JudikaturOGH

9Ob48/24k – OGH Entscheidung

Entscheidung
19. März 2025

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Mag. Ziegelbauer als Vorsitzenden und die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Hargassner, Mag. Korn, Dr. Stiefsohn und Dr. Wallner Friedl in der Rechtssache der klagenden Partei Verein für Konsumenteninformation, Linke Wienzeile 18, 1060 Wien, vertreten durch die Kosesnik-Wehrle Langer Rechtsanwälte KG in Wien, gegen die beklagte Partei S* GmbH, *, vertreten durch die CMS Reich Rohrwig Hainz Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Unterlassung (Streitwert: 30.500 EUR) und Urteilsveröffentlichung (Streitwert: 5.500 EUR) über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 23. Februar 2024, GZ 4 R 185/23i 25, mit dem der Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 3. Oktober 2023, GZ 11 Cg 10/23t 20, Folge gegeben wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

1. Dem Gerichtshof der Europäischen Union wird gemäß Art 267 AEUV folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Ist Art 16 Buchst m in Verbindung mit Art 2 Nr 11 der Richtlinie 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2011 über die Rechte der Verbraucher, zur Abänderung der Richtlinie 93/13/EWG des Rates und der Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie zur Aufhebung der Richtlinie 85/577/EWG des Rates und der Richtlinie 97/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates dahin auszulegen, dass das Anbieten von Streamingdiensten, bei denen sich die digitalen Inhalte, die zur Betrachtung zur Verfügung gestellt werden, auf einem Server befinden, auf den die Kunden mit ihrem Endgerät eine Zugangsmöglichkeit durch Link oder App eingeräumt bekommen und dann über Internet die in ihrem Abonnement enthaltenen Programme sowohl „live“ als auch „on demand“ betrachten können bzw alternativ die digitalen Inhalte downloaden und auf einem eigenen Speicher abspeichern und unabhängig von einem Online-Zugang einmal innerhalb von 48 Stunden ansehen können, eine Lieferung „digitaler Inhalte“ im Sinne dieser Bestimmungen darstellt?

2. Das Verfahren wird bis zum Einlangen der Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union gemäß § 90a Abs 1 GOG ausgesetzt.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

1. Verfahrensgegenstand und Sachverhalt:

[1]Der Kläger ist ein nach § 29 Konsumentenschutzgesetz (KSchG) klagebefugter Verein zur Durchsetzung von Verbraucherinteressen.

[2] Die Beklagte bietet einen Streamingdienst an. Beim Streaming befinden sich die digitalen Inhalte, die zur Betrachtung zur Verfügung gestellt werden, auf einem Server, auf den die Kunden mit ihrem Endgerät eine Zugangsmöglichkeit durch Link oder App eingeräumt bekommen. Sie können dann über Internet die in ihrem Abonnement enthaltenen Programme sowohl „live“ als auch „on demand“ betrachten. Auch Downloads sind, abhängig von den jeweiligen Lizenzgebern, möglich. Dabei können die digitalen Inhalte auf einem eigenen Speicher abgespeichert und unabhängig von einem Online-Zugang abgespielt werden. Ein Download kann nur einmal angesehen werden und muss innerhalb von 48 Stunden ab Beginn des Abrufs zu Ende betrachtet werden.

[3] Bei der Beklagten kann das Streaming in zwei Paketen, nämlich „Sport Live TV“ sowie „Fiction Live TV“ abonniert werden. Der Online-Abschluss eines Abos ist nur möglich, wenn der Kunde folgender Vertragsbestimmung durch Anklicken zustimmt:

„Bei Bestellung eines Abos: Ich nehme die S* Widerrufsbelehrung zur Kenntnis. Ich stimme zu, dass S* bereits vor Ablauf der 14-tägigen Widerrufsfrist mit der Vertragsausführung beginnt und ich dadurch bei Bestellung eines Abos mein Widerrufsrecht verliere.“

2. Vorbringen und Anträge der Parteien:

[4] 2.1. Der Kläger begehrt, die Beklagte zu verpflichten, im geschäftlichen Verkehr mit Verbrauchern die Verwendung der zitierten Klausel und die Berufung darauf zu unterlassen sowie sie zur Veröffentlichung des Urteilsspruchs zu ermächtigen. Die Widerrufsbelehrung kläre Verbraucher unrichtig auf. Bei einem Streaming-Abo liege eine „digitale Dienstleistung“ vor, bei der erst die vollständige Erbringung der Dienstleistung zum Entfall des Rücktrittsrechts führe.

