JudikaturOLG Wien

33Bs387/16b – OLG Wien Entscheidung

Entscheidung
09. März 2017

Kopf

Das Oberlandesgericht Wien als Vollzugssenat nach § 16a StVG hat durch den Senatspräsidenten Dr. Dostal als Vorsitzenden sowie die Richterin Mag. Maruna und den fachkundigen Laienrichter Oberst Wolf in der Vollzugss a che des W***** N***** über dessen Beschwerde gegen den Beschluss des Landesgerichts *****, GZ *****, nach § 121b Abs 2 StVG in nichtöffentlicher Sitzung den

B e s c h l u s s

gefasst:

Spruch

Der Beschwerde wird Folge gegeben, der angefochtene Beschluss aufgehoben und die Angelegenheit zur neuerl i chen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen .

Text

B e g r ü n d u n g

Mit dem angefochtenen Beschluss wies das Landesg e richt ***** eine Beschwerde des in der Justizanstalt ***** eine wegen § ***** StGB verhängte ***** Freiheitsstrafe verbüßenden W***** N***** gegen eine Mitteilung des Leiters der Justizanstalt ***** vom *****, GZ *****, als unzulässig zurück. Begründend führte es zusammeng e fasst aus, die Eingabe des Beschwerdeführers vom *****, mit der sich dieser gegen die Anordnung des Justi z wachebeamten BI W***** S***** vom ***** beschwerte, sei vom Leiter der Justizanstalt ***** zutreffend als Dienstaufsichtsbeschwerde nach § 122 StVG gewertet worden. Die bekämpfte Mitteilung des Anstalt s leiters vom ***** sei somit in Erledigung dieser Eingabe zutreffend nicht in Form eines Bescheids erfolgt und könne daher keine Verletzung subjektiv-öffentlicher Rechte bewirken. Die Beschwerde gegen eine Erledigung im Sinne des § 122 StVG sei daher als unzulä s sig zurückzuweisen gewesen.

Dagegen richtet sich die beim Landesgericht ***** am ***** rechtzeitig eing e langte Beschwerde des W***** N***** vom *****, mit der er die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses wegen Rechtswidrigkeit und die Feststellung der Verletzung seiner subjektiven Rechte begehrt.

Rechtliche Beurteilung

Der Beschwerde kommt Berechtigung zu.

Gemäß § 16a Abs 1 Z 1 iVm Abs 2 StVG entscheidet das Oberlandesgericht Wien für das gesamte Bundesgebiet über Beschwerden gegen einen Beschluss des Vollzugsgerichtes nach § 16 Abs 3 leg cit wegen Rechtswidrigkeit, wobei Letztere nicht vorliegt, soweit das Vollzugsgericht Ermessen im Sinne des Gesetzes geübt hat.

Gemäß § 16a Abs 3 StVG ist gegen den Beschluss des Vollzugsgerichtes nach § 16 Abs 3 StVG eine Beschwerde nur dann zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der zur Wahrung der Rechtsei n heit, Rechtssicherheit oder Rechtsentwicklung erhebliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Vollzugsgericht von der bisherigen höchstgerichtlichen Rechtsprechung abweicht, eine solche fehlt oder uneinheitlich ist.

Mit dem an den Leiter der Justizanstalt ***** gerichteten und am ***** eingelangten „Einspruch gemäß § 120 StVG“ (ON 1 S 69 bis 71 verso) beschwert sich W***** N***** gegen eine Anordnung des BI W***** S***** vom *****, mit der dieser den Beschwerd e führer angewiesen hatte, vor Durchschreiten eines ele k tronischen Kontrollgerätes die in einem Kunststoffkorb von ihm mitgeführten Kleingegenstände mit Metallanhaftu n gen gesondert auf den Tisch zu legen. Durch diese Anor d nung vermeinte W***** N***** eine Verletzung seiner in § 20 StVG festgelegten Rechte, weil er durch die bekämpfte Anordnung im Hinblick auf eine zuvor von einem anderen Strafvollzugsbediensteten erteilte allgemeine Anordnung, die den Transport von Kleingegenständen in der Kunststoffbox vorschreibe, in eine Zwangslage geraten würde. Sowohl diese Zwangslage als auch das Tragen eines Kunststoffkorbes sei stigmatisierend und die Verpflic h tung zur Entfernung zu kontrollierender Gegenstände erniedrigend und demütigend, weshalb die darauf gericht e ten Anordnungen gegen Artikel 3 EMRK verstoßen würden.

