JudikaturOGH

10Ob14/25v – OGH Entscheidung

Entscheidung
Energierecht
03. Juni 2025

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten Hon. Prof. PD Dr. Rassi als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Stefula, Dr. Annerl sowie Dr. Vollmaier und die Hofrätin Dr. Wallner Friedl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei * GmbH, *, vertreten durch die Skribe Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei *, vertreten durch Mag. Gottfried Forsthuber, Rechtsanwalt in Baden, wegen Duldung, über den Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts Wiener Neustadt als Berufungsgericht vom 16. Jänner 2025, GZ 18 R 173/24f 4, mit dem infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichts Neunkirchen vom 15. Juli 2024, GZ 18 C 284/24v 11, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Das Verfahren wird bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) über den vom Landesgericht S* am 19. Juni 2024 zu * beschlossenen, am 3. Juli 2024 eingereichten und zu C 468/24 des Europäischen Gerichtshofs behandelten Antrag auf Vorabentscheidung unterbrochen.

Nach Vorliegen der Vorabentscheidung wird das Verfahren von Amts wegen fortgesetzt.

Text

Begründung:

[1] Die Klägerin ist Stromnetzbetreiberin. Der Beklagte ist Netzkunde der Klägerin. An seiner Wohnadresse ist ein im Eigentum der Klägerin stehender Ferraris-Zähler, verbaut, dessen Eichfrist mit Ende des Jahres 2026 ausläuft.

[2] Die Klägerin begehrt die Verpflichtung des Beklagten, den Ausbau dieses Strommessgeräts zum Zweck des Austauschs mit einem d igitalen Gerät durch Zutritt zur Messstelle zu dulden.

[3] Der Beklagte hält dem entgegen, aufgrund der vertraglichen und gesetzlichen Verpflichtung der Klägerin auf Gewährung des Netzzugangs sei diese verpflichtet, ihm ein gesetzeskonformes Messgerät zur Verfügung zu stellen, zumal der Ausbau des Zählers faktisch zur Stromabschaltung führe. Die von der Klägerin derzeit verwendeten Typen an „Smart Metern“ verstießen jedoch gegen verschiedene gesetzliche Anforderungen. Ihm komme ein gesetzliches Wahlrecht bzw ein Recht auf Ablehnung eines intelligenten Messgeräts zu (§ 83 Abs 1 ElWOG 2010).

[4] Das Erstgericht gab der Klage statt. Der Endverbraucher habe zwar das Recht, die Messung mittels intelligenten Messgeräts abzulehnen, was durch entsprechende „Opt out Konfigurationen“ am (digitalen) Zähler sicherzustellen sei (§ 1 Abs 6 IME VO); er sei jedoch nicht berechtigt, den Tausch seines analogen Zählers gegen ein digitales Messgerät schlechthin zu verweigern. Der Beklagte habe daher den Ausbau des im Eigentum der Klägerin stehenden Ferraris- Zählers zum Zweck des Austauschs zu dulden.

[5] Das Berufungsgericht gab der Berufung des Beklagten Folge, hob das Ersturteil auf und verwies die Sache zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurück. Es treffe zwar zu, dass die Bestimmung des § 83 ElWOG 2010 dem Endverbraucher nicht das Recht gebe, das einzubauende Messgerät zu bestimmen, sondern nur auf seine Konfiguration Einfluss zu nehmen. Das Erstgericht habe es aber mit Blick auf das Vorbringen des Beklagten verabsäumt, Feststellungen zur konkreten Wirkungsweise des für den Einbau vorgesehenen Messgeräts in der Opt out Variante zu treffen.

[6] Von der Einleitung eines Vorabentscheidungsverfahrens sowie von der Unterbrechung des Verfahrens bis zum Einlangen der Vorabentscheidung des EuGH zu C 468/24 sah das Berufungsgericht ab.

[7] Es ließ jedoch den Rekurs an den Obersten Gerichtshof in Ansehung des zugrundeliegenden, vom Landesgericht S* gestellten Vorabentscheidungsersuchens und der großen Zahl von anhängigen Parallelverfahren zu.

Rechtliche Beurteilung

[8] Mit ihrem – vom Beklagten beantworteten – Rekurs strebt die Klägerin primär die Wiederherstellung des erstgerichtlichen Urteils an.

