JudikaturOGH

6Ob200/24s – OGH Entscheidung

Entscheidung
EU-Recht
30. April 2025

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr. Gitschthaler als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Hofer Zeni Rennhofer, Dr. Faber, Mag. Pertmayr und Dr. Weber in der Rechtssache der klagenden Partei E* W*, geboren am *, vertreten durch Poduschka Partner Anwaltsgesellschaft mbH in Linz, gegen die beklagten Parteien 1. G* GmbH, FN *, vertreten durch Mag. Markus Scheer, Rechtsanwalt in Saalfelden, 2. GGmbH, HRB *, Deutschland, vertreten durch Schneider Schneider Rechtsanwalts GmbH in Wien, wegen 19.339,70 EUR sA, im Verfahren über die Revision der zweitbeklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 26. Juni 2024, GZ 2 R 75/24y 68, womit das Urteil des Landesgerichts Salzburg vom 29. März 2024, GZ 5 Cg 78/21y 59, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Das Verfahren über die Revision der zweitbeklagten Partei wird bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) über die Vorabentscheidungsersuchen des Landgerichts Ravensburg (Deutschland) vom 27. Oktober 2023, Rechtssachen C 666/23, C 667/23 und C 668/23 unterbrochen.

Nach Vorliegen der Vorabentscheidungen wird das Verfahren von Amts wegen fortgesetzt.

Text

Begründung:

[1] Die Klägerin erwarb mit Kaufvertrag vom 23. 3. 2018 von der erstbeklagten Fahrzeughändlerin ein von der Zweitbeklagten hergestelltes Fahrzeug der Marke Opel. Dieses ist mit einem der Abgasnorm Euro 6 unterliegenden Dieselmotor der Baureihe B16DTH/LVL ausgestattet. Um den Emissionsausstoß zu verringern, verfügt das Fahrzeug über ein System der Abgasrückführung (AGR; in Form einer Hochdruck AGR) und der Abgasnachbehandlung ( NOx Speicherkatalysator ).

[2] Die AGR findet jedenfalls unter 15,5 Grad Celsius und über 34 Grad Celsius Lufttemperatur nicht in vollem Umfang statt („Thermofenster“), wobei der genaue Temperaturbereich nicht feststeht. Die Klägerin hätte das Fahrzeug nicht gekauft, hätte sie gewusst, dass auch dieses von der Abgasproblematik im Zuge des „Dieselskandals“ betroffen ist.

[3] Die Klägerin begehrt, gestützt auf eine Verletzung des Art 5 der VO 715/2007/EG als Schutzgesetz, die Aufhebung des Kaufvertrags mit der Erstbeklagten und von beiden Beklagten die Zahlung des Kaufpreises abzüglich eines Benützungsentgelts Zug um Zug gegen Rückgabe des wegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung vom „Abgasskandal“ betroffenen Fahrzeugs.

[4] Die Zweitbeklagte wendete ein, das Fahrzeug sei nicht vom „VW Dieselskandal“ betroffen und behördlich bis heute nicht beanstandet worden. Das Emissionskontrollsystem sei vor dem Erwerb des Fahrzeugs durch die Klägerin von der Typengenehmigungsbehörde im Lichte des VW Abgasskandals nach detaillierter Offenlegung der Funktionsweise und aller relevanten Parameter geprüft und genehmigt worden. Es sei zu keinem Zeitpunkt Gegenstand behördlicher Kritik gewesen. Auch alle mit der Entwicklung befassten Personen bis hin zur Geschäftsführung der Zweitbeklagten seien immer von der Rechtskonformität des Abgasreinigungssystems ausgegangen.

[5] Das Erstgericht gab dem Klagebegehren gegenüber der Zweitbeklagten im Umfang von 18.427,45 EUR sA statt; das Mehrbegehren sowie das Klagebegehren gegenüber der Erstbeklagten wies es ab.

[6] Das Berufungsgericht gab auch dem Klagebegehren gegenüber der Erstbeklagten statt und erklärte die Revision für zulässig. Das im Motor des Fahrzeugs vorhandene Thermofenster sei als unzulässige Abschalteinrichtung im Sinn der Rechtsprechung zu qualifizieren. Ein entschuldbarer Verbotsirrtum der Zweitbeklagten sei nicht erkennbar.

Rechtliche Beurteilung

[7] Das Verfahren über die (nur) von der Zweitbeklagten erhobene Revision ist zu unterbrechen. Im Revisionsverfahren werden Fragen zum Einwand des Rechtsirrtums, insbesondere in Bezug auf eine erteilte Genehmigung durch die zuständige Behörde, angesprochen.

[8] 1. In den Verfahren 2 O 331/19, 2 O 229/20 und 2 O 232/20 ua hat das Landgericht Ravensburg (Deutschland) am 27. 10 2023 dem EuGH (C 666/23, C 667/23 und C 668/23) folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Kann der Schadenersatzanspruch des Fahrzeugerwerbers gegen den Fahrzeughersteller wegen fahrlässigen Inverkehrbringens eines Fahrzeugs mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 VO (EG) Nr. 715/2007 mit der Begründung verneint werden,

a) dass ein unvermeidbarer Verbotsirrtum des Herstellers vorliege?

wenn ja:

b) dass der Verbotsirrtum für den Hersteller unvermeidbar sei, da die für die EG Typgenehmigung oder für anschließende Maßnahmen zuständige Behörde die eingebaute Abschalteinrichtung tatsächlich genehmigt hat?

wenn ja:

c) dass der Verbotsirrtum für den Hersteller unvermeidbar sei, da die Rechtsauffassung des Fahrzeugherstellers von Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 bei entsprechender Nachfrage von der für die EG Typgenehmigung oder für anschließende Maßnahmen zuständigen Behörde bestätigt worden wäre (hypothetische Genehmigung)?

[9] 2. Auch im vorliegenden Rechtsstreit ist die Beantwortung dieser Vorlagefragen für die Entscheidung über die Revision der Zweitbeklagten von Relevanz.

[10]3. Der Oberste Gerichtshof hat von einer allgemeinen Wirkung der Vorabentscheidung des EuGH auszugehen und diese auch für andere Fälle als den unmittelbaren Anlassfall anzuwenden. Aus prozessökonomischen Gründen ist das Verfahren daher zu unterbrechen (RS0110583).

Verweise

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