JudikaturOGH

16Ok3/25i – OGH Entscheidung

Entscheidung
EU-Recht
17. April 2025

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Kartellobergericht durch den Präsidenten des Obersten Gerichtshofs Univ. Prof. Dr. Kodek als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Parzmayr und Dr. Annerl als weitere Richter in der Kartellrechtssache der Antragstellerin Bundeswettbewerbsbehörde, Wien 3, Radetzkystraße 2, gegen die Antragsgegnerin F* AG, *, vertreten durch die Baker McKenzie Rechtsanwälte LLP Co KG in Wien, wegen Feststellung gemäß § 28 Abs 1 KartG, über den Rekurs der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Kartellgericht vom 22. Jänner 2025, GZ 27 Kt 1/24k 14, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung:

[1] Mit Beschluss vom 26. 4. 2024 stellte das Erstgericht gemäß § 28 Abs 1 iVm Abs 1a Z 1 KartG 2005 rechtskräftig fest, dass die Antragsgegnerin wegen einer einheitlichen und fortgesetzten Zuwiderhandlung in Form von kartellrechtswidrigen Preisabsprachen, Marktaufteilungen und einem Informationsaustausch mit Mitbewerbern in Bezug auf öffentliche und private Ausschreibungen im Bereich der Abfallwirtschaft in weiten Teilen Österreichs im Zeitraum von Juli 2002 bis März 2021 gegen § 1 Abs 1 KartG und Art 101 Abs 1 AEUV verstoßen habe.

[2] Mit Beschluss vom 28. 10. 2024 trug das Erstgericht den Parteien iSd § 37 Abs 2 KartG auf, binnen 14 Tagen jene Teile dieser Entscheidung zu bezeichnen, die von der Veröffentlichung ausgenommen werden sollen.

[3] Die Antragsgegnerin beantragte die Ausnahme mehrerer Textp assagen von der Veröffentlichung. Diese betrafen einerseits bestimmte wirtschaftliche Kennzahlen, andererseits die Namen von nicht am Verfahren beteiligten Personen.

[4] Unter anderem strebte sie auch die Ausnahme des Wortes „ABC“ sowie der Wortfolge „€ 17.000,- p.a.“ in folgendem Satz von der Veröffentlichung an:

Beispielsweise schrieb die Mitarbeiterin der Antragsgegnerin […] am 12. 6. 2010 in einem Email mit dem Betreff „FA*: ABC - ASA Kunde Umsatz € 17.000.- p.a. “ an einen Mitbewerber „FA* hält sich nicht an die Absprachen- sie haben beim o.g. Kunden angeboten ohne Absprachen angeboten – FA* hat weit unter uns angeboten, Kunde überlegt sich ob wir abziehen müssen.

[5] Sie begründete dies damit, dass es sich bei den Umsatzzahlen sowie der unternehmensinternen strategischen Kategorisierung („ABC“) ihres Kunden um ein Geschäftsgeheimnis handle.

[6] Die Antragstellerin äußerte sich dahin, dass die zu veröffentlichende Entscheidung in ihrem vollen Wortlaut zu veröffentlichen sei, weil diese keine Zitate aus Kronzeugenerklärungen oder Vergleichsausführungen enthalte.

[7] Der Bundeskartellanwalt sprach sich teilweise gegen die von der Antragsgegnerin angestrebten Streichungen in der zu veröffentlichenden Entscheidung aus, teilweise anerkannte er ein berechtigtes Interesse an einer Ausnahme von der Veröffentlichung. Die im zu veröffentlichenden Beschluss enthaltene Bezugnahme auf Umsatzzahlen und die Kategorisierung eines Kunden der Antragsgegnerin betreffe das Jahr 2010, sodass kein berechtigtes Interesse an einer Geheimhaltung (mehr) bestehen könne und jedenfalls das Interesse an einer Veröffentlichung überwiege.

[8] Das Erstgericht verfügte die weitgehende Veröffentlichung seiner Entscheidung, nahm aber die Namen natürlicher Personen sowie Firmenbezeichnungen von Unternehmen, die nicht am Verfahren beteiligt waren, von dieser aus. Zu der im zu veröffentlichenden Beschluss genannten Umsatzzahl und der Kategorisierung eines Kunden (im Zusammenhang mit dem E Mail vom 12. 6. 2010) ging es davon aus, dass die „strategische Kategorisierung“ dieses Kunden (mit „ABC“) ebenso wie sein Umsatz einen rund fünfzehn Jahre zurückliegenden Zeitraum betrafen, sodass kein schützenswertes Geheimhaltungsinteresse mehr bestehen könne.

