9Bs29/25s – OLG Linz Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Linz hat durch die Richterinnen Dr. Engljähringer als Vorsitzende, Mag. Hemetsberger und Mag. Kuranda in der Strafsache gegen A*wegen Verbrechen der nationalsozialistischen Wiederbetätigung nach § 3g Abs 1 VerbotsG über die Beschwerde des Rechtsschutzbeauftragten gegen den Beschluss des Landesgerichts Wels vom 2. Jänner 2025, HR*-4, 7, in nichtöffentlicher Sitzung entschieden:
Spruch
Der Beschwerde wird nicht Folge gegeben.
Text
Begründung:
Mit („Stampiglien“-)Beschluss vom 2. Jänner 2025 (ON 4, 7) wurde vom Erstgericht über Antrag der Staatsanwaltschaft Wels (ON 1.2) gemäß §§ 109 Z 2a, 115f Abs 1 und 2 StPO die Beschlagnahme von Datenträgern und darauf gespeicherten Daten, nämlich Mobiltelefone, Computer und sonstige Datenträger des A* bewilligt. Die Beschlagnahme umfasste die Datenkategorien Geräteinformationen, Authentifizierungs- und Authentisierungsdaten sowie Multimedia, Dokumente und Kommunikation für den Zeitraum 5. Dezember 2018 bis 2. Jänner 2025 und bezog sich auf Dateninhalte, die für die Aufklärung der Straftat nach § 3g Abs 1 VerbotsG wesentlich sind, nämlich Daten mit Bezug zum Nationalsozialismus und Daten mit rechtsextremem und rassistischem Inhalt. Für die Durchführung wurde eine Frist bis zum 5. Februar 2025 gesetzt.
In den zur Begründung übernommenen Ausführungen der Staatsanwaltschaft (ON 4, 6) wird hiezu erläutert: „Die Anordnung der Beschlagnahme ist zur Aufklärung der Straftat erforderlich, weil dadurch festgestellt werden kann, ob, wann und an wen der Beschuldigte die inkriminierten Bilder, Videos und Nachrichten übermittelte und ob er im Besitz von weiterem, Rückschlüsse auf die subjektive Tatseite erlaubenden, nationalsozialistischen Propagandamaterial ist und dieses ebenfalls anderen zugänglich machte. Sie steht zur Bedeutung der Sache nicht außer Verhältnis, weil den Beschuldigten mehrere, über einen Zeitraum von mehreren Jahren begangene Verbrechen der nationalsozialistischen Wiederbetätigung nach § 3g Abs 1 VerbotsG zur Last liegen und sie nicht durch gelindere Mittel substituiert werden kann.“
Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde des Rechtsschutzbeauftragten vom 27. Jänner 2025 (ON 11), mit der er unter Verweis auf eine Verletzung des § 115f Abs 3 StPO dessen ersatzlose Behebung begehrt.
Die Staatsanwaltschaft sprach sich am 30. Jänner 2025 gegen die Beschwerde aus und beantragte deren Zurück- bzw Abweisung (ON 12). Die Oberstaatsanwaltschaft beantragte in ihrer Stellungnahme vom 18. Februar 2025 zusammengefasst, der Beschwerde nicht Folge zu geben, wogegen sich wiederum der Rechtsschutzbeauftragte am 26. Februar 2025 äußerte.
Die Beschwerde, die inhaltlich eine Abweisung des Antrags der Staatsanwaltschaft auf gerichtliche Bewilligung dieser Maßnahme anstrebt, ist nicht berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
Nach den bisherigen Erkenntnissen des Ermittlungsverfahrens ist A* verdächtig, er habe zu nachgenannten Zeiten an noch festzustellenden Orten sich auf andere als die in den §§ 3a bis 3f VerbotsG bezeichnete Weise im nationalsozialistischen Sinne betätigt, indem er per WhatsApp im angefochtenen Beschluss näher bezeichnete (vgl RIS-Justiz RS0124017 [T2], [T3], [T4]) Inhalte teilte, und zwar
A./ im Zeitraum von 16. Oktober 2019 bis 24. Dezember 2023 in der aus zwölf Mitgliedern bestehenden WhatsApp-Gruppe „B* **“ in den im angefochtenen Beschluss unter 1./ bis 38./ bezeichneten Fällen;
B./ im Zeitraum 5. Dezember 2018 bis 20. April 2020 in der aus fünf Mitgliedern bestehenden WhatsApp-Gruppe „B* **“ in den im angefochtenen Beschluss unter 1./ bis 5./ bezeichneten Fällen;
C./ am 24. Dezember 2022 und am 31. Dezember 2022 im WhatsApp-Chat mit C* in den im angefochtenen Beschluss unter 1./ und 2./ bezeichneten Fällen,
und habe dadurch Verbrechen der nationalsozialistischen Wiederbetätigung nach § 3g Abs 1 VerbotsG begangen.
