JudikaturOLG Graz

9Bs308/24y – OLG Graz Entscheidung

Entscheidung
Schadenersatzrecht
05. Februar 2025

Kopf

Das Oberlandesgericht Graz hat durch die Senatspräsidentin Mag a . Kohlroser als Vorsitzende, den Richter Mag. Obmann, LL.M. und die Richterin Mag a . Berzkovics in der Strafsache gegen A* wegen des Verbrechens der schweren Körperverletzung nach § 84 Abs 4 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Berufungen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Leoben vom 2. Oktober 2024, GZ **-49, nach der am 5. Februar 2025 in Anwesenheit des Oberstaatsanwalts Mag. Liensberger, LL.M., der Privatbeteiligtenvertreter Rechtsanwalt Mag. Schuster, Rechtsanwalt Mag. Streitmayer und Amtsdirektor Krenn, der Privatbeteiligtenvertreterin Rechtsanwältin Mag a . Hiebler, des Angeklagten und seines Verteidigers Rechtsanwalt Mag. Zechner durchgeführten Berufungsverhandlung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Berufung des Angeklagten wegen Nichtigkeit und wegen des Ausspruchs über die Schuld und die privatrechtlichen Ansprüche wird nicht Folge gegeben.

Aus Anlass der Berufung wird das Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch zu B.IV. und demgemäß im Strafausspruch (mit Ausnahme der Vorhaftanrechnung) aufgehoben und die Sache im Umfang der Aufhebung des Schuldspruchs zu B.IV. zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Leoben verwiesen.

A* wird für die ihm weiterhin zur Last liegenden strafbaren Handlungen, nämlich das Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB (A.), das Vergehen des Widerstands gegen die Staatsgewalt nach §§ 15, 269 Abs 1 erster Fall StGB (B.I.), das Verbrechen der schweren Körperverletzung nach § 84 Abs 4 StGB (B.II.) und das Vergehen der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs 1, 84 Abs 2 StGB (B.III.), unter Bedachtnahme auf § 28 Abs 1 StGB in Anwendung des § 39 Abs 1 und 1a StGB nach § 84 Abs 4 StGB zur Freiheitsstrafe von 30 Monaten verurteilt .

Mit seiner Berufung wegen des Ausspruchs über die Strafe wird der Angeklagte ebenso wie die Staatsanwaltschaft mit ihrer Berufung auf die Strafneubemessung verwiesen.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Berufungsverfahrens zur Last.

Text

gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil, das auch einen unbekämpft gebliebenen Teilfreispruch enthält, wurde der am ** geborene A* des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB (A.), des Vergehens des Widerstands gegen die Staatsgewalt nach §§ 15, 269 Abs 1 erster Fall StGB (B.I.), des Verbrechens der schweren Körperverletzung nach § 84 Abs 4 StGB (B.II.), des Vergehens der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs 1, 84 Abs 2 StGB (B.III.) und des Vergehens der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 StGB (B.IV.) schuldig erkannt.

Er wurde hiefür unter Bedachtnahme auf § 28 Abs 1 StGB und § 39 Abs 1 und 1a StGB nach § 84 Abs 4 StGB zur Freiheitsstrafe von 32 Monaten verurteilt und gemäß § 389 Abs 1 StPO zum Ersatz der Kosten des Strafverfahrens verpflichtet. Die Vorhaft von 10. Juni 2024, 3.45 Uhr bis 2. Oktober 2024, 13.23 Uhr wurde gemäß § 38 Abs 1 StGB angerechnet. Gemäß § 369 Abs 1 StPO wurde der Angeklagte ferner schuldig erkannt, binnen 14 Tagen 1.500 Euro an B*, 1.200 Euro an C*, 300 Euro an D* und 19.193,29 Euro an die Republik Österreich zu zahlen. Ferner wurde festgestellt, dass der Republik Österreich das Recht auf Ersatz für alle Aufwendungen zusteht, die sie aus Anlass der vom Angeklagten am 10. Juni 2024 in ** an B* begangenen Tat erbringt oder noch zu erbringen haben wird. Mit ihrem Mehrbegehren wurden die Privatbeteiligten B*, C* und D* gemäß § 366 Abs 2 StPO auf den Zivilrechtsweg verwiesen.