[5] 2.2. Die Beklagte bestreitet und bringt vor, ihre Widerrufsbelehrung sei rechtskonform. Beim Streamingdienst handle es sich um einen „digitalen Inhalt“, sodass das Rücktrittsrecht bereits mit Beginn der Vertragserfüllung entfalle.

3. Bisheriges Verfahren:

[6] 3.1. Das Erstgericht wies die Klage ab. Es qualifizierte Streamingdienste als „digitale Inhalte“, weshalb die Belehrung (bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen) rechtskonform sei.

[7] 3.2. Das Gericht zweiter Instanz gab der Berufung des Klägers dagegen Folge und änderte die erstinstanzliche Entscheidung dahingehend ab, dass der Klage stattgegeben wurde. Es qualifizierte den von der Beklagten angebotenen Streamingdienst als „digitale Dienstleistung“, bei dem ein Rücktritt nicht bereits bei Beginn der Vertragserfüllung, sondern erst mit vollständiger Erfüllung der Dienstleistung (bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen) entfalle. Die Klausel sei daher rechtswidrig.

[8] 3.3. Gegen diese Entscheidung rief die Beklagte den Obersten Gerichtshof an.

4. Unionsrechtliche Grundlagen:

[9] 4.1. Art 2 Z 11 der Richtlinie 2011/83 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2011 über die Rechte der Verbraucher, definierte „digitale Inhalte“ als Daten, die in digitaler Form hergestellt und bereitgestellt werden;

[10] Art 16 dieser Richtlinie „Ausnahmen vom Widerrufsrecht“ lautet auszugsweise:

„Die Mitgliedstaaten sehen bei Fernabsatzverträgen und außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen kein Widerrufsrecht nach den Artikeln 9 bis 15 vor, wenn

a) bei Dienstleistungsverträgen die Dienstleistung vollständig erbracht worden ist, wenn der Unternehmer die Erbringung mit der vorherigen ausdrücklichen Zustimmung des Verbrauchers und dessen Kenntnisnahme, dass er sein Widerrufsrecht bei vollständiger Vertragserfüllung durch den Unternehmer verliert, begonnen hatte;

(…)

m) digitale Inhalte geliefert werden, die nicht auf einem körperlichen Datenträger geliefert werden, wenn die Ausführung mit vorheriger ausdrücklicher Zustimmung des Verbrauchers und seiner Kenntnisnahme, dass er hierdurch sein Widerrufsrecht verliert, begonnen hat.“

[11] Durch die Richtlinie (EU) 2019/2161 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. November 2019 zur Änderung der Richtlinie 93/13/EWG des Rates und der Richtlinien 98/6/EG, 2005/29/EG und 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates zur besseren Durchsetzung und Modernisierung der Verbraucherschutzvorschriften der Union wurde die Begriffsbestimmung der „digitalen Inhalte“ in der Richtlinie 2011/83/EU an jene aus der Richtlinie (EU) 2019/770 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 2019 über bestimmte vertragsrechtliche Aspekte der Bereitstellung digitaler Inhalte und digitaler Dienstleistungen angeglichen.