[9] Dagegen richtet sich der Rekurs der Antragsgegnerin, mit dem sie (nur mehr) die Ausnahme der Wortfolge „€ 17.000,- p.a.“ im eingangs genannten Satz der zu veröffentlichenden Entscheidung anstrebt.

Rechtliche Beurteilung

[10] Der Rekurs ist nicht berechtigt .

[11] 1. Gemäß § 37 Abs 1 KartG 2005 (KartG) hat das Kartellgericht sowohl stattgebende als auch ab oder zurückweisende rechtskräftige Entscheidungen über (unter anderem) die Abstellung einer Zuwiderhandlung durch Aufnahme in die Ediktsdatei zu veröffentlichen. Dies hat unter Angabe der Beteiligten und des wesentlichen Inhalts der Entscheidung einschließlich der verhängten Sanktionen zu erfolgen.

[12] 2. § 37 KartG wurde durch das KaWeRÄG 2012 (BGBl I 2013/13) novelliert und sieht nunmehr eine zwingende Veröffentlichung der Entscheidungen des Kartellgerichts von Amts wegen vor. Der Zweck der Bestimmung erfordert eine möglichst deutliche Wiedergabe des zu Grunde liegenden Sachverhalts, um eine Grundlage für die zivilrechtliche Beurteilung von Ersatzansprüchen nach § 37a Abs 3 KartG zu schaffen (16 Ok 5/22d mwN). Unterbleibt eine ausreichend detaillierte Veröffentlichung, würde dies das durch Art 6 EMRK und Art 47 GRC garantierte Recht des Geschädigten auf Zugang zu einem Gericht in unverhältnismäßiger Weise beeinträchtigen ( 16 Ok 14/13 ; 16 Ok 1/22s ; 16 Ok 5/22d).

[13] 3. Das KartG orientiert sich hinsichtlich des Umfangs der Entscheidungsveröffentlichung am europäischen Rechtsrahmen ( 16 Ok 1/14 ; 16 Ok 6/14i ; 16 Ok 5/22d). Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichts erster Instanz verdient das Interesse eines Unternehmens an der Geheimhaltung von Einzelheiten der ihm zur Last gelegten Zuwiderhandlung angesichts des Interesses der Öffentlichkeit, eine möglichst umfassende Kenntnis von den Gründen des Handelns der Kommission (als Wettbewerbsbehörde) zu erhalten, des Interesses der Wirtschaftsbeteiligten, zu wissen, welches Verhalten Sanktionen nach sich ziehen kann, und des Interesses der durch die Zuwiderhandlung geschädigten Personen an der Kenntnis näherer Einzelheiten, um gegebenenfalls ihre Rechte gegenüber den sanktionierten Unternehmen geltend machen zu können, keinen besonderen Schutz (EuG 12. 10. 2007, T 474/04, Pergan , Rz 72). Dem ist für das österreichische Recht beizutreten ( 16 Ok 14/13 ; 16 Ok 5/22d).

[14] 4. Die Veröffentlichung muss einem berechtigten Interesse des betroffenen Unternehmens an der Wahrung seiner Geschäftsgeheimnisse Rechnung tragen. Ein Geschäftsgeheimnis liegt vor, wenn legitime wirtschaftliche Interessen durch die Veröffentlichung oder die bloße Weitergabe einer Information an einen Dritten schwer beeinträchtigt werden können (16 Ok 5/22d). Beispiele für Geschäftsgeheimnisse sind etwa Geschäftsbeziehungen, technische oder finanzielle Angaben in Bezug auf das Know How eines Unternehmens, Kostenrechnungsmethoden, Produktionsgeheimnisse und verfahren, Bezugsquellen, produzierte und verkaufte Mengen, Marktanteile, Kunden- und Händlerlisten, Vermarktungspläne, Kosten, Preisstrukturen oder Absatzstrategien, aktuelle Verkaufszahlen und ähnliches ( 16 Ok 6/14i ; 16 Ok 3/21h ). Dass die Veröffentlichung von aggregierten Kennzahlen, die ein Bild der Vermögens , Finanz und Ertragslage des Unternehmens vermitteln, insbesondere von Umsatzerlösen und Gewinnen bzw Verlusten vergangener Geschäftsjahre legitime wirtschaftliche Interessen eines Unternehmers grundsätzlich nicht (schwer) beeinträchtigt, zeigen auch die (wenn auch nicht alle Unternehmer treffenden) Offenlegungs- und Veröffentlichungsvorschriften des UGB (vgl §§ 200, 231, 277 ff UGB).