[9] 1. Das Landesgericht S* hat mit Beschluss vom 19. 6. 2024 (in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 17. 8. 2024) zu * in einem Parallelverfahren dem EuGH folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Ist Art. 22 der Richtlinie (EU) 2019/944 in Verbindung mit Anhang II dieser Richtlinie dahin auszulegen, dass ein Netzbetreiber den Wunsch eines Endverbrauchers, kein intelligentes Messgerät zu erhalten, zu [berücksichtigen] hat und in diesem Fall verpflichtet ist, dem Endverbraucher an der Stelle eines intelligenten Messsystems einen konventionellen Zähler zur Verfügung zu stellen?

2. Ist Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 2014/32 (EU), der ein 'Messgerät' im Sinne der gerätespezifischen Anhänge III bis XII näher definiert (Elektrizitätszähler für Wirkverbrauch [MI 003]) in Verbindung mit Art. 20 Buchst. b und Buchst. c und Art. 23 Abs. 3 der Richtlinie 2019/944 so auszulegen, dass er einer Bestimmung des nationalen Rechts (§ 7 Abs. 1 Z 31 Elektrizitätswirtschafts und organisationsgesetz, in der Folge kurz: ElWOG), die keine konkreten Anforderungen an die Datensicherheit von Messgeräten stellt, entgegensteht?

3. Ist bei der Auslegung der Art. 20 Buchst. b und Buchst. c, Art. 21 Abs. 1 Buchst. a, Art. 23 Abs. 3 der Richtlinie 2019/944 auch auf Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 85/374/EWG in der durch die Richtlinie 1999/34/EG geänderten Fassung Bedacht zu nehmen?

4. Ist Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie 2002/58/EG dahin auszulegen, dass der Begriff 'elektronisches Kommunikationsnetz' auch auf ein Stromnetz anzuwenden ist, über welches Daten (Verbrauchsdaten, Meta Daten, persönliche ID) nach den Zwecken der Art. 20 Buchst. b und Buchst. c, Art. 21 Abs. 1 Buchst. a und Art. 23 Abs. 3 der Richtlinie 2019/944 übertragen werden?

5. Sind die Art. 5 Abs. 1 Buchst. f, Art. 13, Art. 32 Abs. 2 der Verordnung (EU) 2016/679 und Art. 7, Art. 8 Abs. 1 und 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: 'GRC') dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Vorschrift (§ 1 Abs. 6 Intelligente Messgeräte Einführungsverordnung) entgegenstehen, nach welcher nur die jeweilige Konfiguration des Ableseintervalls für den Endverbraucher ersichtlich sein muss, nicht aber, ob der Netzbetreiber einen 'begründeten Einzelfall' (§ 84a Abs. 1 ElWOG) erkannt hat und Daten des Endverbrauchers vor dem festgelegten Intervall abgerufen hat?

6. Ist im Hinblick auf Art. 52 Abs. 3 GRC, Abs. 5 der Präambel und die Erläuterungen zu Art. 7 GRC die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 8 EMRK für die Auslegung der Art. 20 Buchst. b und Buchst. c, Art. 21 Abs. 1 Buchst. a und Art. 23 Abs. 3 der Richtlinie 2019/944 heranzuziehen?

[10] Das Vorabentscheidungsersuchen wurde am 3. 7. 2024 beim EuGH eingereicht, das Verfahren ist zu C 468/24 anhängig.

[11] 2. Dieses Vorabentscheidungsverfahren ist für die Entscheidung im vorliegenden Fall präjudiziell, in dem der Beklagte in der Sache den Einwand erhoben hat, er sei zur Verweigerung des Ausbaus des alten Messgeräts berechtigt, solange die Klägerin ihr nicht Zug um Zug ein gesetzeskonformes neues Messgerät bereitstelle (vgl auch 6 Ob 218/24p und 8 Ob 14/25d).

[12] 3. Da der Oberste Gerichtshof von einer allgemeinen Wirkung der Vorabentscheidung des EuGH auszugehen sowie diese auch für andere Fälle als den unmittelbaren Anlassfall anzuwenden hat, ist es zweckmäßig und geboten, das Rekursverfahren zu unterbrechen (RS0110583).