Das Oberlandesgericht Innsbruck hat durch die Richterin Mag. a Hagen als Vorsitzende sowie den Senatspräsidenten Dr. Lechner und die Richterin Mag. a Obwieser als weitere Mitglieder des Senats in der Strafsache gegen A* wegen des Verbrechens der schweren Körperverletzung nach § 84 Abs 4 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Berufung des Angeklagten wegen des Ausspruches über die Strafe gegen das einzelrichterliche Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom 18.12.2024, **-28, sowie über die Beschwerde gegen den Beschluss nach § 494a StPO nach der am 25.2.2025 in Anwesenheit der Schriftführerin RiAA MMag. a Auckenthaler, der Sitzungsvertreterin der Oberstaatsanwaltschaft StA MMMag. a Härting, des Angeklagten und seiner Verteidigerin RAA Mag. a Hubauer, Kzl RA Dr. Paulweber, öffentlich durchgeführten Berufungsverhandlung am selben Tag
1. zu Recht erkannt:
Der Berufung wird dahingehend F o l g e gegeben, dass die Freiheitsstrafe auch in Anwendung des § 39 Abs 1 und Abs 1a StGB ausgesprochen, auf 15 (fünfzehn) Monate h e r a b g e s e t z t und gemäß §§ 31, 40 StGB unter Bedachtnahme auf das Urteil des Bezirksgerichts Innsbruck vom 17.12.2024, **, rechtskräftig seit 21.12.2024, als Zusatzstrafe verhängt wird.
Gemäß § 390a Abs 1 StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Berufungsverfahrens zur Last.
2. beschlossen:
Der Beschluss auf Widerruf der bedingten Entlassung zu **, Landesgericht Innsbruck, wird aufgehoben.
Gemäß § 494a Abs 1 Z 4 StPO wird die bedingte Entlassung zu **, Landesgericht Innsbruck, widerrufen.
Der Angeklagte wird mit seiner Beschwerde auf diese Entscheidung verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Ein Einzelrichter erkannte mit dem angefochtenen Urteil, das auch unbekämpft gebliebene Entscheidungen über privatrechtliche Ansprüche enthält, den ** geborenen A* des Vergehens des Widerstands gegen die Staatsgewalt nach §§ 15 Abs 1, 269 Abs 1 erster Fall StGB (zu 1.), des Vergehens der schweren Körperverletzung nach § 83 Abs 1, § 84 Abs 2 StGB und des Verbrechens (der schweren Körperverletzung) nach § 84 Abs 4 StGB (zu 2.a) sowie der Vergehen der schweren Körperverletzung nach §§ 15, 83 Abs 1, 84 Abs 2 StGB (zu 2.b und c) schuldig, verhängte hiefür in Anwendung des § 28 Abs 1 StGB nach § 84 Abs 4 StGB eine Freiheitsstrafe von 2 Jahren, rechnete gemäß § 38 Abs 1 Z 1 StGB die Vorhaft vom 12.11.2024, 21.12 Uhr bis 22.30 Uhr, und vom 19.11.2024, 14.45 Uhr, bis 18.12.2024, 10.25 Uhr, auf die Strafe an und verurteilte den Angeklagten gemäß § 389 Abs 1 StPO zum Ersatz der Kosten des Strafverfahrens. Gemäß § 494a Abs 1 Z 4 StPO wurde die zu ** (richtig: **, US 8), Landesgericht Innsbruck, gewährte bedingte Entlassung (Strafrest 1 Jahr und 6 Monate) widerrufen.
Der Angeklagte hat laut Urteilstenor „ am ** in **
Der Einzelrichter stellte zur Person und zum Vorleben Nachstehendes fest (US 3 f):
„Der am ** in ** geborene österreichische Staatsbürger A* ist ledig und war zuletzt arbeitslos. Er erhielt zuletzt EUR 600,-- monatlich vom Arbeitsmarktservice. Er hat kein Vermögen und keine Schulden.
Die Strafregisterauskunft des Angeklagten weist insgesamt 4 Eintragungen auf.
Er wurde vom Landesgericht Innsbruck im Jahr 2017 zu ** wegen Körperverletzung und versuchten Widerstand gegen die Staatsgewalt zu einer unbedingten Geldstrafe verurteilt.
Im Jahr 2020 wurde er vom Landesgericht Innsbruck zu ** wegen versuchten Widerstand gegen die Staatsgewalt und wegen Raub zu einer 3-jährigen Freiheitsstrafe verurteilt. Aus dieser Strafhaft wurde der Angeklagte zu ** am 30.03.2022 unter Setzung einer Probezeit von 3 Jahren bedingt entlassen und Bewährungshilfe angeordnet.