[15] 5. Ob eine bestimmte Information ein Geschäftsgeheimnis darstellt, ist jeweils anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls zu beurteilen ( 16 Ok 6/14i ; 16 Ok 3/21h ; 16 Ok 5/22d).

[16] 6. Im Rechtsmittelverfahren über eine Entscheidung nach § 37 Abs 1 KartG hat das Kartellobergericht nur zu beurteilen, ob die zur Veröffentlichung bestimmte Fassung der Entscheidung dem Gesetz entspricht und sich innerhalb des dem Erstgericht eingeräumten Ermessensspielraums hält. Ob auch eine davon abweichende andere Fassung diesen Kriterien genügen würde, ist nicht zu prüfen ( 16 Ok 6/14i ; 16 Ok 5/22d).

[17] 7. Davon ausgehend zeigt die Antragsgegnerin in ihrem Rekurs nicht auf, dass das Erstgericht den ihm bei der Entscheidung nach § 37 Abs 1 KartG zukommenden Beurteilungsspielraum überschritten hätte.

[18] 7.1. Bereits das erstinstanzliche Vorbringen der Antragsgegnerin ließ nicht erkennen , warum ihr an der Geheimhaltung der (mittlerweile rund 15 Jahre alten) Information zum Umsatz eines Kunden ein Geheimhaltungsinteresse zukommen soll. Vielmehr beschränkte sie sich auf die un substantiierte Behauptung, dass dieser Umsatz (sowie die „strategische Kategorisierung“ des Kunden) „somit“ als Geschäftsgeheimnis einzustufen sei, wobei sie sich aber nur ganz allgemein auf die Mitteilung der Kommission über die Regeln für die Einsicht in Kommissionsakten (ABl 2005 C 325/7) bezog. Warum sich daraus ein konkretes Interesse an der Geheimhaltung von rund 15 Jahre alten Umsatzzahlen eines einzelnen Kunden ergeben sollte, legte die Antragsgegnerin nicht dar. Schon aus diesem Grund begegnet die angefochtene Entscheidung daher keinen Bedenken.

[19] 7.2. Die Antragsgegnerin behauptet aber auch in ihrem Rekurs nicht nachvollziehbar , warum sie durch die Veröffentlichung von rund 15 Jahre alten Informationen zum Umsatz eines Kunden, dessen Identität ohnehin (antragsgemäß) von der Veröffentlichung ausgenommen wird, konkreten Wettbewerbsnachteilen ausgesetzt wäre. Allein die Behauptung, der jährliche Umsatz dieses Kunden sei für Mitbewerber „von strategischem Interesse“ bzw „wettbewerblich relevant“, lässt dies im Hinblick auf die gänzlich fehlende Aktualität des betreffenden Umsatzes (vgl 16 Ok 6/14i, wo rund fünf Jahre „alte“ Umsatzzahlen [dort der Konzernmutter der Antragsgegnerin] als nicht mehr schützenswert angesehen wurden) sowie die fehlende namentliche Nennung des Kunden nicht erkennen.

[20] 7.3. Auch das weitere Argument der Rekurswerberin, Mitbewerber könnten auch bei nicht namentlicher Nennung des Kunden aus dessen Klassifizierung bei gleichzeitiger Angabe seines Jahresumsatzes Rückschlüsse auf das aktuelle (nur inflationsangepasste) „Klassifizierungssystem“ der Antragsgegnerin ziehen , verfängt nicht. Einerseits wird nicht dargelegt, warum dies eine schwere Beeinträchtigung ihrer wirtschaftlichen Interessen befürchten ließe, zumal der zu veröffentlichenden Entscheidung nicht entnommen werden kann, welche unternehmerischen Konsequenzen sich aus einer bestimmten Klassifikation eines Kunden mit bestimmten Umsätzen ergäben. Andererseits liefert die Bezugnahme in der zu veröffentlichenden Entscheidung auf eine Klassifikation eines Kunden mit der Kategorie „ABC“ gerade keinen Hinweis auf eine bestimmte Kundenkategorie (A, B, C oder D).

[21] 8. Zusammengefasst bestand somit kein Anlass zur Ausnahme der von der Antragsgegnerin in ihrem Rekurs bezeichneten Textpassage von der Veröffentlichung.