Dem Schuldspruch nach hat der Angeklagte

A. am 8. April 2023 in ** D* durch das Versetzen zumindest eines Schlags sowie (leichter) Tritte gegen den Nasen- und Kieferbereich, während D* bereits am Boden lag, vorsätzlich am Körper verletzt (Schwellung der rechten Wange, Schwellung der linken Augenhöhle, Kopfprellung, Wunde an der Innenseite der Oberlippe);

B. am 10. Juni 2024

I. in ** versucht, die Polizeibeamten KI B* und RI C* mit Gewalt an Amtshandlungen, nämlich an der Feststellung seiner Identität, der Feststellung des Sachverhalts, der Beendigung eines gefährlichen Angriffs nach dem Bestimmungen des SPG und an seiner Festnahme nach den Bestimmungen der StPO „bzw. des SPG“ zu hindern, indem er sich aggressiv gegenüber den Polizeibeamten gebärdete und letztlich KI B* mit den Worten „Schleichts eich!“ schupfte, woraufhin ihm gegenüber die Festnahme ausgesprochen wurde, wobei er versuchte, sich durch heftiges Wehren bzw. Rangeln und Treten gegen die Beamten aus der Fixierung zu lösen und seine Hände derart verkrampfte, dass ihm die Handfesseln vorerst nicht angelegt werden konnten und es letztlich nur deshalb beim Versuch blieb, weil er mit Unterstützung weiterer in der Zwischenzeit eingetroffener Polizeibeamten festgenommen und auf die Polizeiinspektion E* verbracht werden konnte;

II. durch die zu Punkt B.I. genannte Tat den Polizeibeamten KI B* vorsätzlich am Körper verletzt, wobei die Tat eine länger als 24 Tage dauernde Gesundheitsschädigung und Berufsunfähigkeit zur Folge hatte (Prellungen, Abschürfungen am Ellbogen, Einblutung im Schleimbeutel des Ellbogens mit der Notwendigkeit einer operativen Sanierung [US 9]);

III. durch die zu Punkt B.I. genannte Tat den Polizeibeamten RI C*, mithin einen Beamten während oder wegen der Vollziehung seiner Aufgaben oder der Erfüllung seiner Pflichten, vorsätzlich am Körper verletzt (angebrochene Rippe);

IV. nach der zu Punkt B.I. genannten Tat in ** KI B* mit zumindest einer Verletzung am Körper gefährlich bedroht, um ihn in Furcht und Unruhe zu versetzen, indem er zu ihm sagte: „ Dei Gsicht merk i ma, irgendwon kum i wieder aussa und dann bist dron! “.

Gegen das Urteil richtet sich einerseits die Berufung des Angeklagten wegen Nichtigkeit (§ 281 Abs 1 Z 4 und 5 iVm § 489 Abs 1 StPO) und wegen des Ausspruchs über die Schuld, die Strafe und die privatrechtlichen Ansprüche (ON 56), andererseits die zum Nachteil des Angeklagten erhobene Berufung der Staatsanwaltschaft wegen des Ausspruchs über die Strafe (ON 54).

Rechtliche Beurteilung

Die Berufung des Angeklagten wegen Nichtigkeit und wegen des Ausspruchs über die Schuld und die privatrechtlichen Ansprüche bleibt ohne Erfolg.

Entgegen der Verfahrensrüge (Z 4) wurden durch die Abweisung des in der Hauptverhandlung gestellten Antrags (ON 48.1.1, 23) auf „Erörterung des Gutachtens Dr. F* samt Ergänzungsgutachten zum Beweis dafür, dass die Versetzung eines Stoßes durch den Angeklagten aus dem vorliegenden Video auszuschließen ist“, die Verteidigungsrechte des Angeklagten nicht verletzt.