Aus Anlass einer neuerlichen Verurteilung zu ** wurde die Probezeit auf 5 Jahre verlängert. Mit diesem zuletzt genannten Urteil wurde der Angeklagte wegen Nötigung und anderer Delikte zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von 4 Monaten verurteilt. Vollzugsdatum dieser letzten Strafhaft war der 30.09.2022.
Vom Landesgericht Innsbruck wurde der Angeklagte zu ** im Jahr 2023 wegen versuchten Widerstand gegen die Staatsgewalt und anderer Delikte zu einer 18-monatigen Freiheitsstrafe verurteilt. Vollzugsdatum war der 06.06.2024.
Bei der Strafbemessung wurde das Geständnis als mildernd, hingegen das Zusammentreffen von einem Verbrechen und vier Vergehen, das Vorliegen der Voraussetzungen der Strafschärfung im Rückfall nach § 39 StGB und die Widerstandshandlungen gegen drei Polizeibeamte als erschwerend gewertet.
Die Vorhaftanrechnung und der Ausspruch der Kostenersatzpflicht wurden auf die jeweils bezogene Gesetzesstelle gestützt.
Die bedingte Entlassung zu **, Landesgericht Innsbruck, sei zu widerrufen, da der Angeklagte trotz Probezeitverlängerung wiederum Taten, die auf der gleichen schädlichen Neigung beruhten, verübt habe.
Dagegen richtet sich die rechtzeitig angemeldete, schriftlich ausgeführte Berufung des Angeklagten wegen des Ausspruchs über die Strafe (ON 24 und 29), die unter Geltendmachung zusätzlicher besonderer Milderungsgründe beantragt, die Strafe schuld- und tatangemessen herabzusetzen. Die unter einem schriftlich ausgeführte Beschwerde beantragt, vom Widerruf der bedingten Entlassung zu **, Landesgericht Innsbruck, abzusehen.
Die Oberstaatsanwaltschaft sprach sich gegen einen Rechtsmittelerfolg aus, zumal die Voraussetzungen der Strafschärfung bei Rückfall nach § 39 Abs 1 und Abs 1a StGB erfüllt seien, weshalb die Strafbefugnis 6 Monate bis zu 7 1/2 Freiheitsstrafe betrage. Die weiters reklamierten Milderungsgründe lägen nicht vor, zugunsten des Angeklagten sei zu berücksichtigen, dass die abgeurteilten Taten - über jene zum Nachteil von Insp. C* (2.a) hinaus - beim Versuch geblieben seien. Im Rahmen allgemeiner Strafbemessungskriterien seien die Tatbegehung innerhalb offener Probezeit sowie der rasche einschlägige Rückfall nach Verbüßung der Haftstrafe zu **, Landesgericht Innsbruck, zu veranschlagen. Das einschlägig getrübte Vorleben des Angeklagten und sein rascher einschlägiger Rückfall während bereits verlängerter Probezeit erforderten auch den Widerruf der bedingten Entlassung zu **, Landesgericht Innsbruck.
Die Berufung ist im spruchgemäßen Umfang berechtigt.
Das Bezirksgericht Innsbruck verurteilte den Angeklagten am 17.12.2024, **, rechtskräftig seit 21.12.2024, wegen des Vergehens des Diebstahls nach §§ 127, 15 StGB, begangen am 2.9.2024, 10.9.2024 und 7.10.2024, „gemäß § 39 StGB nach § 127 StGB“ zu einer Freiheitsstrafe von drei Monaten. Gleichzeitig wurde (gemäß § 494a Abs 1 Z 2 StPO) vom Widerruf der bedingten Entlassung zu **, Landesgericht Innsbruck, abgesehen. Bei der Strafbemessung wurden das Geständnis als mildernd, hingegen zwei einschlägige Vorstrafen als erschwerend gewertet (ON 16 f in **, Bezirksgericht Innsbruck). Auf dieses Vorurteil ist aufgrund der Tatzeiten gemäß §§ 31, 40 StGB Bedacht zu nehmen ( Ratz in Höpfel/Ratz , WK 2 § 31 Rz 5).
Die Urteilsannahmen zum Vorleben (US 3 f) sind überdies insoweit zu ergänzen, da der Angeklagte zu **, Landesgericht Innsbruck (ON 2.3), nicht nur wegen des Verbrechens des Raubes nach § 142 Abs 1 StGB (begangen mit Gewalt), sondern auch wegen der Vergehen der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs 1, 84 Abs 2 StGB (Schuldspruch IV.) und des Widerstands gegen die Staatsgewalt nach §§ 15 Abs 1, 269 Abs 1 erster Fall StGB (begangen durch Tritte und Schläge), zu **, Landesgericht Innsbruck (ON 2.4) unter anderem wegen des Vergehens der Nötigung nach § 105 Abs 1 StGB (begangen mit Gewalt) und zu **, Landesgericht Innsbruck (ON 2.5), auch wegen der Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB, der Vergehen der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs 1, 84 Abs 2 StGB und der Vergehen des Widerstandes gegen die Staatsgewalt nach §§ 15, 269 Abs 1 erster Fall StGB (begangen mit Gewalt und gefährlicher Drohung) jeweils zu einer unbedingten Freiheitsstrafe verurteilt wurde.