[12] Die Richtlinie 2019/770/EU enthält in Art 2 ua folgende Begriffsbestimmungen:

„Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck

1. ꞌdigitale Inhalteꞌ Daten, die in digitaler Form erstellt und bereitgestellt werden;

2. ꞌdigitale Dienstleistungenꞌ

a) Dienstleistungen, die dem Verbraucher die Erstellung, Verarbeitung oder Speicherung von Daten in digitaler Form oder den Zugang zu solchen Daten ermöglichen, oder

b) Dienstleistungen, die die gemeinsame Nutzung der vom Verbraucher oder von anderen Nutzern der entsprechenden Dienstleistung in digitaler Form hochgeladenen oder erstellten Daten oder sonstige Interaktionen mit diesen Daten ermöglichen.“

5. Nationales Recht:

[13]Das Bundesgesetz über Fernabsatz- und außerhalb von Geschäftsräumen geschlossene Verträge (Fern- und Auswärtsgeschäfte-Gesetz – FAGG) idF BGBl I Nr 109/2022 enthält in § 3 Z 4 bis 6 folgende Begriffsbestimmungen:

„4. ꞌdigitale Leistungenꞌ digitale Inhalte oder digitale Dienstleistungen;

5. ꞌdigitale Inhalteꞌ Daten, die in digitaler Form erstellt und bereitgestellt werden, einschließlich solcher, die nach den Anweisungen des Verbrauchers entwickelt werden;

6. ꞌdigitale Dienstleistungꞌ

a) eine Dienstleistung, die dem Verbraucher die Erstellung, Verarbeitung und Speicherung von Daten in digitaler Form oder den Zugang zu Daten in digitaler Form ermöglicht, oder

b) eine Dienstleistung, die die gemeinsame Nutzung der vom Verbraucher oder von anderen Nutzern der Dienstleistung in digitaler Form hochgeladenen oder erstellten Daten oder eine sonstige Interaktion mit diesen Daten, ermöglicht,

jeweils einschließlich solcher Dienstleistungen, die nach den Anweisungen des Verbrauchers entwickelt werden.“

[14]§ 18 FAGG regelt „Ausnahmen vom Rücktrittsrecht“. Nach § 18 Abs 1 FAGG hat der Verbraucher ua kein Rücktrittsrecht bei Fernabsatz- oder außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen über

„1. Dienstleistungen, wenn der Unternehmer die Dienstleistung vollständig erbracht hat, wobei in jenen Fällen, in denen der Verbraucher nach dem Vertrag zu einer Zahlung verpflichtet ist, das Rücktrittsrecht nur entfällt, wenn überdies der Unternehmer mit der vorherigen ausdrücklichen Zustimmung des Verbrauchers mit der Vertragserfüllung begonnen hat und wenn der Verbraucher

a) entweder vor Beginn der Dienstleistungserbringung bestätigt hat, zur Kenntnis genommen zu haben, dass er sein Rücktrittsrecht mit vollständiger Vertragserfüllung verliert,

b) oder den Unternehmer ausdrücklich zu einem Besuch aufgefordert hat, um Reparaturarbeiten vornehmen zu lassen,

(...)

11. die Bereitstellung von digitalen Inhalten, die nicht auf einem körperlichen Datenträger geliefert werden sollen, wenn der Unternehmer mit der Vertragserfüllung begonnen hat, wobei in jenen Fällen, in denen der Verbraucher nach dem Vertrag zu einer Zahlung verpflichtet ist, das Rücktrittsrecht nur entfällt, wenn überdies

a) der Verbraucher dem Beginn der Vertragserfüllung vor Ablauf der Rücktrittsfrist ausdrücklich zugestimmt hat,

b) der Verbraucher bestätigt hat, zur Kenntnis genommen zu haben, dass er durch den vorzeitigen Beginn der Vertragserfüllung sein Rücktrittsrecht verliert, und

c) der Unternehmer dem Verbraucher eine Ausfertigung oder Bestätigung nach § 5 Abs. 2 oder § 7 Abs. 3 zur Verfügung gestellt hat.“

6. Begründung der Vorlagefrage:

[15] 6.1. Die Richtlinie 2011/83/EU strebt eine – abgeschwächte – Vollharmonisierung des Verbraucherrechts an. Die Mitgliedstaaten dürfen nach ihrem Art 4 – sofern die Richtlinie selbst nichts anderes bestimmt – weder von den Bestimmungen der Richtlinie abweichende innerstaatliche Rechtsvorschriften aufrechterhalten noch solche einführen, auch nicht – zur Gewährleistung eines höheren Verbraucherschutzniveaus – strengere Vorschriften.