Unter der „Erörterung“ eines Gutachtens ist üblicherweise die Ausübung des Fragerechts an den Sachverständigen (§ 249 Abs 1 StPO) nach der durch mündlichen Vortrag oder einverständliche Verlesung bewirkten Erstattung des Gutachtens zu verstehen, was schon deshalb nicht in Betracht kam, weil die schriftlichen Gutachten weder vorgetragen noch verlesen wurden. Versteht man den Beweisantrag aber in dem Sinn, dass er auf die mündliche Gutachtenserstattung in der Hauptverhandlung abzielte, so ließ er nicht erkennen, weshalb dieser Beweis dazu geeignet sein sollte, das behauptete Beweisthema zu klären. Eine eingehende Begründung wäre im konkreten Fall jedoch erforderlich gewesen, weil evident ist, dass der Vorfall am Überwachungsvideo nicht lückenlos aufgezeichnet wurde und nach allgemeinen Erfahrungswerten schon eine Unterbrechung der Aufnahme von einer halben Sekunde ausreichen würde, um jemandem einen Stoß zu versetzen, ohne dass dieser am Video zu sehen ist. Damit ist keineswegs offensichtlich, warum die beantragte Beweisaufnahme das vom Antragsteller behauptete Ergebnis erwarten ließe (§ 55 Abs 1 und 2 StPO; RS0118444).

Die Mängelrüge behauptet zunächst eine Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall), weil das Erstgericht das schriftliche Sachverständigengutachten nicht zu Gunsten des Angeklagten berücksichtigt habe.

Sie übersieht, dass Unvollständigkeit nur dann vorliegt, wenn das Gericht bei der für die Feststellung entscheidender Tatsachen angestellten Beweiswürdigung erhebliche Verfahrensergebnisse unberücksichtigt lässt, die in der Hauptverhandlung vorgekommen sind (RS0099578, RS0118316, RS0098646 [T3, T4] ua). Vorgekommen sind Aktenstücke nur dann, wenn sie in der Hauptverhandlung vorgelesen oder vom Vorsitzenden vorgetragen wurden (§ 258 Abs 1 StPO). Nur in diesem Fall dürfen sie bei der Entscheidung berücksichtigt werden; darin kommt der auch verfassungsrechtlich verankerte (Art 90 Abs 1 B-VG) Grundsatz der Mündlichkeit des Verfahrens zum Ausdruck (RS0118316 [T9]). Die Berücksichtigung von Beweismitteln im Urteil, die nicht im Sinn des § 258 StPO zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemacht wurden, würde den Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs 1 Z 5 vierter Fall StPO darstellen (RS0113209, RS0098481).

Mit der Mängelrüge wird ferner geltend gemacht, dass das Erstgericht die Annahme, der Angeklagte habe sich (auch) gegen die Feststellung seiner Identität sowie gegen die Feststellung des Sachverhalts zur Wehr gesetzt, nicht begründet habe (Z 5 vierter Fall).

Ein nach dem formalen Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs 1 Z 5 StPO geltend gemachter Begründungsmangel muss den Ausspruch von für die rechtliche Beurteilung der Tat entscheidenden Tatsachen betreffen; das sind solche, die für das Erkenntnis in der Schuldfrage maßgebend sind und entweder auf die Unterstellung der Tat unter das Gesetz oder auf die Wahl des anzuwendenden Strafsatzes Einfluss üben (RS0106268, RS0099497). Da bereits die Feststellungen, wonach sich der Angeklagte gegen die Festnahme wehrte, indem er um sich schlug und trat (US 8), den Schuldspruch zu B.I. tragen, betrifft aber die Frage, ob er die Polizeibeamten durch sein Verhalten auch noch an anderen Amtshandlungen hindern wollte, keine entscheidende Tatsache.

Dass sich aus dem Ambulanzbefund in (richtig:) ON 12.20 keine objektivierte Verletzung von D* an der Nase – wohl aber andere Verletzungen sowie ein (nicht bestätigter) Verdacht auf eine Nasenbeinfrakur – ergibt, steht den zum Schuldspruchpunkt A. getroffenen Feststellungen nicht entgegen, sodass dieser Umstand nicht gesondert erörterungsbedürftig war (RS0099578 [insb T3, T10, T16], RS0098646, RS0098495 [T6]) und auch insoweit keine Unvollständigkeit iSd Z 5 zweiter Fall vorliegt.

In Bezug auf die Taten vom 10. Juni 2024 (B.I. bis B.III. des Schuldspruchs) leitete das Erstgericht die getroffenen Feststellungen zur subjektiven Tatseite aus dem objektiven Geschehen ab (US 14). Damit wurden die Feststellungen keineswegs bloß mit einer „Leerformel“ (der Sache nach Z 5 vierter Fall) begründet. Vielmehr ist der Schluss von einem gezeigten Verhalten auf ein zugrunde liegendes Wollen oder Wissen ohne Weiteres rechtsstaatlich vertretbar und bei einem – wie hier – leugnenden Angeklagten in aller Regel methodisch gar nicht zu ersetzen (RS0098671, RS0116882).