Zudem sehe er durch die Anordnung auch sein subje k tives Recht in § 22 StVG verletzt, weshalb er - soweit für die gegenständliche Entscheidung von Relevanz - die Aufhebung der angefochtenen Anordnung, die Feststellung, dass mit der Anordnung seine Rechte „gemäß StVG und MRK verletzt wurden und sie somit rechtswidrig ist“ sowie die Gewährung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 120 Abs 3 StVG beantragt.

Das Ergebnis der Prüfung dieses Beschwerdevorbri n gens wurde dem Beschwerdeführer in Form eines Schreibens vom ***** mit der Zahl GZ ***** (ON 1 S 65 f), auf dem sowohl im Kopf als auch in der Unterschriftszeile der Anstaltsleiter der Justiza n stalt ***** als Verfasser aufscheint und das in der Stellungnahme des Anstaltsleiters vom ***** als vollzugsbehördliche Erledigung bezeichnet wird (ON 1 S 3), nachweislich am ***** zur Kenntnis gebracht (ON 1 S 67). Darin teilte der Anstaltsleiter dem Beschwerdeführer zusammengefasst mit, dass durch das (rechtlich einwandfreie) Verhalten des BezInsp W***** S***** eine Verletzung subjektiv-öffentlicher Insasse n rechte nicht habe festgestellt werden können und kein Anlass für vollzugsbehördliche Maßnahmen bestehen würde.

Gegen diese Entscheidung des Anstaltsleiters brachte W***** N***** mit seiner Eingabe vom ***** (laut Eingangsstempel eingegangen bei der Justizanstalt ***** am *****) „Beschwerde gemäß § 120 Abs 1 StVG“ ein, mit der er beantragt, dass Vollzugsg e richt möge der Beschwerde Folge geben, die Entscheidung der belangten Behörde wegen Rechtswidrigkeit aufheben und die Verletzung seiner subjektiv-öffentlichen Rechte durch die Entscheidung feststellen (ON 1 S 9 bis 13 verso).

Handelt es sich tatsächlich um eine Aufsichtsb e schwerde, so erfordert diese – wie das Vollzugsgericht zutreffend ausgeführt hat - gemäß § 122 StVG keine Erl e digung mit Bescheid, vielmehr fehlt einer Mitteilung der Behörde, dass sie sich zu einer begehrten aufsichtsb e hördlichen Verfügung nicht veranlasst gefunden habe, jeder rechtsgestaltende oder - feststellende Inhalt. Da unter dieser Voraussetzung selbst die Wahl der äußeren Form eines Bescheides nicht zu einer Verletzung subjekt i ver Rechte führen würde, sind Beschwerden gegen die Ablehnung einer aufsichtsbehördlichen Verfügung ohne Rücksicht auf die Form der Erledigung zurückzuweisen ( Drexler, StVG3 § 122 Rz 4).

§ 22 Abs 3 StVG normiert allgemein, dass Entsche i dungen der Vollzugsbehörden oder Anordnungen derselben oder ihrer Organe - mit Ausnahme von hier nicht in Betracht kommenden - ohne förmliches Ermittlungsverfahren und ohne Bescheid zu erlassen sind. Es ist dabei zunächst gleichgültig, ob durch diese Anordnungen und Entscheidu n gen subjektiv-öffentliche Rechte des Strafgefangenen begründet werden oder nicht ( Drexler , StV G 3 § 22 Rz 4). Nur im Verfahren bei Ordnungswidrigkeiten (§ 116) und im Beschwerdeverfahren (§ 121 StVG ) ist gemäß § 22 Abs 3 dritter Satz StVG ein Ermittlungsverfahren vorgeschrieben und ein Bescheid zu erlassen ( Pieber, W K 2 StVG § 16 Rz 11/3).

