3Ob187/24g – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr. Brenn als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun Mohr und Dr. Kodek und die Hofräte Dr. Stefula und Mag. Schober als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M*, vertreten durch Dr. Alexander Amann, Rechtsanwalt in Gamprin Bendern, Liechtenstein, gegen die beklagten Parteien 1. P* GmbH Co OG, *, und 2. V* AG, *, beide vertreten durch die Pressl Endl Heinrich Bamberger Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, wegen 30.900 EUR sA und Feststellung, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 14. August 2024, GZ 2 R 90/24d 36, mit dem das Urteil des Landesgerichts Salzburg vom 30. April 2024, GZ 2 Cg 56/23v 31, bestätigt wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Das Verfahren über die Revision der klagenden Partei wird bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) über das Vorabentscheidungsersuchen des Landgerichts Ravensburg (Deutschland) vom 9. November 2023, Rechtssache C 666/23, Volkswagen , unterbrochen.
Nach Vorliegen der Vorabentscheidung wird das Verfahren von Amts wegen fortgesetzt.
Text
Begründung:
[1] Der Kläger kaufte im Dezember 2013 einen von der Zweitbeklagten hergestellten Pkw mit einem Kilometerstand von 2.800 km um 30.900 EUR. Das Fahrzeug fällt unstrittig in den Anwendungsbereich der VO 715/2007/EG. Es war mit einem Dieselmotor der Baureihe EA288 ausgestattet. Die Erstbeklagte ist Generalimporteurin der von der Zweitbeklagten hergestellten Fahrzeuge.
[2] Der Kläger begehrte von den Beklagten – gestützt auf die Behauptung des Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung – die Rückzahlung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Rückstellung des Fahrzeugs, hilfsweise 7.725 EUR sA an Kaufpreisminderung sowie die Feststellung der Haftung für jeden ihm aus dem Kauf des Fahrzeugs entstehenden Schaden.
[3] Die Beklagten bestritten das Klagebegehren und wendeten insbesondere ein, das Fahrzeug sei nicht mit einer (unzulässigen) Abschalteinrichtung im Sinn des Art 3 Nr 10 VO 715/2007/EG versehen, weil das extrem weite Thermofenster (zwischen –24 und +70 Grad Celsius) schon tatbestandlich keine solche Abschalteinrichtung sei. Das deutsche Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) habe dies für den gegenständlichen Fahrzeugtyp bestätigt, und es gebe auch keinen Rückruf für diese Fahrzeuge. Das Thermofenster sei außerdem zum sicheren Betrieb des Fahrzeugs notwendig. Ein Schaden des Klägers liege nicht vor. Der Beklagten könne nicht einmal ein fahrlässiger Verstoß gegen unionsrechtliche Bestimmungen vorgeworfen werden, weil das KBA die temperaturabhängige Abschalteinrichtung stets für zulässig erachtet habe.
[4] Das Erstgericht wies das Klagebegehren zur Gänze ab. Uneingeschränkt funktioniere die Abgasrückführung „jedenfalls“ zwischen –7 und +45 Grad Celsius. Das – ansonsten nicht näher feststellbare – Thermofenster sei zwar eine unzulässige Abschalteinrichtung, aber die Beklagte habe nachgewiesen, dass es dem Motorschutz diene und daher die Verbotsausnahme des Art 5 Abs 2 lit a der VO 715/2007/EG erfüllt sei.
[5] Das Berufungsgericht bestätigte die Entscheidung im Ergebnis. Zwar sei hier ein Thermofenster und damit eine unzulässige Abschalteinrichtung verbaut, allerdings liege ein entschuldbarer Rechtsirrtum der Beklagten vor, weil auch feststehe, dass das KBA im Fall einer Anfrage das implementierte Thermofenster nicht als unzulässige Abschalteinrichtung beurteilt hätte.
[6] Die Revision erklärte das Berufungsgericht für zulässig, weil zur Frage des entschuldbaren Rechtsirrtums noch keine gesicherte Rechtsprechung vorliege.
[7] Gegen die Entscheidung des Berufungsgerichts richtet sich die Revision des Klägers, mit der er die Stattgebung seiner Klage, hilfsweise die Aufhebung der angefochtenen Entscheidungen anstrebt.
[8] Die Beklagten beantragen mit ihrer Revisionsbeantwortung , die Revision zurückzuweisen, hilfsweise, ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
[9] Das Verfahren über die Revision ist zu unterbrechen.
[10] 1. Das Landgericht Ravensburg (Deutschland) hat dem Gerichtshof der Europäischen Union am 9. 11. 2023 (C 666/23, Volkswagen ) ua folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
„1. Kann der Schadenersatzanspruch des Fahrzeugerwerbers gegen den Fahrzeughersteller wegen fahrlässigen Inverkehrbringens eines Fahrzeugs mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne von Art 5 Abs 2 VO (EG) Nr 715/2007 mit der Begründung verneint werden,
a) dass ein unvermeidbarer Verbotsirrtum des Herstellers vorliege?
wenn ja:
b) dass der Verbotsirrtum für den Hersteller unvermeidbar sei, da die für die EG Typgenehmigung oder für anschließende Maßnahmen zuständige Behörde die eingebaute Abschalteinrichtung tatsächlich genehmigt hat?
wenn ja:
c) dass der Verbotsirrtum für den Hersteller unvermeidbar sei, da die Rechtsauffassung des Fahrzeugherstellers von Art 5 Abs 2 der Verordnung (EG) Nr 715/2007 bei entsprechender Nachfrage von der für die EG Typgenehmigung oder für anschließende Maßnahmen zuständigen Behörde bestätigt worden wäre (hypothetische Genehmigung)?
...“
[11] 2. Die Beantwortung dieser Vorlagefragen ist auch im vorliegenden Fall für die Entscheidung über das Rechtsmittel des Klägers von Relevanz.
[12] 3. Der Oberste Gerichtshof hat von einer allgemeinen Wirkung der Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union auszugehen und diese auch für andere Fälle als den unmittelbaren Anlassfall anzuwenden. Aus prozessökonomischen Gründen ist das Verfahren daher zu unterbrechen (RS0110583).