JudikaturOGH

8Ob19/24p – OGH Entscheidung

Entscheidung
27. Februar 2025

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Tarmann Prentner als Vorsitzende sowie die Hofräte MMag. Matzka, Dr. Stefula, Dr. Thunhart und Mag. Dr. Sengstschmid als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Mag. Dr. J*, vertreten durch Dr. Alexander Amann LL.M. (UCLA), Rechtsanwalt in Gamprin Bendern, Liechtenstein (§ 5 Abs 3 EIRAG), gegen die beklagte Partei V* AG, *, Deutschland, vertreten durch die Pressl Endl Heinrich Bamberger Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, wegen 60.000 EUR sA, infolge Rekurses der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 14. November 2023, GZ 6 R 147/23i 25, mit dem das Urteil des Landesgerichts Steyr vom 30. Juni 2023, GZ 9 Cg 28/22w 19, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Das Rekursverfahren wird bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union über den vom Bezirksgericht für Handelssachen Wien am 27. September 2024 zu 22 C 278/20y (22 C [richtig:] 269 /20z, 22 C 270/20x) gestellten und zu C 751/24 des Europäischen Gerichtshofs anhängigen Antrag auf Vorabentscheidung unterbrochen .

Nach Vorliegen der Vorabentscheidung wird das Verfahren von Amts wegen fortgesetzt.

Text

Begründung:

[1] Der Kläger erwarb am 3. 5. 2017 von einem Händler in Österreich um 60.000 EUR einen am 31. 3. 2017 erstmals zugelassenen Personenkraftwagen der Marke Audi Q5 2.0 TDI ultra quattro Sport mit einem Kilometerstand von damals 200 km (Klagsfahrzeug), in dem ein von der Beklagten hergestellter 2,0 1–4 Zylinder Dieselmotor der Baureihe EA288 mit einer Leistung von 140 kW verbaut ist. Das Klagsfahrzeug fällt in den Anwendungsbereich der VO (EG) Nr 715/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. 6. 2007 über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 5 und Euro 6) und über den Zugang zu Reparatur und Wartungsinformationen für Fahrzeuge (ABl L 171/1 vom 29. 6. 2007; künftig: VO 715/2007/EG).

[2] Der Kläger begehrt die Rückzahlung des Kaufpreises Zug um Zug gegen die Rückgabe des Fahrzeugs; hilfsweise begehrt er die Zahlung von 15.000 EUR sA und die Feststellung der Haftung der Beklagten für alle nachteiligen Folgen der Fahrzeugmanipulation, welche ihm aus dem Kaufvertrag entstehen würden. Die Beklagte sei die Muttergesellschaft eines Fahrzeugkonzerns, dem auch die von der Beklagten als 100 % Eigentümerin kontrollierte A * AG als Herstellerin des Klagsfahrzeugs angehöre. Die Beklagte habe den Motor des Klagsfahrzeugs und die unzulässigen Abschalteinrichtungen, mit denen er versehen sei, hergestellt. Sie habe ihre Vertragshändler ebenso wie den Kläger über die Gesetzeskonformität und Zulassungsfähigkeit des Klagsfahrzeugs getäuscht. Sie hafte nach § 874 ABGB, es liege auch strafrechtlicher Betrug vor. Weiters hafte die Beklagte nach § 1311 ABGB wegen V erletzung der Schutzgesetze VO 715/2007/EG und RL 2007/46/EG.

[3] Die Beklagte bestritt das Klagebegehren und wandte compensando Gegenforderungen ein.

[4] Das Erstgericht erkannte die Klagsforderung als mit 48.519 EUR und Gegenforderungen der Beklagten als nicht zu Recht bestehend und verpflichtete die Beklagte zur Zahlung von 48.519 EUR Zug um Zug gegen Rückgabe des Klagsfahrzeugs. Das Mehrbegehren von 11.481 EUR wies das Erstgericht ab.

[5] Das von beiden Parteien angerufene Berufungsgericht hob dieses Urteil auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurück. Es begründete dies damit, ein relevanter Mangel des Verfahrens des Erstgerichts liege darin, dass es zu Unrecht als außer Streit stehend angenommen habe, die Beklagte hätte das Klagsfahrzeug hergestellt, wozu jedoch Behauptungen beider Seiten fehlten; zudem sei allgemein bekannt, dass Fahrzeuge der Marke A* nicht von der Beklagten, sondern von der A* AG hergestellt würden. Eine Schutzgesetzverletzung komme nur gegenüber dem Fahrzeughersteller in Frage, während gegenüber der Beklagten als Motorherstellerin nur §§ 874, 1295 Abs 2 ABGB als Haftungsgrundlagen in Frage kämen, wozu jedoch Feststellungen fehlten. Weiters machte das Berufungsgericht Ausführungen zur bei Bejahung der grundsätzlichen Haftung der Beklagten zu beachtenden Rechtslage, insbesondere betreffend Thermofenster und ihre Wirkungsweise, Emissionsgrenzwerte und deren Einhaltung im Realbetrieb, die Frage eines der Beklagten zugute kommenden entschuldbaren Verbotsirrtums sowie die Berechnung der Wertminderung.