[16] 6.2. Die Gerichte haben sich bei der Auslegung der nationalen Vorschrift so weit wie möglich an Wortlaut und Zweck der Richtlinie zu orientieren und Rechtsbegriffe, die in der Richtlinie und im innerstaatlichen Recht übereinstimmen, entsprechend den unionsrechtlichen Begriffen auszulegen.

[17] 6.3. Die einheitliche Anwendung des Unionsrechts verlangt, dass die Begriffe einer Vorschrift des Unionsrechts, die für die Ermittlung ihres Sinnes und ihrer Bedeutung nicht ausdrücklich auf das Recht der Mitgliedstaaten verweist, in der Regel in der gesamten Union autonom und einheitlich auszulegen sind, wobei diese Auslegung unter Berücksichtigung des Regelungszusammenhangs und des mit der Regelung verfolgten Zwecks zu ermitteln ist.

[18] 6.4. Zur Beurteilung der Frage, ob bei Verträgen über Streamingdienste mit vergleichbaren Leistungen wie denen der Beklagten das Rücktrittsrecht des Verbrauchers – bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen – bereits mit Beginn der Vertragserfüllung oder erst bei vollständiger Vertragserfüllung entfällt, kommt es darauf an, ob diese als Verträge über digitale Inhalte oder digitale Dienstleistungen einzuordnen sind. Wesentlich ist daher, welche Kriterien für die Abgrenzung heranzuziehen sind.

[19] 6.5. Die zuvor zitierten Richtlinien enthalten zwar in ihren Erwägungsgründen zur Veranschaulichung Beispiele für digitale Inhalte und Dienstleistungen, gehen aber zugleich selbst davon aus, dass es schwierig sein kann, zwischen unterschiedlichen Arten digitaler Inhalte oder digitaler Dienstleistungen zu unterscheiden. Im Zweifel ist daher von digitalen Dienstleistungen auszugehen.

[20] Erwägungsgrund 19 der Richtlinie 2011/83/EU nennt als etwa Beispiele für digitale Inhalte Computerprogramme, Anwendungen (Apps), Spiele, Musik, Videos oder Texte, unabhängig davon, ob auf sie durch Herunterladen oder Herunterladen in Echtzeit (Streaming), von einem körperlichen Datenträger oder in sonstiger Weise zugegriffen wird. Allerdings enthielt diese Richtlinie zunächst keine Unterscheidung zwischen digitalen Inhalten und digitalen Dienstleistungen.

[21] Erwägungsgrund 19 der Richtlinie 2019/770/EU lautet auszugsweise: „Um den rasanten technologischen Entwicklungen Rechnung zu tragen und sicherzustellen, dass die Begriffe ꞌdigitale Inhalteꞌ und ꞌdigitale Dienstleistungenꞌ nicht schon bald überholt sind, sollte sich diese Richtlinie unter anderem auf Computerprogramme, Anwendungen, Videodateien, Audiodateien, Musikdateien, digitale Spiele, elektronische Bücher und andere elektronische Publikationen und auch digitale Dienstleistungen erstrecken, die die Erstellung, Verarbeitung oder Speicherung von Daten in digitaler Form sowie den Zugriff auf sie ermöglichen, einschließlich Software-as-a-Service, wie die gemeinsame Nutzung von Video- oder Audioinhalten und andere Formen des Datei-Hosting, Textverarbeitung oder Spiele, die in einer Cloud-Computing-Umgebung und in sozialen Medien angeboten werden. Da es zahlreiche Möglichkeiten für die Bereitstellung digitaler Inhalte oder digitaler Dienstleistungen gibt, wie beispielsweise die Übermittlung auf einem körperlichen Datenträger, das Herunterladen auf Geräte des Verbrauchers, Streaming oder die Ermöglichung des Zugangs zu Speicherkapazitäten für digitale Inhalte oder zur Nutzung von sozialen Medien, sollte diese Richtlinie unabhängig von der Art des für die Datenübermittlung oder die Gewährung des Zugangs zu den digitalen Inhalten oder digitalen Dienstleistungen verwendeten Datenträgers gelten.“