Insofern, als die Berufung gestützt auf § 281 Abs 1 Z 5 StPO den bedingten Vorsatz unter Verweis auf eine „Unmutsäußerung“ bestreitet, bekämpft sie im Ergebnis die Beweiswürdigung des Erstgerichts und entfernt sich damit vom Bezugspunkt der Mängelrüge.

Aus Anlass der Berufung überzeugte sich das Berufungsgericht allerdings davon, dass dem Urteil zu B.IV. eine nicht geltend gemachte materielle Nichtigkeit in Form eines Rechtsfehlers mangels Feststellungen (§ 489 Abs 1 iVm § 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO) anhaftet, die zum Nachteil des Angeklagten wirkt und daher von Amts wegen aufzugreifen ist (§§ 489 Abs 1, 471, 290 Abs 1 zweiter Satz StPO).

Das Erstgericht nahm als Tatmittel der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 StGB eine Drohung mit einer „Verletzung am Körper“ gemäß § 74 Abs 1 Z 5 erster Fall StGB an.

Eine Drohung ist nach der Legaldefinition dann gefährlich im Sinn des § 74 Abs 1 Z 5 StGB, wenn sie sich gegen eines der dort genannten Rechtsgüter (hier: Körper) richtet und die Eignung besitzt, dem Bedrohten begründete Besorgnisse einzuflößen. Die Beurteilung des Sinns und Bedeutungsinhalts (sowie der Ernstlichkeit) einer Äußerung betrifft eine – nicht nur auf den Wortlaut zu beschränkende, sondern einzelfallbezogen unter Berücksichtigung der konkreten Umstände zu ermittelnde – Tatfrage (RS0092088, RS0092588, RS0092437; Schwaighofer, WK² StGB § 105 Rz 61; Jerabek/Ropper, WK² StGB § 74 Rz 34). Die rechtliche Annahme der Eignung einer Äußerung, die begründete Besorgnis einzuflößen, der Täter sei willens und in der Lage, das angekündigte Übel herbeizuführen (RS0092538, RS0092255 [T1]), setzt unmissverständliche Feststellungen zum Bedeutungsinhalt dieser Äußerung dergestalt voraus, dass der Drohende dem Bedrohten ankündigt, diesem ein zukünftiges, vom Willen des Drohers abhängiges Übel zuzufügen, das – würde es tatsächlich zugefügt werden – eine Verletzung des relevierten Rechtsguts darstellt. Der Wortlaut einer Äußerung ist – gemeinsam mit den situativen Umständen und den Eigenschaften der Beteiligten – bloß Beweisquelle für die Ermittlung des Bedeutungsinhalts, wobei Feststellungen allein zum Wortlaut einer Äußerung fehlende Feststellungen zum Bedeutungsinhalt nicht ersetzen (RS0092088, RS0092887, RS0092588, RS0092437 [T4]). Ohne Feststellungen zum Bedeutungsinhalt, darunter zur Art des angedrohten Übels, bleibt schließlich auch die an den (bloßen) Wortlaut anschließende Verwendung der verba legalia (zB Bedrohung mit einer Verletzung am Körper) ohne den für die Subsumtion als gefährliche Drohung erforderlichen Sachverhaltsbezug (12 Os 14/20f).

Das Erstgericht stellte zu B.IV. lediglich den Wortlaut der Äußerung fest. Zusätzlich konstatierte es die Absicht des Angeklagten, den Bedrohten in Furcht und Unruhe zu versetzen und einen auf die Eignung zur Einflößung begründeter Besorgnisse bezogenen Vorsatz (US 10). Subsumtionstaugliche Feststellungen zum Bedeutungsinhalt der Äußerung enthält das Urteil jedoch nicht. Somit lassen die Feststellungen nicht erkennen, ob das, was angekündigt wurde, tatsächlich dem (Rechts-)Begriff „Verletzung am Körper“ entspricht.

Dieses Feststellungsdefizit führt zur Kassation des Schuldspruchs B.IV. und demgemäß auch des Strafausspruchs mit Ausnahme der Vorhaftanrechnung. Im Umfang der Aufhebung des Schuldspruchs ist die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Leoben zu verweisen.