[6] Das Berufungsgericht ließ den Rekurs gegen diese Entscheidung zu, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage fehle, ob und unter welchen Voraussetzungen ein Komponentenzulieferer (Motorhersteller) hafte, und weiters zu den Fragen, ob eine Abschalteinrichtung gemäß Art 3 Z 10 VO 715/2007/EG auch dann unzulässig sein könne, wenn sie aufgrund der vorherrschenden Außentemperaturen zwar nicht den überwiegenden Teil, aber doch einen erheblichen Teil eines Jahres funktionieren müsste, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen und den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten; ob eine Abschalteinrichtung überhaupt nur dann unzulässig sein könne , wenn sie die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems in einer Weise beeinflusse, dass die einzuhaltenden Emissionsgrenzwerte im Realbetrieb überschritten würden (ob eine Reduktion der Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems durch eine Abschalteinrichtung unbeachtlich sei, wenn trotz der Reduktion der AGR Rate durch die Abschalteinrichtung im Realbetrieb die jeweiligen Emissionsgrenzwerte eingehalten würden); ob ein Überschreiten der Emissionsgrenzwerte im Realbetrieb bei Fahrzeugen, bei denen für die Zulassung noch keine Messung im Realbetrieb vorgesehen gewesen wäre , unbeachtlich sei , sofern die Überschreitung nicht auf eine Abschalteinrichtung zurückzuführen sei; welche im EU Gebiet vorherrschenden Umgebungstemperaturen für die Beurteilung der Zulässigkeit eines Thermofensters maßgeblich seien , insbesondere ob ein Emissionskontrollsystem von vornherein so ausgelegt sein müsse , dass es auch im nördlichsten (kältesten) Teil der EU unter Bedingungen, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten seien , die Einhaltung der jeweiligen Emissionsgrenzwerte im Regelfall gewährleiste; ob bei der Ermittlung des Benützungsentgelts im Wege der linearen Berechnungsmethode vom Kaufpreis der Minderwert in Abzug zu bringen sei , der sich aus dem Umstand ergebe , dass im Fahrzeug eine unzulässige Abschalteinrichtung verbaut worden sei.

[7] Mit seinem Rekurs wendet sich der Kläger ausdrücklich nicht gegen den Auftrag an das Erstgericht, das Verfahren zu ergänzen, sondern bekämpft ausschließlich die Begründung des Berufungsgerichts, dass eine Schutzgesetzverletzung als Haftungsansatz der Beklagten in Ansehung jener Fahrzeuge, die von ihr nicht hergestellt würden – was bei Fahrzeugen der Marke A* der Fall sei –, nicht verfange. Vielmehr lasse sich der Schutz der Art 18 Abs 1, Art 26 Abs 1 und Art 46 der RL 2007/46/EG iVm Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG auch auf das Verhältnis des Motorenherstellers zum Käufer übertragen, zumal die Beklagte als Mutterkonzern und Motorenherstellerin beherrschenden Einfluss auf ihre Tochtergesellschaften ausübe, zu denen die * AG als Herstellerin des Klagsfahrzeugs zähle.

[8] Die Beklagte beantragt in ihrer Re kurs beantwortung, in der Sache selbst im klagsabweisenden Sinne zu entscheiden, in eventu d en Rekurs zurückzuweisen, hilfsweise ihm nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[9] Das Rekursverfahren ist zu unterbrechen:

[10] Im Verfahren 22 C 278/20y (22 C 269 /20z, 22 C 270/20x) hat das Bezirksgericht für Handelssachen Wien mit Beschluss vom 27. 9. 2024 dem Europäischen Gerichtshof zu C 751/24, Gebrüder Weiss, folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Sind die Bestimmungen der Richtlinie 2007/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. Juni 2007 zur Schaffung eines Rahmens für die Genehmigung von Kraftfahrzeugen und Kraftfahrzeuganhängern sowie von Systemen, Bauteilen und selbstständigen technischen Einheiten für diese Fahrzeuge (ABl L 263/1 vom 9. 10. 2007) in Verbindung mit Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2007 über die Typengenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 5 und Euro 6) und über den Zugang zu Reparatur und Wartungsinformationen für Fahrzeuge (ABl L 171/1 vom 29. 6. 2007) im Licht des Urteils vom 31. März 2023, Mercedes Benz Group (C 100/21, EU:C:2023:229), dahin auszulegen, dass sie die Einzelinteressen des individuellen Käufers eines Kraftfahrzeugs gegenüber dem Hersteller des in diesem Fahrzeug verbauten Motors schützen, wenn dieser Motor von seinem Hersteller mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 715/2007 ausgestattet worden ist, jedoch der Hersteller des Fahrzeugs im Sinne von Art. 3 Nr. 27 der RL 2007/46 nicht der Hersteller des Motors, sondern eine zu 100 % im wirtschaftlichen Eigentum des Motorherstellers stehende Tochtergesellschaft ist?

[11] Auch im vorliegenden Fall erblickt der Kläger seinen Schaden im Erwerb eines Fahrzeugs, das mit einer von der beklagten Motorherstellerin – die Alleineigentümerin der von ihr kontrollierten Fahrzeugherstellerin sei – erzeugten unzulässigen Abschalteinrichtung versehen worden sei .

[12] Die Beantwortung dieser im Verfahren 22 C 278/20y (22 C 269 /20z, 22 C 270/20x) des Bezirksgerichts für Handelssachen Wien an den Europäischen Gerichtshof herangetragenen Vorlagefrage ist auch im vorliegenden Fall für die Beurteilung des gegen die Beklagte gerichteten Schadenersatzanspruchs des Klägers relevant (ebenso unlängst 7 Ob 183/24y und 7 Ob 192/24x).

[13] Der Oberste Gerichtshof hat von einer allgemeinen Wirkung der Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs auszugehen und diese auch für andere Fälle als den unmittelbaren Anlassfall anzuwenden. Aus prozessökonomischen Gründen ist das Verfahren daher zu unterbrechen (RS0110583).

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