[22] In Erwägungsgrund 30 der Richtlinie 2019/2161 heißt es auszugsweise: „Digitale Inhalte […] umfassen eine einmalige Bereitstellung, eine Reihe einzelner Bereitstellungen sowie eine fortlaufende Bereitstellung über einen bestimmten Zeitraum. Fortlaufende Bereitstellung sollte nicht unbedingt bedeuten, dass es sich dabei um eine langfristige Bereitstellung handelt. Beispielsweise sollte das Streaming eines Videoclips unabhängig von der tatsächlichen Abspieldauer der audiovisuellen Datei als eine fortlaufende Bereitstellung über einen bestimmten Zeitraum betrachtet werden. Es kann daher schwierig sein, zwischen unterschiedlichen Arten digitaler Inhalte und digitaler Dienstleistungen zu unterscheiden, da beide eine fortlaufende Bereitstellung durch den Unternehmer während der Vertragslaufzeit umfassen können. Digitale Dienstleistungen sind beispielsweise Dienste zur gemeinsamen Nutzung von Video- oder Audioinhalten und andere Formen des Filehostings, Textverarbeitung oder Spiele, die in der Cloud angeboten werden, Cloud-Speicher, Webmail, soziale Medien und Cloud-Anwendungen. Die fortlaufende Beteiligung des Diensteanbieters rechtfertigt die Anwendung der in der Richtlinie 2011/83/EU enthaltenen Bestimmungen über das Widerrufsrecht, die dem Verbraucher ermöglichen, die Dienstleistung zu prüfen und innerhalb von 14 Tagen nach Vertragsabschluss zu entscheiden, ob er sie weiter in Anspruch nehmen will oder nicht. Viele Verträge über die Bereitstellung digitaler Inhalte, die nicht auf einem körperlichen Datenträger bereitgestellt werden, sind durch eine einmalige Bereitstellung gekennzeichnet, mit der dem Verbraucher bestimmte digitale Inhalte wie bestimmte Musik- oder Videodateien bereitgestellt werden. Verträge über die Bereitstellung digitaler Inhalte, die nicht auf einem körperlichen Datenträger bereitgestellt werden, unterliegen weiterhin der Ausnahme vom Widerrufsrecht nach Artikel 16 Absatz 1 Buchstabe m der Richtlinie 2011/83/EU, wonach der Verbraucher das Widerrufsrecht verliert, wenn die Vertragserfüllung, zum Beispiel das Herunterladen oder Streamen der Inhalte, begonnen hat, vorausgesetzt der Verbraucher hat dem Beginn der Vertragserfüllung während der Widerrufsfrist vorab ausdrücklich zugestimmt und bestätigt, dass er zur Kenntnis genommen hat, dass er hierdurch sein Widerrufsrecht verliert. Bestehen Zweifel daran, ob es sich um einen Dienstleistungsvertrag oder einen Vertrag über die Bereitstellung digitaler Inhalte handelt, die nicht auf einem körperlichen Datenträger bereitgestellt werden, sollten die Bestimmungen über das Widerrufsrecht für Dienstleistungen gelten.“

[23] 6.6. Die von der Beklagten angebotene Leistung erfüllt die Voraussetzung der „Erstellung und Bereitstellung von Daten in digitaler Form“ und entspricht damit der Definition von digitalen Inhalten.