In Ansehung der verbliebenen Schuldspruchpunkte bestehen keine Bedenken gegen die vom Erstgericht aufgrund einer ausführlichen und plausiblen Beweiswürdigung getroffenen Feststellungen, sodass die Schuldberufung erfolglos bleibt.

Zu Punkt A. stützte das Erstgericht seine Feststellungen nachvollziehbar auf die Angaben des Tatopfers D* sowie der Zeugen G* und H*, die beide angaben, dass sie bei D* eine Verletzung im Mundbereich wahrgenommen hätten. Dass D* nach dem Ambulanzbefund in ON 12.20 keine Verletzung an der Nase erlitten hat, lässt keine Zweifel an dieser Beweiswürdigung aufkommen, ergibt sich aus diesem Befund doch, dass sie Schmerzen am Nasenbein schilderte, weshalb auch der Verdacht auf eine Nasenbeinfraktur bestand. Darüber hinaus werden in dem Befund sichtbare Verletzungen im Bereich des Gesichts angeführt (eine Wunde an der inneren Oberlippe sowie Schwellungen an der Lippe und am unteren Orbitarand), die sich gut mit den vom Opfer geschilderten Tathandlungen in Einklang bringen lassen. Eine allgemeine Lebenserfahrung dahingehend, dass ein „körperlich massiv überlegener Angreifer, der alkoholisiert ist und im Zorn handelt“, in jedem Fall eine schwerere Verletzung bewirkt hätte, existiert nicht.

Auch die Beweiswürdigung des Erstgerichts zu den Punkten B.I. bis B.III. ist nicht zu kritisieren. Das aggressive Verhalten des Angeklagten und sein Widerstand gegen die Festnahme sind auf der Videoaufzeichnung in ON 4 gut zu erkennen. Dass der von den Polizeibeamten geschilderte Stoß gegen KI B*, der ihren Angaben zufolge Anlass für den Ausspruch der Festnahme war, auf dem Überwachungsvideo nicht ersichtlich ist, spricht nicht gegen die Glaubwürdigkeit der Beamten, weil die Aufnahme unmittelbar vor der Festnahme kurz unterbrochen ist, sodass aufgrund des Videos keineswegs ausgeschlossen werden kann, dass der Angeklagte KI B* tatsächlich einen Stoß versetzt hat. Hinzu kommt, dass auch der (unbeteiligte) Zeuge I* angegeben hat, dass der Angeklagte die Polizeibeamten „weggeschupft“ habe (ON 22.1, 23). Dass der Angeklagte etwa drei Stunden nach der Tat einen Alkoholisierungsgrad von 1,02 mg/l Atemluft aufwies (ON 3.2, 6), indiziert keine Zurechnungsunfähigkeit und spricht auch nicht gegen die Urteilsannahmen zur subjektiven Tatseite.

Infolge der Aufhebung des Schuldspruchs zu B.IV. ist in Ansehung des verbliebenen Schuldspruchs zu A., B.I., B.II. und B.III. mit Strafneubemessung vorzugehen.

Aus § 84 Abs 4 StGB ergibt sich eine Strafdrohung von sechs Monaten bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe. Da beim Angeklagten nach den Feststellungen auf US 5 die Voraussetzungen für die Strafschärfung bei Rückfall (§ 39 Abs 1 und 1a StGB) vorliegen, beträgt der anzuwendende Strafrahmen sechs Monate bis zu siebeneinhalb Jahre Freiheitsstrafe.

Als erschwerend sind das Zusammentreffen von einem Verbrechen mit mehreren Vergehen, sechs frühere Verurteilungen wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhender Taten sowie die Tatbegehung gegen die Lebensgefährtin (zu A.) zu berücksichtigen. Schuldsteigernd ist außerdem der rasche Rückfall nach der Haftentlassung am 24. Jänner 2023, die Begehung der Taten zu B. während des anhängigen Strafverfahrens, der Widerstand gegen mehrere Polizeibeamte und der Umstand, dass die Tat zu B.II. sowohl eine Gesundheitsschädigung als auch eine Berufungsunfähigkeit der Opfers in der Dauer von mehr als 24 Tagen zur Folge hatte. Ohne Verstoß gegen das Doppelverwertungsverbot kann ferner zum Nachteil des Angeklagten berücksichtigt werden, dass der Angeklagte die Tat zu B.II. an einem Beamten während der Vollziehung seiner Aufgaben begangen hat. Dadurch wäre zusätzlich das Vergehen nach §§ 83 Abs 1, 84 Abs 2 StGB verwirklicht ( Burgstaller/Schütz , WK² StGB § 84 Rz 104), was vom Erstgericht jedoch nicht angenommen wurde. Das Vollzugsverhalten des Angeklagten während der Untersuchungshaft kann entgegen dem Erstgericht nicht als erschwerend gewertet werden, weil es nicht im Zusammenhang mit der Schuld des Täters (§ 32 StGB) steht. Als mildernd steht dem bloß gegenüber, dass die Tat zu B.I. beim Versuch geblieben ist.