Davon ausgehend treffen die Strafzumessungsgründe im Ersturteil mit nachstehenden Ergänzungen bzw. Präzisierungen zu.
Die teilweise Beschränkung auf den Versuch (Schuldsprüche 1. und 2.b und c; US 2; s. auch ON 27, 10) ist ebenfalls mildernd (§ 34 Abs 1 Z 13 StGB).
Der Milderungsgrund des § 34 Abs 1 Z 11 StGB setzt voraus, dass die Schuldfähigkeit des Angeklagten im Grenzbereich der Zurechnungsfähigkeit angesiedelt ist und demnach qualitativ an der Grenze einer (noch) verminderten (und noch nicht ausgeschlossenen) Zurechnungsfähigkeit liegt (RIS-Justiz RS0091313 [T1]). Für die Annahme einer zum Tatzeitpunkt im Grenzbereich der Zurechnungsfähigkeit liegenden Schuldfähigkeit des Angeklagten sprechen neben dem kriminalpolizeilichen Berichten (ON 18), das fachärztliche Zeugnis nach dem UBG (ON 7.3) und der ärztliche Entlassungsbrief der Tirol Kliniken vom 18.11.2024 (ON 18.12), wonach der Angeklagte bei akuter Selbst-Fremdgefährdung bei Suizidandrohungen und fremdaggressivem Verhalten untergebracht worden sei. Der Angeklagte habe sich zum Aufnahmezeitpunkt stark gespannt mit fremdaggressivem Verhalten gezeigt und habe bei akutem Raptus und Fremdgefährdung fixiert und entsprechend sediert werden müssen. Der vom Angeklagten relevierte Milderungsgrund nach § 34 Abs 1 Z 11 StGB ist daher im konkreten Fall indiziert (zum Zweifelsgrundsatz hinsichtlich der Feststellung für die Strafbemessung entscheidender Tatsachen: RIS-Justiz RS0132076).
Zusätzlich aggravierend ist - worauf die Oberstaatsanwaltschaft zutreffend hinweist - der rasche Rückfall nach dem Vollzug der Freiheitsstrafe von 18 Monaten zu **, Landesgericht Innsbruck (ON 21; Vollzugsdatum 6.6.2024; RIS-Justiz RS0091041, RS0090981).
Ausgehend von den im Berufungsverfahren ergänzten Urteilsannahmen zum Vorleben (US 3 f) sind im konkreten Fall überdies die Voraussetzungen nach § 39 Abs 1 und Abs 1a StGB erfüllt, da der Angeklagte schon zweimal wegen vorsätzlicher strafbarer Handlungen gegen Leib und Leben (zur rechtsgutbezogenen Betrachtung: RIS-Justiz RS0134087) zu Freiheitsstrafen, die er wenigstens zum Teil verbüßt hat, und darüber hinaus schon zweimal zu Freiheitsstrafen, die wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhender Taten verhängt wurden, verurteilt worden ist (Nr. 2, 3 und 4, ON 21; vgl. RIS-Justiz RS0091978, RS0092084 [ON 2.4]). Weder das Urteil noch der Akt enthält zudem Anhaltspunkte für eine Rückfallsverjährung nach § 39 Abs 2 StGB (vgl. RIS-Justiz RS0091410). Im Falle eines nach § 39 Abs 1 und Abs 1a StGB erweiterten Strafrahmens ist nunmehr die Anführung dieser Bestimmung im Urteilsspruch geboten (RIS-Justiz RS0133600 [T2]).
Das Vorliegen der Voraussetzungen der Strafschärfung bei Rückfall nach § 39 Abs 1 und Abs 1a StGB verstärkt überdies den besonderen Erschwerungsgrund nach § 33 Abs 1 Z 2 StGB.
Der vom Angeklagten reklamierte Milderungsgrund nach § 34 Abs 1 Z 4 StGB ist nicht gegeben, weil mit der dort angeführten Furcht diejenige vor einem Anstifter, einem Vorgesetzten oder Dienstgeber gemeint ist, wie der sprachliche Zusammenhang mit der Einwirkung eines Dritten und mit dem Gehorsam klar erkennen lässt (RIS-Justiz RS0091562). Hiefür gibt es keine Anhaltspunkte im Akt (siehe zB ON 11.6, 2; BV ON 18.7, 4; ON 27, 3).