Gemäß § 121 Abs 1 StVG entscheidet über Beschwerden gegen ein Verhalten oder eine Anordnung eines Strafvol l zugsbediensteten der Anstaltsleiter durch Beschwerdee r kenntnis, das heißt in Form einer „Entscheidung“. Ob diese nun tatsächlich in Bescheidform zu ergehen hat, hängt davon ab, ob in der Beschwerde ein Anspruch au f grund eines subjektiv-öffentlichen Rechts behauptet wird. Ist das der Fall, ist durch den Anstaltsleiter nach § 22 Abs 3 StVG ein Bescheid zu erlassen, andernfalls ist nach § 122 StVG vorzugehen. Gegen einen Bescheid des Anstaltsleiters ist die Beschwerde an das Vollzugsgericht nach § 16 Abs 3 StVG zulässig ( Drexler, StVG3 § 121 Rz 1).

Daraus ist abzuleiten, dass dann, wenn der Strafg e fangene behauptet, durch die Entscheidung oder Anordnung in einem subjektiv-öffentlichen Recht verletzt zu sein, ein formelles, mit Bescheid zu erledigendes Beschwerd e verfahren nach §§ 120 f StVG durchzuführen ist. Mit di e sem Bescheid ist über das Vorbringen entweder bei Vorli e gen eines subjektiv-öffentlichen Rechts inhaltlich abz u sprechen oder die Beschwerde aus formellen Gründen oder mangels Bestehen eines solchen Rechtes zurückzuweisen ( aaO § 22 Rz 4 mwN). Selbst wenn rechtsirrig das Bestehen eines subjektiv-öffentlichen Rechts behauptet wird, ist über die Beschwerde mit Bescheid (auf Zurückweisung) zu entscheiden ( Drexler StV G 3 § 120 Rz 1). Es kommt daher für die Frage, ob der Anstaltsleiter über eine Beschwerde des Strafgefangenen mit Bescheid zu entscheiden hat, nicht darauf an, ob die Behauptung der Verletzung subjektiver Rechte letztlich zu Recht besteht, oder nicht, sondern lediglich darauf, ob nach dem Inhalt der Beschwerde erkennbar das Ziel verfolgt wird, dass eine jeweils bereits individuell eingetretene Rechtsverletzung bescheidmäßig festgestellt wird (vgl aaO § 120 Rz 6, 28).

W***** N***** leitete seine Eingabe vom ***** mit „I. Einspruch gemäß § 120 StVG gegen eine Anor d nung eines Strafvollzugsbediensteten (StrVB)“ und „II. Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 120 Abs 3 StVG“ ein (ON 1 S 69), sah durch die bekämpfte Anordnung sein „subjektives Recht in § 22 StVG verletzt“ und beantragte die Aufhebung der angefochtenen Anordnung sowie die Feststellung, dass durch die Anor d nung seine Rechte „gem StVG und EMRK“ verletzt wurden (ON 1 S 71). Somit ist dieser Eingabe auch im Zusammenhalt mit der Schilderung des inkriminierten Vorfalls vom ***** anlässlich des Durchschreitens des elektron i schen Kontrollgeräts ohne Zweifel zu entnehmen, dass sich der Beschwerdeführer gegen eine gegen ihn individuell gerichtete Anordnung eines Strafvollzugsbediensteten we n det und sich dadurch in einem in § 22 Abs 1 StVG begrü n deten subjektiv-öffentlichen Recht auf eine bestimmte Behandlung verletzt sieht. Es geht ihm mit diesem Vo r bringen nicht darum, künftige allgemeine Missstände abz u stellen oder generelle Anordnungen für den Strafvollzug im Sinne einer Aufsichtsbeschwerde nach § 122 StVG zu bekämpfen, sondern erkennbar um eine bescheidmäßige Fes t stellung einer bereits individuell eingetretenen Recht s verletzung ( aaO, StVG3 § 122 Rz 1).

Gegenständlich wäre der Einspruch des W***** N***** vom ***** somit in einem förmlichen, mit Bescheid zu erledigenden Beschwerdeverfahren nach § 120 StVG zu behandeln gewesen, weshalb der Ansicht des Vol l zugsgerichts, der Leiter der Justizanstalt ***** sei zutreffend vom Vorliegen einer Aufsichtsbeschwerde nach § 122 StVG ausgegangen, nicht gefolgt werden kann.

