JudikaturOGH

9Ob92/25g – OGH Entscheidung

Entscheidung
Schadenersatzrecht
26. August 2025

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Mag. Ziegelbauer als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte Mag. Korn, Dr. Stiefsohn, Mag. Böhm und Dr. Gusenleitner Helm in der Rechtssache der klagenden Partei C*, vertreten durch Poduschka Partner Anwaltsgesellschaft mbH in Linz, gegen die beklagten Parteien 1. J* Gesellschaft mbH, *, und 2. V* AG, *, beide vertreten durch Pressl Endl Heinrich Bamberger Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, wegen Vertragsaufhebung und Zahlung von 25.224,90 EUR sA, über den Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien vom 28. August 2024, GZ 5 R 64/24d 50, womit der Berufung der zweitbeklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Eisenstadt vom 29. Jänner 2024, GZ 18 Cg 10/20b 44, Folge gegeben wurde, beschlossen und zu Recht erkannt:

Spruch

1. Das Verfahren wird fortgesetzt.

2. Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der Beschluss des Berufungsgerichts wird aufgehoben und in der Sache selbst dahin erkannt, dass das Urteil des Erstgerichts mit der Maßgabe wiederhergestellt wird, dass es in Punkt II.1. zu lauten hat:

„Die Klagsforderung besteht mit 25.224,90 EUR zu Recht.“

Die zweitbeklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 2.744,82 EUR (darin 457,47 EUR USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens sowie die mit 3.503,90 EUR (darin 329,65 EUR USt und 1.526 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Rekursverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

[1] Der Kläger erwarb 2016 bei der Erstbeklagten einen von der Zweitbeklagten hergestellten VW Kombi Entry TDI EU6 um 36.735,29 EUR. Das Fahrzeug ist mit einem Dieselmotor des Typs EA288 der Abgasklasse 6 inklusive SCR Katalysator/AdBlue zur Abgasnachbehandlung ausgestattet. Dieser Motor verfügt über eine von der Umgebungstemperatur beeinflusste Abschaltung der Abgasrückführung (AGR), um den Emissionsausstoß zu verringern. Das Fahrzeug weist ein Thermofenster mit einem Temperaturbereich zwischen 12 °C und 39 °C auf. Innerhalb dieses Fensters erfolgt keine aktive Veränderung der AGR Rate, bei Über- oder Unterschreiten dieses Temperaturbereichs kommt es zu einer Reduzierung der AGR Rate. Eine volle Abgasrückführung findet daher nur in der warmen Jahreszeit statt. Eine Fahrkurvenerkennung wurde nach Übergabe des Fahrzeugs im Rahmen eines Software Updates entfernt.

[2] Das Fahrzeug verfügt über eine aufrechte Typengenehmigung nach der VO (EG) Nr 715/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2007 über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 5 und Euro 6) und über den Zugang zu Reparatur- und Wartungsinformationen für Fahrzeuge (VO 715/2007/EU).

[3] Der Kläger ging zum Zeitpunkt des Kaufvertragsabschlusses davon aus, dass das Fahrzeug nicht vom Abgasskandal betroffen ist. Er hätte das Fahrzeug nicht gekauft, wenn ihm bewusst gewesen wäre, dass in ihm unzulässige Abschalteinrichtungen verbaut sind.

[4] Gegenüber der Erstbeklagten wurde die Klage mittlerweile rechtskräftig abgewiesen.

[5] Der Klägerbegehrt von der Zweitbeklagten zuletzt 25.224,90 EUR (Kaufpreis abzüglich eines Benützungsentgelts) sA Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs, hilfsweise die Zahlung von 5.000 EUR als Preisminderung. Er bringt – soweit für das Rekursverfahren von Relevanz – vor, das Fahrzeug sei mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet. Die Abgasrückführung sei lediglich in einem Temperaturbereich von 15 °C bis 33 °C Celsius voll funktionsfähig. Unter Berücksichtigung der klimatischen Bedingungen werde es daher überwiegend im schadstoffreichen Modus betrieben. Die Zweitbeklagte hafte aus deliktischem Schadenersatz aufgrund listiger Irreführung (in eventu fahrlässiger Irreführung) und § 2 UWG. Das Fahrzeug verfüge weiters über eine Prüfstandserkennung in Form einer Fahrkurvenerkennung, die ebenfalls eine unzulässige Abschalteinrichtung darstelle. Aufgrund dieser Mängel sei der Kaufpreis Zug um Zug gegen Rückstellung des Fahrzeugs zurückzuzahlen. Vom Kaufpreis werde dabei ein Benutzungsentgelt für die Nutzung des Fahrzeugs ab Übergabe abgezogen.