[24] Allerdings könnten diese Leistungen auch als „Speicherung von Daten in digitaler Form oder Ermöglichung des Zugangs zu solchen Daten“ angesehen werden. Die Leistungen der Beklagten werden auch nicht einmalig erbracht, sondern schließt der Kunde einen Abonnementvertrag, nach dem er während der Dauer des Abonnements laufend auf das Angebot der Beklagten zugreifen kann, die dafür die entsprechenden Strukturen zur Verfügung stellt. Regelmäßig wird dies mit einer entsprechenden Aktualisierung des Angebots und individuellen Empfehlungen aufgrund des jeweiligen Nutzerverhaltens einhergehen. Dies könnte für das Vorliegen einer digitalen Dienstleistung sprechen, wofür auch spricht, dass der Vertrag grundsätzlich auf Dauer angelegt ist, weshalb der Zweck des Widerrufsrechts, das dem Verbraucher ermöglichen soll, die bestellte Leistung zu prüfen und binnen 14 Tagen zu entscheiden, ob er sie weiter in Anspruch nehmen will oder nicht, auch nach Beginn der Nutzung weiter besteht. Dagegen wendet die Beklagte allerdings ein, dass damit auch die Gefahr des Missbrauchs verbunden wäre: So könnten etwa Nutzer in Zusammenhang mit sportlichen Großereignissen das Widerrufsrecht nutzen, um eine einmalige Leistung zu einem nicht adäquaten Preis zu beziehen. Zu berücksichtigen ist allenfalls auch, dass keine Möglichkeit zur Interaktion zwischen den Nutzern besteht und von den Kunden auch keine eigenen Dateien hochgeladen oder erstellt werden.

[25] 6.7. Gegen die Ansicht, dass „Streaming“ als solches als digitale Dienstleistung anzusehen ist, spricht, dass „Streaming“ letztlich nur das Datenübertragungsverfahren bezeichnet, bei dem die Daten bereits während der Übertragung angesehen oder angehört werden können. Allein daraus lässt sich daher für die Einordnung als digitale Inhalte oder Dienstleistungen nichts gewinnen. Wie sich aus dem zitierten Erwägungsgrund 19 der Richtlinie 2019/770/EU ergibt, soll die Richtlinie unabhängig vom konkreten Datenübertragungsverfahren gelten.

[26] Gegen die Abhängigkeit von der Dauer/Frequenz der Leistungserbringung – einmalige Bereitstellung (digitaler Inhalt), Dauerschuldverhältnis (digitale Dienstleistung) – als Abgrenzungskriterium spricht, dass Erwägungsgrund 30 der Richtlinie 2019/2161 die fortlaufende Bereitstellung nicht als entscheidend für die Einordnung als digitale Dienstleistung oder als digitaler Inhalt ansieht.

[27] Auch weitere mögliche Abgrenzungskriterien – wie zB: können Daten alternativ auch auf körperlichen Datenträgern bereitgestellt werden; werden Inhalte allein vom Anbieter geliefert oder stellt dieser vorrangig die Infrastruktur für nutzereigene Inhalte bereit; erhält der Verbraucher den Inhalt selbst zur dauerhaften Verfügung oder müssen die Daten für jede Verwendung immer wieder erneut vom Server des Unternehmens abgerufen werden – lassen sich aus dem Wortlaut der Richtlinie nicht mit der notwendigen Eindeutigkeit ableiten.

[28] 6.8. Judikatur des Europäischen Gerichtshof, die sich mit der Abgrenzung zwischen digitalen Inhalten und Dienstleistungen auseinandersetzt, liegt noch nicht vor, sodass eine Klärung durch den Europäischen Gerichtshof, ob Streamingdienste wie der der Beklagten als digitale Inhalte oder digitale Dienstleistungen anzusehen sind, erforderlich ist.

[29]7. Als Gericht letzter Instanz ist der Oberste Gerichtshof gemäß Art 267 AEUV zur Vorlage verpflichtet, weil die richtige Anwendung des Unionsrechts zweifelhaft ist.

[30]8. Der Ausspruch über die Aussetzung des Verfahrens gründet sich auf § 90a Abs 1 GOG.