Die zum Tatzeitpunkt aufgrund Drogen- und Alkoholkonsums eingeschränkte Dispositions- und Diskretionsfähigkeit des Angeklagten (US 5) ist, weil er die enthemmende Wirkung solchen Konsums bei sich aufgrund vorangegangener Straffälligkeit bereits kannte (ON 2.3, 2.4, 2.5), nicht mildernd (RIS-Justiz RS0091087, RS0090988, RS0090903); ein Rauschzustand infolge Suchtgiftgenusses ist überdies in der Regel nicht mildernd, weil ein Suchtmittelkonsum regelmäßig nur deliktisch verwirklicht werden kann (RIS-Justiz RS0091038, vgl. RIS-Justiz RS0091056, RS0091059; OGH vom 14.5.2024, 14 Os 9/24s; Mayerhofer StGB 6 § 35 E 6).
Aufgrund der Bedachtnahme trifft nunmehr ein Verbrechen mit fünf Vergehen zusammen ( Ratz , aaO § 40 Rz 2).
Die Tatwiederholung beim Diebstahl (s. Bedachtnahmeurteil) ist weiters aggravierend (RIS-Justiz RS0107400).
Im Rahmen allgemeiner Strafbemessungserwägungen (§ 32 Abs 2 StGB) fiel zudem die Tatbegehung während des zu **, Bezirksgericht Innsbruck, anhängigen Strafverfahrens zum Nachteil des Angeklagten ins Gewicht (s. Bv vom 2.9.2024, ON 4.5, 10.9.2024, ON 2.5, und vom 11.10.2024, ON 3.5, alle im Vorakt; RIS-Justiz RS0090984, RS0119271).
Die Tatbegehung während offener Probezeit zu **, Landesgericht Innsbruck, erhöht überdies den Schuldgehalt (§ 32 Abs 2 zweiter Satz StGB; RIS-Justiz RS0090597).
Weitere im Ersturteil unberücksichtigt gebliebene mildernde Umstände werden nicht vorgebracht; solche sind auch aus dem Akt nicht ableitbar.
Unter Berücksichtigung der allgemeinen Grundsätze der Strafbemessung nach § 32 StGB, des Schuld- und Unrechtsgehalts der Taten, der heranzuziehenden Erschwerungs- und Milderungsgründe, der fallaktuell gemäß § 39 Abs 1 und Abs 1a StGB erweiterten Strafbefugnis und der Erwägung, dass das Ausmaß der verhängten Strafe in einer realistischen Relation zum Unrechtsgehalt und Schuldgehalt der konkreten Tat(en) bleiben muss, auch wenn ein Täter mehrere einschlägige Vorstrafen aufweist und die Rückfallsvoraussetzungen des § 39 StGB gegeben sind (RIS-Justiz RS0090854), ist der Berufungssenat der Ansicht, dass bei gemeinsamer Aburteilung insgesamt auf eine Freiheitsstrafe von achtzehn Monaten zu erkennen gewesen wäre. Angesichts der im früheren Urteil verhängten Strafe war daher die im Ersturteil ausgesprochene Sanktion entsprechend herabzusetzen und unter Bedachtnahme auf das genannte frühere Urteil als Zusatzstrafe zu verhängen.
Das einschlägig getrübte Vorleben und der rasche Rückfall innerhalb der verlängerten Probezeit begründen jene spezialpräventiven Bedenken, die einer (teil-)bedingten Strafnachsicht nach §§ 43 Abs 1, 43a Abs 2 und 3 StGB entgegenstehen.
Für die Anwendung außerordentlicher Strafmilderung (§ 41 StGB) fehlt es an einem Überwiegen der Milderungsgründe.
Der Ausgang des Berufungsverfahrens hat die im Spruch angeführten Kostenfolgen.
Aufgrund der Abänderung des Strafausspruchs war der Widerrufsbeschluss im Ersturteil aufzuheben und eine neue Entscheidung nach § 494a StPO zu treffen (RIS-Justiz RS0101886 [12 Os 85/19w]). Vor allem mit Blick auf das einschlägig getrübte Vorleben und den raschen Rückfall innerhalb der verlängerten Probezeit sowie während anhängigen Strafverfahrens erscheint in Anbetracht der neuerlichen Verurteilung zusätzlich zu dieser der Widerruf der bedingten Entlassung zu **, Landesgericht Innsbruck, spezialpräventiv geboten.
Der Angeklagte war mit seiner Beschwerde auf diese Entscheidung zu verweisen.
Rückverweise