[6] Die Zweitbeklagte bestreitet. Das Fahrzeug sei nicht vom Abgasskandal betroffen, es weise keine Umschaltlogik im Prüfstand auf. Das Thermofenster sei aus Gründen des Motorschutzes zulässig. Es sei nicht von einem verpflichtenden Rückruf bzw Software Update des Kraftfahrt Bundesamts (KBA) betroffen. Es habe nur ein freiwilliges Update aufgrund einer Konformitätsabweichung stattgefunden. Das Thermofenster sei auch nicht während des überwiegenden Teils eines Jahres unter den im Unionsgebiet herrschenden tatsächlichen Fahrbedingungen aktiv und stelle deshalb keine unzulässige Abschalteinrichtung dar. Weder sei ein relevanter Irrtum auf Seiten des Klägers vorgelegen noch ein solcher von den Beklagten (arglistig) veranlasst worden. Ein Schadenersatzanspruch scheitere schon daran, dass kein Schaden vorliege, zumal das Fahrzeug über eine aufrechte EG-Typengenehmigung verfüge und auch keine merkantile Wertminderung eingetreten sei. Die Zweitbeklagte habe auf die Rechtsauskunft des zuständigen KBA, das in Kenntnis der beanstandeten Abschalteinrichtungen dennoch die EG Typengenehmigung erteilt habe, vertrauen dürfen. Aufrechnungsweise werde ein Benützungsentgelt von 20.918,28 EUR eingewendet. Dieser Betrag errechne sich aus dem Kaufpreis abzüglich des Händlereinkaufspreises.

[7] Das Erstgericht erkannte gegenüber der Zweitbeklagten die Klagsforderung als mit 25.224,90 EUR (offenbar irrtümlich angeführt 25.510,39 EUR) zu Recht, die Gegenforderung der Zweitbeklagten als nicht zu Recht bestehend und verpflichtete die Zweitbeklagte zur Zahlung von 25.224,90 EUR sA Zug um Zug gegen Rückstellung des Fahrzeugs. Das im Fahrzeug eingebaute Thermofenster stelle eine unzulässige Abschalteinrichtung iSd Art 5 VO 715/2007/EG dar. Der daraus resultierende Schaden liege in der (objektiv) eingeschränkten Nutzungsmöglichkeit. Ein Rechtsirrtum, auf den sich die Beklagte berufe, sei nur dann nicht vorwerfbar, wenn eine Behörde demselben Rechtsirrtum unterlegen sei und die Beteiligten auf die Richtigkeit dieser Entscheidung vertrauen durften. Dabei müsse der relevante Sachverhalt der Behörde aber bekannt gewesen sein, was aber schon nach dem Vorbringen der Zweitbeklagten nicht der Fall gewesen sei. Die Zweitbeklagte habe daher als Herstellerin des Fahrzeugs für die Übertretung eines Schutzgesetzes einzustehen.

[8] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Zweitbeklagten gegen den klagsstattgebenden Teil dieser Entscheidung Folge, hob das erstinstanzliche Urteil auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurück an das Erstgericht. Dem Käufer eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestatteten Fahrzeugs stehe ein Schadenersatzanspruch zu, wenn dadurch die Gültigkeit der EG Typengenehmigung und damit der Übereinstimmungsbescheinigung in Frage gestellt werde, was zu einer Unsicherheit über die Nutzungsmöglichkeit und „letztlich“ zu einem Schaden führen könne. Dem stehe es nicht entgegen, dass das Fahrzeug über eine aufrechte und nicht widerrufsgefährdete Zulassung verfüge. Zur Überprüfung der Behauptung der Zweitbeklagten, dass sie einem entschuldbaren Rechtsirrtum unterlegen sei und sie keine subjektive Sorgfaltswidrigkeit treffe, seien aber ergänzende Feststellungen erforderlich, ebenso zur behaupteten unzulässigen Abschalteinrichtung der Fahrkurvenerkennung.