Bei diesem Strafzumessungssachverhalt erweist sich eine Freiheitsstrafe von 30 Monaten als tat- und schuldangemessen. Die bedingte Nachsicht der Strafe oder eines Teils davon (§§ 43, 43a StGB) kommt wegen des massiv belasteten Vorlebens aus spezialpräventiven Gründen nicht in Betracht. Mit seiner Berufung wegen des Ausspruchs über die Strafe ist der Angeklagte ebenso wie die Staatsanwaltschaft mit ihrer Berufung auf die Strafneubemessung zu verweisen.

Unberechtigt ist schließlich auch die inhaltlich nicht weiter begründete Berufung des Angeklagten wegen des Ausspruchs über die privatrechtlichen Ansprüche.

Der Zuspruch von Schmerzengeld in der eingangs dargestellten Höhe an die Privatbeteiligten B*, C* und D* ist durch die Schuldspruchpunkte B.II, B.III. und A. sowie die festgestellten Verletzungen und Schmerzperioden (US 6 und 9) gedeckt.

Die Privatbeteiligte Republik Österreich macht 19.193,29 Euro aus dem Titel der Lohnfortzahlung für die beim Vorfall verletzten Polizeibeamten B* und C* geltend. Der Anspruch des Dienstgebers, der wegen Beeinträchtigung der körperlichen Integrität seines Dienstnehmers aufgrund arbeits- bzw. dienstrechtlicher Vorschriften zur Lohnfortzahlung verpflichtet ist, auf Rückersatz der erbrachten Lohnfortzahlung gegenüber dem Schädiger ist allgemein anerkannt. Der Schadenersatzanspruch des Dienstnehmers geht auch bei einem (hier:) öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis – gleich einer Legalzession – mit der geleisteten Lohnfortzahlung auf den Dienstgeber über, bemisst sich nach dem Bruttolohn und umfasst auch Lohnnebenkosten und anteilige Sonderzahlungen, zu denen der Dienstgeber verpflichtet war (stRspr; RS0020106, RS0105072, RS0043287; Kodek in Kletečka/Schauer , ABGB-ON 1.04 § 1295 Rz 47; Reischauer in Rummel , ABGB³ § 1295 Rz 29 ff). Auf Basis der von der Privatbeteiligten Republik Österreich vorgelegten unbedenklichen Unterlagen zur Höhe der Lohnfortzahlungen und der angestellten Schadensberechnung ist der Privatbeteiligtenzuspruch auch insoweit nicht zu kritisieren.

Nach § 69 Abs 1 erster Satz StPO kann der Privatbeteiligte auch einen aus der Straftat abgeleiteten, auf Feststellung gerichteten Anspruch gegen den Beschuldigten geltend machen. Ein Feststellungsbegehren ist dann möglich, wenn zu erwarten ist (nicht ausgeschlossen werden kann), dass der Privatbeteiligte aus der Straftat neben den bereits bezifferbaren Schäden weitere Schäden erleiden wird ( Spenling, WK StPO § 371 Rz 1/1; RS0038976, RS0039018).

Die Urteilsannahmen zum Feststellungsbegehren (US 9) bilden eine ausreichende Grundlage dafür, den Angeklagten für alle weiteren Aufwendungen, die der Republik Österreich von Gesetzes wegen für B* infolge der von diesem erlittenen rechtswidrigen und schuldhaften Körperverletzung vom 10. Juni 2024 entstehen werden, haften zu lassen.

Der Kostenausspruch ist eine Folge der Sachentscheidung und stützt sich auf § 390a Abs 1 StPO.

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