Aufsichtsbeschwerden erfordern – wie das Vollzugsg e richt zutreffend ausgeführt hat - gemäß § 122 StVG keine Erledigung mit Bescheid, vielmehr fehlt einer Mitteilung der Behörde, dass sie sich zu einer begehrten aufsicht s behördlichen Verfügung nicht veranlasst gefunden habe, jeder rechtsgestaltende oder -feststellende Inhalt. Da unter dieser Voraussetzung selbst die Wahl der äußeren Form eines Bescheides nicht zu einer Verletzung subjekt i ver Rechte führen würde, sind Beschwerden gegen die Ablehnung einer aufsichtsbehördlichen Verfügung ohne Rücksicht auf die Form der Erledigung zurückzuweisen ( Drexler, StVG3 § 122 Rz 4).

Im vorliegenden Fall kann der „vollzugsbehördlichen Erledigung“ vom ***** aber ungeachtet der erkennbaren Intention des Leiters der Justizanstalt *****, damit eine Aufsichtsbeschwerde zu erledigen, der Bescheidcharakter nicht abgesprochen werden. Wenngleich in der von W***** N***** mit Beschwerde an das Vol l zugsgericht bekämpften vollzugsbehördlichen Erledigung resümierend festgehalten wird, dass sich „kein Anlass für vollzugsbehördliche Maßnahmen ergeben“ habe, wird sehr wohl auch inhaltlich über die vom Beschwerdeführer ge l tend gemachte Rechtsverletzung abgesprochen. Indem der Anstaltsleiter ausführte, dass „durch das (rechtlich ei n wandfreie) Verhalten des BI W***** S***** eine Verle t zung subjektiv-öffentlicher Insassenrechte nicht festg e stellt werden könne“ und dies im Folgenden ausführlich begründete, ist der Erledigung nicht nur ein rechtsfes t stellender Inhalt zu entnehmen, sondern auch zu erkennen, dass das behandelte Anliegen ein subjektives Recht des Einschreiters betraf (VwGH 19. Februar 1998, 97/20/0720; 12. September 1996, 95/20/0750).

Zwar ist nach der gemäß § 17 Abs 2 Z 1 StVG anzuwe n denden Bestimmung nach § 58 AVG jeder Bescheid ausdrüc k lich als solcher zu bezeichnen und hat eine Rechtsmitte l belehrung zu enthalten, was vorliegend unterlassen wurde; Neben der - der Erledigung des Anstaltsleiters aber sehr wohl zu entnehmenden - Bezeichnung der Behörde, dem Datum der Genehmigung, dem Namen des Genehmigenden sowie einer ordnungsgemäßen Fertigung haben sonstige Mängel eines Bescheides jedoch nicht notwendig dessen absolute Nic h tigkeit zu Folge, sondern bewirken nur dessen Rechtswi d rigkeit ( Thienel/Zeleny, Verwaltungsverfahrensgesetz e 19 (2014) § 58 Anm 9).

Für die Beurteilung des vorliegenden Falles folgt daraus, dass die angefochtene Erledigung nicht nichtig, sondern als bekämpfbarer, wenngleich - in Anbetracht des Unterbleibens des nach § 22 Abs 3 zweiter Satz StVG vor Bescheiderlassung durchzuführenden Ermittlungsverfahrens - rechtswidriger Bescheid anzusehen ist. Gemäß § 121 Abs 3 StVG ist der Beschwerdeführer zu hören, gemäß Abs 4 leg cit ist ihm das daraufhin ergangene Beschwerdeerkenntnis des Anstaltsleiters zu verkünden, wobei dabei auch eine – vorliegend ebenso unterlassene – Rechtsmittelbelehrung zu erfolgen hat ( Pieber , WK2 StVG § 121 Rz 4).

Da im Lichte dieser Erwägungen die Entscheidung des Vollzugsgerichtes, die Beschwerde als unzulässig zurüc k zuweisen, mit Rechtswidrigkeit behaftet ist, und dem Oberlandesgericht Wien aufgrund des Verfahrensfehlers bei Bescheiderlassung die Entscheidung in der Sache selbst verwehrt ist, ist mit Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und Zurückverweisung zur neuerlichen En t scheidung, allenfalls nach Verfahrensergänzung (auch zur Rechtzeitigkeit der laut Poststempel erst am ***** in der Justizanstalt ***** eingelangten Beschwerde) vorzugehen.

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