[9] Der Rekurs an den Obersten Gerichtshof wurde vom Berufungsgericht zugelassen, „mit Blick auf die Vielzahl an Parallelfällen, die derzeit bei österreichischen Gerichten anhängig seien“ und weil höchstgerichtliche Entscheidungen zur Qualifikation der Fahrkurvenerkennung als Abschalteinrichtung fehlten.

[10] Gegen dieses Urteil richtet sich der Rekurs des Klägers mit dem Antrag, die Entscheidung des Berufungsgerichts dahingehend abzuändern, dass das erstgerichtliche Urteil wiederhergestellt wird, in eventu wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[11] Die Zweitbeklagte beantragt, in der Sache selbst zu entscheiden und die Klage abzuweisen, in eventu den Rekurs zurück- oder abzuweisen.

Rechtliche Beurteilung

[12] Der Rekurs ist zulässig und auch berechtigt.

[13] 1. Mit Beschluss vom 13. 2. 2025 hat der Oberste Gerichtshof das Verfahren bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) über das Vorabentscheidungsersuchen vom 27. Oktober 2023 des Landgerichts Ravensburg (Deutschland), Rechtssache C 666/23, unterbrochen. Nachdem das Urteil des EuGH nunmehr vorliegt, war das Verfahren amtswegig fortzusetzen.

[14] 2. Es ist unstrittig, dass für das gegenständliche Fahrzeug die VO 715/2007/EG anwendbar ist. Nach Art 5 Abs 2 Satz 1 der VO 715/2007/EG ist die Verwendung von Abschalteinrichtungen, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringern, unzulässig. Eine Abschalteinrichtung ist nach der Legaldefinition in Art 3 Z 10 VO 715/2007/EG ein Konstruktionsteil, das die Temperatur, die Fahrzeuggeschwindigkeit, die Motordrehzahl (UpM), den eingelegten Getriebegang, den Unterdruck im Einlasskrümmer oder sonstige Parameter ermittelt, um die Funktion eines beliebigen Teils des Emissionskontrollsystems zu aktivieren, zu verändern, zu verzögern oder zu deaktivieren, wodurch die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter Bedingungen, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind, verringert wird.

[15] 3. Der Kläger behauptet einen Mangel des Fahrzeugs und damit einen Schadenersatzanspruch aufgrund des Vorliegens einer solchen unzulässigen Abschalteinrichtung.

[16]Unstrittig weist das Fahrzeug ein Thermofenster auf, aufgrund dessen die volle Abgasrückführung nur innerhalb eines bestimmten Temperaturbereichs erfolgt, wohingegen sie bei Temperaturen darüber oder darunter sukzessive reduziert wird. Ein solches Thermofenster stellt eine Abschalteinrichtung iSd Art 3 Z 10 VO 725/2007/EG (10 Ob 2/23a vom 21. 2. 2023 Rz 56 uva) dar.

[17] Mit Urteil vom 14. 7. 2022 ( C 145/20 , DS gegen Porsche Inter Auto GmbH Co KG und Volkswagen AG , ECLI:EU:C:2022:572) hat der Europäische Gerichtshof dargelegt: „ Art. 5 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung Nr. 715/2007 ist dahin auszulegen, dass eine Abschalteinrichtung, die insbesondere die Einhaltung der in dieser Verordnung vorgesehenen Emissionsgrenzwerte nur gewährleistet, wenn die Außentemperatur zwischen 15 und 33 Grad Celsius liegt, nach dieser Bestimmung allein unter der Voraussetzung zulässig sein kann, dass nachgewiesen ist, dass diese Einrichtung ausschließlich notwendig ist, um die durch eine Fehlfunktion eines Bauteils des Abgasrückführungssystems verursachten unmittelbaren Risiken für den Motor in Form von Beschädigung oder Unfall zu vermeiden, Risiken, die so schwer wiegen, dass sie eine konkrete Gefahr beim Betrieb des mit dieser Einrichtung ausgestatteten Fahrzeugs darstellen. Eine Abschalteinrichtung, die unter normalen Betriebsbedingungen den überwiegenden Teil des Jahres funktionieren müsste, damit der Motor vor Beschädigung oder Unfall geschützt und der sichere Betrieb des Fahrzeugs gewährleistet ist, kann jedenfalls nicht unter die in Art. 5 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung Nr. 715/2007 vorgesehene Ausnahme fallen .“

[18] 4. Die Zweitbeklagte macht geltend, dass zur Beurteilung, ob das konkrete Thermofenster eine unzulässige Abschalteinrichtung darstellt, auf Durchschnittstemperaturen im gesamten Unionsgebiet abzustellen wäre, nicht nur in Österreich. Von diesen ausgehend liege aber keine Abschalteinrichtung vor, die den überwiegenden Teil des Jahres die Abgasrückführung verringere.