Der sich gegen A* ergebende Verdacht gründet auf den bisherigen Ermittlungen der PI D*, insbesondere den bei der Auswertung des Mobiltelefons des C* aufgefundenen Chat-Protokollen. Wenngleich sich zur subjektiven Tatseite keine Ausführungen in der der Bewilligung zugrundeliegenden Anordnung finden, ist aufgrund des nach der Verdachtslage anzunehmenden objektiven Geschehens, insbesondere aufgrund der Vielzahl der übermittelten Dateien und des insgesamt langen Tatzeitraums entgegen der Einlassung des Beschuldigten (ON 10.3) hinreichend indiziert, dass er es bei seinem Vorgehen ernstlich für möglich hielt und sich damit abfand, sich dadurch im nationalsozialistischen Sinne zu betätigen. Eine höhergradige Wahrscheinlichkeit ist bezüglich der Verdachtslage nicht gefordert. Der Umstand, dass die inkriminierten Dateien vom Beschuldigten versandt wurden, ist im Übrigen aufgrund der gegebenen Beweislage in objektiver Hinsicht auch durch die bisherigen Angaben des Beschuldigten dringend anzunehmen.
Nach § 115f Abs 1 StPO ist die Beschlagnahme von Datenträgern und Daten – zum Zweck der Auswertung von Daten (§ 109 Z 2a StPO) – zulässig, wenn sie aus Beweisgründen erforderlich scheint und aufgrund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, dass dadurch Informationen ermittelt werden können, die für die Aufklärung einer Straftat wesentlich sind. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist zu beachten (§ 5 iVm § 74 Abs 2 iVm § 115f StPO).
Dabei haben die Anordnung und die gerichtliche Bewilligung für die Beschlagnahme von Datenträgern und Daten nach § 115f Abs 3 StPO unter anderem die Tatsachen, aus denen sich ergibt, dass die Anordnung und Bewilligung zur Aufklärung der Tat voraussichtlich erforderlich und verhältnismäßig sind, anzuführen. Darüber hinaus haben sie die Umschreibung der Datenkategorien und Dateninhalte, die zu beschlagnahmen sind, und in Bezug auf welchen Zeitraum dies zu erfolgen hat, zu enthalten. Die Beschlagnahme darf jeweils nur für jenen Zeitraum angeordnet und bewilligt werden, in Bezug auf welchen dies zur Erreichung ihres Zwecks voraussichtlich erforderlich und verhältnismäßig ist, wobei der Verfassungsgerichtshof die Festlegung eines bestimmten Zeitraums fordert (AB 16 BlgNR 28. GP 18). Maßgeblich ist daher, dass die Beschlagnahme auf einen relevanten Zeitraum eingeschränkt wird (§ 5 StPO). Den Beginn und das Ende eines Zeitraums hat die Staatsanwaltschaft anhand bereits vorliegender Beweismittel oder sonstiger stichhaltiger Anhaltspunkte festzulegen. Wenn keine konkreten Informationen – weder aus Vernehmungen noch aus anderen Beweismitteln – vorliegen, ist der Zeitraum möglichst anhand der bekannten Tatsachen zu bestimmen. Für die gerichtlich bewilligte Anordnung ist in erster Linie entscheidend, ob der Zeitraum für die Aufklärung der Straftat verhältnismäßig ist (vgl Einführungserlass des BMJ vom 23. Dezember 2024 zum StPRÄG 2024, S 9 f).
Der Beschwerdeführer kritisiert nun zwar grundsätzlich zutreffend, dass in der angefochtenen Entscheidung keine konkreten Beweismittel oder sonstige stichhaltige Anhaltspunkte dafür angeführt wurden, warum die Beschlagnahme von Datenträgern und Daten (auch) für den Zeitraum vom 25. Dezember 2023 bis 2. Jänner 2025 erforderlich sein sollte. Die zentrale Beschwerdeargumentation beläuft sich daher im Wesentlichen darauf, dass der Endzeitpunkt des festgelegten Zeitraums nicht durch den Tatverdacht indiziert und dessen Dauer daher als unverhältnismäßig zu beurteilen sei.
