder uneinheitlich ist. Dabei zu treffende Ermessensentscheidungen bewirken gemäß § 16a Abs 2 StVG keine Rechtswidrigkeit.
Voraussetzung der Bewilligung des eüH ist gemäß § 156c Abs 1 Z 1 StVG zunächst, dass die zu verbüßende oder noch zu verbüßende Strafzeit 12 Monate nicht übersteigt oder nach sinngemäßer Anwendung des § 145 Abs 2 StVG voraussichtlich nicht übersteigen wird, wodurch bei Beurteilung der noch zu verbüßenden Strafzeit auch auf eine voraussichtliche bedingte Entlassung Bedacht zu nehmen ist ( Drexler/Weger , StVG 4 § 156c Rz 4). Die Vollzugsbehörde erster Instanz hat eine eigene auf den entscheidungsrelevanten Zeitpunkt bezogene Prognose darüber anzustellen, ob bzw wann der Beschwerdeführer voraussichtlich bedingt entlassen wird. Dabei ist nicht nur auf die Persönlichkeit des Strafgefangenen und seine Aussicht auf ein redliches Fortkommen nach der Haft zu blicken, sondern auch auf die Entscheidungspraxis der Vollzugsgerichte ( Drexler / Weger, StVG 4 aaO; Walser , Recht und Wirklichkeit des elektronisch überwachten Hausarrests, S 94 mit Verweis auf EBRV 772 BlgNR 24. GP 6). Für die Annahme einer bedingten Entlassung ist jedenfalls hohe Wahrscheinlichkeit erforderlich ( Drexler / Weger aaO mwN). Die Einschätzung der voraussichtlich noch zu verbüßenden Strafzeit unter Berücksichtigung des voraussichtlichen Zeitpunkts der bedingten Entlassung ist eine typische Ermessensentscheidung im Sinne des § 16a Abs 2 StVG (Oberlandesgericht Wien, 33 Bs 329/16y, 132 Bs 345/18g, 32 Bs 92/20v uva).
Im Lichte der oben angesprochenen Prämissen begegnen die vom Vollzugsgericht angestellten Erwägungen zur Wahrscheinlichkeit einer bedingten Entlassung, die angesichts der verbleibenden Strafzeit zu zwei Drittel erfolgen müsste, Bedenken.
Bei der Prüfung des Vorliegens der Voraussetzungen für eine bedingte Entlassung ist jeweils von den Umständen des Einzelfalls auszugehen. Das Schwergewicht liegt sohin in der Regel nicht im Rechtsbereich (wo eine Spruchpraxis hilfreich sein kann), sondern im Tatsachenbereich, nämlich welche positiven und negativen Faktoren für eine zukünftige Prognoseentscheidung vorliegen und wie sie im Einzelfall zu gewichten sind. Keinesfalls genügt der bloße Hinweis auf die Spruchpraxis im Sinne einer Leerformel, sondern es muss sich das Erstgericht mit der Entscheidungspraxis und deren Auswirkungen auf den Einzelfall auseinandersetzen ( Drexler/Weger StVG 4 § 156c Rz 4).
Wie vom Beschwerdeführer zutreffend moniert, stellt das Vollzugsgericht ausschließlich auf sein Vorleben ab, übergeht aber die aktenkundig für ihn sprechenden Umstände, etwa das Bestehen der Lehrabschlussprüfung für Metallarbeiter mit *****, den Bericht des Vereins Neustart vom *****, wonach das Arbeitsverhalten des Beschwerdeführers, der seit ***** im Arbeitstraining als Freigänger tätig sei, vorbildlich sei, sowie die Bestätigungen der Psychotherapeutin DSA S***** W*****, wonach sich A***** S***** seit ***** in psychotherapeutischer Behandlung befinde, sich sehr bemühe an sich und seiner Straffälligkeit zu arbeiten und Verantwortung für seine Straftaten übernehme. Weiters wird vom Vollzugsgericht nicht berücksichtigt, dass von der Justizanstalt *****, in der sich A***** S***** seit ***** in Haft befindet (vgl Personeninfo aus der Integrierten Vollzugsverwaltung), eine bedingten Entlassung gemäß § 46 Abs 1 StGB iVm § 152 Abs 1 Z 2 StVG angenommen wird. Aus der Stellungnahme dieser Justizanstalt ergibt sich, dass der Beschwerdeführer lediglich einmal disziplinär zur Verantwortung gezogen habe werden müssen. Er werde seit ***** im Freigang angehalten, es liege eine sehr gute Führung vor und sei dieser aus Sicht der Anstaltsleitung für einen Vollzug im eüH geeignet.
Indem das Vollzugsgericht auf sämtliche für den Beschwerdeführer sprechenden Umstände in seiner Ermessensentscheidung nicht Bedacht genommen hat, hat es den innerhalb der gesetzlichen Parameter zukommenden Beurteilungsspielraum überschritten und das Ermessen nicht im Sinnes des Gesetzes geübt (vgl Pieber in WK² § 16a Rz 5).
Im erneuerten Verfahren wird das Vollzugsgericht unter Einbeziehung aller vorliegenden Entscheidungsgrundlagen sowie auch unter Berücksichtigung der Wirkung von Maßnahmen gemäß §§ 50 bis 52 StGB eine neuerliche Entscheidung zu treffen haben und im Falle des Vorliegens der zeitlichen Voraussetzungen nach entsprechenden Erhebungen Feststellungen zu den anderen in §§ 156b und 156c StVG genannten Voraussetzungen zu treffen haben.