[19] Dabei übergeht sie aber, dass selbst wenn dies zuträfe zusätzlich einer der Ausnahmetatbestände des Art 5 Abs 2 der VO 715/2007/EG vorliegen müsste, damit die Abschalteinrichtung ausnahmsweise zulässig ist.

[20] Gemäß der Verbotsausnahme nach Art 5 Abs 2 Satz 2 lit a der VO 715/2007/EG, die im vorliegenden Fall einzig in Betracht kommt, ist eine Abschalteinrichtung dann zulässig, wenn sie notwendig ist, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen und um den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten. In Anbetracht der Tatsache, dass die Ausnahme eng auszulegen ist, kann eine Abschalteinrichtung nur dann ausnahmsweise zulässig sein, wenn nachgewiesen ist, dass diese Einrichtung ausschließlich notwendig ist, um die durch eine Fehlfunktion eines Bauteils des Abgasrückführsystems verursachten unmittelbaren Risiken für den Motor in Form von Beschädigung oder Unfall zu vermeiden, die so schwer wiegen, dass sie eine konkrete Gefahr beim Betrieb des mit dieser Einrichtung ausgestatteten Fahrzeugs darstellen (C 145/20, DS gegen Porsche Inter Auto GmbH Co KG und Volkswagen AG , ECLI:EU:C:2022:572 Rn 73).

[21] Dabei ist eine Abschalteinrichtung nur dann „notwendig“ iSd Art 5 Abs 2 Satz 1 lit a der VO 715/2007/EG, wenn zum Zeitpunkt der EG Typgenehmigung dieser Einrichtung oder des mit ihr ausgestatteten Fahrzeugs keine andere technische Lösung unmittelbare Risiken für den Motor in Form von Beschädigung oder Unfall, die beim Fahren eines Fahrzeugs eine konkrete Gefahr hervorrufen, abwenden kann (vgl 10 Ob 2/23a vom 21. 2. 2023 Rn 60).

[22] Darüber hinaus würde das Verbot, auf das sich Art 5 Abs 2 lit a der VO 715/2007/EG bezieht, ausgehöhlt und jeder praktischen Wirksamkeit beraubt, wenn es zulässig wäre, dass die Hersteller Fahrzeuge allein deshalb mit solchen Abschalteinrichtungen ausstatten, um den Motor vor Verschmutzung und Verschleiß zu schützen (EuGH 17. 12. 2020, C-693/18 , CLCV , ECLI:EU:C:2020:1040 Rn 113).

[23] Das Vorliegen dieser Voraussetzungen hat die Zweitbeklagte aber im Verfahren nicht nachgewiesen.

[24] 5. Es ist daher aufgrund des konkreten Thermofensters, das eine Reduktion der Abgasrückführung bewirkt, vom Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung auszugehen. Darauf, inwieweit eine Fahrkurvenerkennung ebenfalls eine unzulässige Abschalteinrichtung darstellt, kommt es nicht an.

[25] 6. Ein Verstoß gegen Art 5 der VO 715/2007/EG kann den Hersteller des Fahrzeugs auch dann ersatzpflichtig machen, wenn er in keinem Vertragsverhältnis zum Käufer steht, sofern dem Käufer ein Schaden entstanden ist. In einem solchen Fall haben die Mitgliedstaaten einen Schadenersatzanspruch zu Gunsten des Käufers gegenüber dem Hersteller vorzusehen. Dabei handelt es sich um einen im nationalen Recht wurzelnden Schadenersatzanspruch, der am unionsrechtlichen Effektivitätsgrundsatz zu messen ist, also eine wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktion für den Verstoß darstellen muss. Im Übrigen richten sich die Modalitäten dieses Schadenersatzanspruchs nach nationalem Recht (vgl EuGH 21. 3. 2023, C 100/21 , Mercedes-Benz Group AG , ECLI:EU:C:2023:229 Rn 90 ff), hier also unstrittig nach österreichischem Recht.