Dem ist zunächst in Übereinstimmung mit der Oberstaatsanwaltschaft zu entgegnen, dass der Grund für die Festlegung des Zeitraums – (gemeint:) über das bislang bekannte, inkriminierte Verhalten, demnach der Beschuldigte an verschiedene Adressaten jedenfalls im Zeitraum vom 5. Dezember 2018 bis zuletzt am 24. Dezember 2023, darunter immer wieder auch zur Weihnachtszeit sowie um den Jahreswechsel, in insgesamt 45 Fällen einschlägiges Material versandt habe, hinaus – fallbezogen auch ohne explizite Bezugnahme in Anordnung und Bewilligung schon aus der bisherigen Verdachtslage gefolgert werden kann. Denn solcherart ausgehend von der mutmaßlichen wiederholten Verbreitung von nationalsozialistischen Inhalten via Social Media an eine Mehrzahl von Empfängern während eines mehrjährigen Zeitraums ist auch der Verdacht einer noch ausgedehnteren Verbreitung von gegen das VerbotsG verstoßenden Inhalten keineswegs entfernt. Daher kann der Argumentation der Staatsanwaltschaft, Ermittlungen seien hier auch darüber anzustellen, ob weitere Verbreitungshandlungen stattgefunden haben, weitere verbotsgesetzwidrige Inhalte auf dem Datenträger vorhanden sind und diese bis dato konserviert (siehe auch § 3n VerbotsG) bzw verbreitet wurden, unter den Aspekten der Pflicht zur amtswegigen Sachverhaltsaufklärung ( Schmoller, WK-StPO § 3 Rz 28) wegen des konkreten Verdachts der Betätigung im nationalsozialistischen Sinn sowie einer nicht unzulässigen Erkundungsbeweisführung im Ermittlungsverfahren (RIS-Justiz RS0097230; Flora , WK-StPO § 116 Rz 74) beigepflichtet werden. Davon abgesehen ermöglicht die Beschlagnahme im bewilligten Ausmaß eine verlässlichere Beurteilung der subjektiven Tatseite, zumal dadurch erlangte Beweisergebnisse auch der Entlastung des Beschuldigten dienen können.
Hinzu kommt – worauf die Oberstaatsanwaltschaft in ihrer Stellungnahme verweist und welcher Sicht sich der Beschwerdeführer in seiner Äußerung vom 26. Februar 2025 anschließt, dass der Zeitraum für die Beschlagnahme von Datenträgern und Daten nicht ausnahmslos mit dem (bislang nachweisbaren) Tatzeitraum ident sein muss. Dieser ist nämlich so zu wählen, dass auch Vorgänge nach dem (bislang ermittelten) Tatzeitraum umfasst sind, weil dadurch erhebbare Vorgänge durchaus Aufschluss über das zeitlich nachgelagerte Tatgeschehen geben können, was gleichfalls für die Aufklärung des umschriebenen Tatverdachts erforderlich ist (vgl OLG Wien 32 Bs 297/24x).
Alles in allem ist auch die Verhältnismäßigkeit der angestrebten Ermittlungsmaßnahme in Bezug auf den erstreckten Auswertungszeitraum zu bejahen. Dass der Beschuldigte sein mutmaßlich bei der Tatbegehung verwendetes Smartphone Samsung Galaxy (Modell unbekannt) Ende Oktober/Anfang November 2024 in einem Altstoffsammelzentrum entsorgt habe und auf seinem sichergestellten Handy keine solchen Inhalte mehr zu finden seien (ON 10.3, 4), hat nach den bislang vorliegenden Erkenntnissen noch keinen Einfluss auf die hier anzustellende Bewertung. Orientiert an der Schwere der (im Verdachtsbereich) angelasteten Straftaten, nämlich dem zahlreichen und mehrjährigen Übermitteln von nach § 3g VerbotsG umfassten Inhalten an mehrere Personen, der bewilligten Beschlagnahme bei einer Person sowie der Intensität des Tatverdachts kann vielmehr von einer Unverhältnismäßigkeit der ohnehin auf bestimmte Datenkategorien und Dateninhalte eingeschränkten Auswertung bis zur erstgerichtlichen Beschlussfassung am 2. Jänner 2025 nicht gesprochen werden.
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diese Entscheidung steht ein weiterer Rechtszug nicht zu (§ 89 Abs 6 StPO).