[26] 7. Als nachteilige Folge – vor der ein Fahrzeugkäufer durch das Unionsrecht geschützt werden soll – sieht der EuGH auch an, dass durch die Unzulässigkeit der Abschalteinrichtung die Gültigkeit der EG Typengenehmigung und daran anschließend die der Übereinstimmungsbescheinigung in Frage gestellt werden, was wiederum (unter anderem) zu einer Unsicherheit über die Nutzungsmöglichkeit (Anmeldung, Verkauf oder Inbetriebnahme des Fahrzeugs) und „letztlich“ zu einem Schaden führen kann (EuGH 21. 3. 2023, C 100/21 , Mercedes-Benz Group AG , ECLI:EU:C:2023:229 Rn 84). Der EuGH bejaht damit abschließend den Eintritt eines objektivabstrakt zu ermittelnden Schadens allein aufgrund des Kaufvertrags. Im Fall des Erwerbs eines mit einer iSd Art 5 VO 715/2007/EG unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestatteten Fahrzeugs liegt das – den unionsrechtlichen Vorgaben entsprechend einen Schaden iSd § 1293 ABGB bildende – geringere rechtliche Interesse in der (objektiv) eingeschränkten Nutzungsmöglichkeit (Endurteil vom 25. 4. 2023 zu 10 Ob 2/23a Rz 22; 10 Ob 27/23b Rz 25 uva).

[27] 8. Es entspricht der Rechtsprechung, dass der Schutzzweck von (unter anderem) Art 5 Abs 2 der VO 715/2007/EG auch die Einzelinteressen des individuellen Käufers eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestatteten Fahrzeugs einschließt ( 10 Ob 2/23a vom 25. 4. 2023 Rz 10 ff; 10 Ob 16/23k Rz 25 ff). Ein Verstoß gegen Art 5 VO 715/2007/EG kann den Hersteller daher auch dann ersatzpflichtig machen, wenn er in keinem Vertragsverhältnis mit dem Käufer steht ( 10 Ob 2/23a vom 25. 4. 2023 Rz 18; 10 Ob 16/23k Rz 33). Der Schaden besteht darin, dass die Nutzungsmöglichkeit des Fahrzeugs eingeschränkt ist und sich das Vermögen des Erwerbers eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestatteten Fahrzeugs infolge einer unrichtigen Übereinstimmungsbescheinigung nicht entsprechend den objektiv berechtigten Verkehrserwartungen oder einem von diesen Verkehrserwartungen konkret abweichenden Willen des Erwerbers zusammensetzt (vgl 10 Ob 16/23k Rz 37 ua).

[28] Daraus folgt, dass ein individueller Fahrzeugkäufer die Person oder Stelle für einen deliktischen Schadenersatzanspruch aus der (bloß schuldhaften) Verletzung des als Schutzgesetz zu qualifizierenden Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG in Anspruch nehmen kann, die im Typengenehmigungsverfahren als Herstellerin des Fahrzeugs aufgetreten ist und die Übereinstimmungsbescheinigung ausgestellt hat. Der Erwerber eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Fahrzeugs kann entweder Geldersatz in Form einer Zug-um-Zug-Abwicklung (Rückzahlung des Kaufpreises gegen Übergabe des Fahrzeugs) verlangen oder den Minderwert des mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Fahrzeugs geltend machen ( 4 Ob 202/23v Rz 27 ff [insb Rz 31 und Rz 40] uva).

[29] 9. Soweit die Zweitbeklagte geltend macht, dass aufgrund der aufrechten Typengenehmigung kein Schaden entstanden sei, ist sie auf die Entscheidung des EuGH C 145/20, DS gegen Porsche Inter Auto GmbH Co KG und Volkswagen AG , ECLI:EU:C:2022:572, zu verweisen:

Art. 2 Abs. 2 Buchst. d der Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Mai 1999 zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter ist dahin auszulegen, dass ein Kraftfahrzeug, das in den Anwendungsbereich der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2007 über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 5 und Euro 6) und über den Zugang zu Reparatur- und Wartungsinformationen für Fahrzeuge fällt, nicht die Qualität aufweist, die bei Gütern der gleichen Art üblich ist und die der Verbraucher vernünftigerweise erwarten kann, wenn es, obwohl es über eine gültige EG Typgenehmigung verfügt und daher im Straßenverkehr verwendet werden kann, mit einer Abschalteinrichtung ausgestattet ist, deren Verwendung nach Art. 5 Abs. 2 dieser Verordnung verboten ist .“

[30] 10. Die Zweitbeklagte hat sich weiters auf einen entschuldbaren Rechtsirrtum berufen. Zu dieser Frage hat das Berufungsgericht das Verfahren als ergänzungsbedürftig erachtet und der Oberste Gerichtshof das Rekursverfahren im Hinblick auf ein anhängiges Verfahren beim EuGH unterbrochen.

[31] Mittlerweile hat der EuGH mit Entscheidung vom 1. 8. 2025, C 666/23, CM , DS gegen Volkswagen AG , ECLI:EU:C:2025:604, zur Frage, inwieweit sich der Fahrzeughersteller auf einen solchen Irrtum berufen kann, wie folgt Stellung genommen:

1. Art. 18 Abs. 1, Art. 26 Abs. 1 und Art. 46 der Richtlinie 2007/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. September 2007 zur Schaffung eines Rahmens für die Genehmigung von Kraftfahrzeugen und Kraftfahrzeuganhängern sowie von Systemen, Bauteilen und selbstständigen technischen Einheiten für diese Fahrzeuge (Rahmenrichtlinie) in der durch die Verordnung (EG) Nr. 385/2009 der Kommission vom 7. Mai 2009 geänderten Fassung sind in Verbindung mit Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2007 über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 5 und Euro 6) und über den Zugang zu Reparatur- und Wartungsinformationen für Fahrzeuge dahin auszulegen, dass sie im Rahmen einer vom Käufer eines Kraftfahrzeugs erhobenen Klage auf Ersatz des durch das Vorhandensein einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne dieses Art. 5 Abs. 2 verursachten Schadens den Hersteller des Fahrzeugs daran hindern, sich zu seiner Entlastung auf einen unvermeidbaren Verbotsirrtum hinsichtlich der Unzulässigkeit dieser Abschalteinrichtung zu berufen, der darauf zurückzuführen sein soll, dass für diese Abschalteinrichtung oder das damit ausgerüstete Fahrzeug von der zuständigen Behörde eine EG-Typgenehmigung erteilt wurde oder diese Behörde, wenn sie von diesem Hersteller dazu befragt worden wäre, seine rechtliche Beurteilung bezüglich der angeblichen Zulässigkeit der betreffenden Abschalteinrichtung bestätigt hätte.

2. Art. 4 Abs. 1 und Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 715/2007 sowie Art. 10 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 692/2008 der Kommission vom 18. Juli 2008 zur Durchführung und Änderung der Verordnung Nr. 715/2007 in der durch die Verordnung (EU) Nr. 566/2011 der Kommission vom 8. Juni 2011 geänderten Fassung sind dahin auszulegen, dass sie verlangen, dass der Erwerber eines Fahrzeugs gegen den Fahrzeughersteller einen Anspruch auf Schadensersatz hat, wenn dem Erwerber wegen einer im Sinne dieses Art. 5 Abs. 2 unzulässigen Abschalteinrichtung, die vom Hersteller nach der EG Typgenehmigung für dieses Fahrzeug mittels eines Software-Updates installiert wurde, ein Schaden entstanden ist.

[32] Ein Rechtsirrtum kann daher nicht geltend gemacht werden.

[33] 11. Soweit die Zweitbeklagte in erster Instanz andere, vom Erstgericht als unberechtigt angesehene Einwände gegen eine Haftung erhoben hat, ist sie auf diese schon in der Berufung nicht mehr zurückgekommen, weshalb auch im Revisionsverfahren nicht darauf einzugehen ist.

[34] 12. Da die vom Berufungsgericht aufgetragene Ergänzung des Verfahrens aufgrund der nunmehr vorliegenden Entscheidung des EuGH nicht mehr erforderlich ist, war in der Sache selbst zu entscheiden und das klagsstattgebende Urteil des Erstgerichts wiederherzustellen. Dabei war der offensichtliche Schreibfehler in dessen Punkt II.1. zu berichtigen.

[35] 13.Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41 und 50 ZPO. Ein Streitgenossenzuschlag steht nicht zu, da die Erstbeklagte am Rechtsmittelverfahren nicht mehr beteiligt war.