2Ob59/24a – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Grohmann als Vorsitzende und die Hofräte MMag. Sloboda, Dr. Thunhart und Dr. Kikinger sowie die Hofrätin Mag. Fitz als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei E*, vertreten durch Dr. Gottfried Forsthuber und Mag. Gottfried Forsthuber, Rechtsanwälte in Baden bei Wien, gegen die beklagte Partei B*, vertreten durch Maraszto Milisits Rechtsanwälte OG in Wien, wegen 11.630,05 EUR sA und Feststellung, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt als Berufungsgericht vom 31. Jänner 2024, GZ 18 R 203/23s 67, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichts Baden vom 30. August 2023, GZ 8 C 1000/21t 53, bestätigt wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
1. Der Antrag, eine mündliche Verhandlung durchzuführen, wird abgewiesen.
2. Die Revision wird zurückgewiesen.
3. Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.127,40 EUR bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung (darin enthalten 187,90 EUR USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Begründung:
[1] Die Klägerin erhebt nach einem Sturz auf einer um 5:20 Uhr morgens im Bereich eines asphaltierten Innenhofs noch nicht geräumten und gestreuten, weitläufigen Liegenschaft Schadenersatzansprüche. Die Beklagte ist Eigentümerin und Vermieterin dieser Liegenschaft und bediente sich einer GmbH zur Durchführung des Winterdienstes, der nach den vertraglichen Vereinbarungen täglich zwischen 6:00 und 22:00 Uhr durchzuführen war. Die Mieterin gab einem Vertreter der von der Beklagten bestellten Liegenschaftsverwalterin bekannt, keinen 24 stündigen Winterdienst zu wünschen. Die Klägerin war bei der Mieterin angestellt.
[2] Das Berufungsgericht bestätigte die Abweisung der Klage durch das Erstgericht. Zwar entfalte der zwischen der Beklagten und der Mieterin abgeschlossene Mietvertrag Schutzwirkungen zu Gunsten der Klägerin, allerdings würde deren Verlangen nach einer rund um die Uhr bestehenden Räumverpflichtung die (vertraglichen) Verkehrssicherungspflichten überspannen. Dem festgestellten Sachverhalt sei nicht zu entnehmen, welche Umstände die Beklagte (ausnahmsweise) zu Einrichtung eines vor 6:00 Uhr morgens beginnenden Winterdienstes veranlassen hätten sollen. Der Klägerin sei nicht einmal der Nachweis eines objektiv rechtswidrigen Zustands gelungen. Eine Verletzung von Auswahl- oder Überwachungspflichten, die die Beklagte aus allgemeinem Deliktsrecht haftbar machen könnte, habe ihr die Klägerin im erstinstanzlichen Verfahren nicht zum Vorwurf gemacht.
[3] Die ordentliche Revision ließ das Berufungsgericht zur Frage zu, ob die „bekanntermaßen hohe Frequenz“ an Personen auf der zu beurteilenden Liegenschaft sowie „die dort ständige Präsenz von Wach- und Sozialdienst die Annahme weitergehender Räum- und Streupflichten als in der StVO normiert“ indiziere.
Rechtliche Beurteilung
[4] Die Revision der Klägerin ist – entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) Ausspruch des Berufungsgerichts – mangels Aufzeigens einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig .
[5] 1. Der Zulassungsausspruch des Berufungsgerichts erschöpft sich letztlich darin, dass der Oberste Gerichtshof zu einem gleich gelagerten Sachverhalt noch nicht Stellung genommen habe. Damit wird aber keine Rechtsfrage erheblicher Bedeutung angesprochen (vgl RS0110702).
[6] 2. Geht man zu Gunsten der Klägerin davon aus, sie wäre als Arbeitnehmerin der Mieterin in den Schutzbereich des Mietvertrags einbezogen (vgl RS0020884 [T7]), ist für sie aus folgenden Erwägungen dennoch nichts gewonnen:
[7] 2.1. Der konkrete Inhalt einer Verkehrssicherungspflicht hängt immer von den Umständen des Einzelfalls ab (RS0110202). Auch die Beurteilung des Umfangs der Streupflicht hat aufgrund der konkreten Umstände des Einzelfalls zu erfolgen. Wegen dieser Einzelfallbezogenheit liegt eine erhebliche Rechtsfrage grundsätzlich nur dann vor, wenn das Gericht zweiter Instanz seinen insofern bestehenden Beurteilungsspielraum überschritten hätte (2 Ob 116/20b Rz 6 mwN).
[8] Auch vertragliche Verkehrssicherungspflichten dürfen nicht überspannt werden (RS0023487 [T17]). Es sind nur jene Maßnahmen zu ergreifen, die nach der Verkehrsauffassung verlangt werden können. Ein darüber hinausgehendes Verlangen würde die Verkehrssicherungspflicht überspannen und letzten Endes auf eine vom Gesetz nicht vorgesehene, vom Verschulden unabhängige Haftung hinauslaufen (RS0023487 [insb T2]).
[9] 2.2. Grundsätzlich obliegt in den Fällen der Verletzung einer vertraglichen Schutz- und Sorgfaltspflicht der Beweis des Bestehens einer Sorgfaltspflicht und deren Verletzung (etwa durch Unterlassung) sowie die Kausalität der Sorgfaltspflichtverletzung für den Schaden dem Geschädigten selbst ( 6 Ob 10/22x Rz 16 mwN). Hinsichtlich des Verschuldens gilt die Beweislastumkehr des § 1298 ABGB ( RS0022686 ). Wenn jedoch ein auch nur objektiv vertragswidriges Verhalten des Schädigers nicht feststellbar ist, kann die Beweislastumkehr nach § 1298 ABGB dann angewendet werden, wenn der Geschädigte beweist, dass nach aller Erfahrung die Schadensentstehung auf ein wenigstens objektiv fehlerhaftes (vertragswidriges) Verhalten des Schädigers zurückzuführen ist ( RS0026290 ). Eine eingeschränkte Beweislastumkehr greift bereits dann Platz, wenn dem Geschädigten der Nachweis eines Schadens und der Kausalität sowie zumindest eines – ein rechtswidriges Verhalten indizierenden – objektiv rechtswidrigen Zustands oder eines objektiven Mangels in der Sphäre des Schädigers gelungen ist. Dem Schädiger steht dann der Entlastungsbeweis offen; er hat zu beweisen, dass er die erforderlichen Vorkehrungen getroffen hat (6 Ob 10/22x Rz 16 mwN).
[10] Das Vorliegen eines – ein rechtswidriges Verhalten indizierenden – objektiv fehlerhaften Verhaltens oder eines objektiven Mangels in der Sphäre der Beklagten hat das Berufungsgericht in nicht korrekturbedürftiger Weise verneint. Das Erstgericht hat nämlich festgestellt, dass die Mieterin der Beklagten mitteilte, keinen „24 stündigen“ Winterdienst zu wünschen. Dass die Beklagte konkrete Anhaltspunkte für die Notwendigkeit eines vor 6:00 Uhr morgens beginnenden Winterdienstes gehabt hätte, steht nicht fest. Wenn die Klägerin (erkennbar) argumentiert, dass die Liegenschaft vor 6:00 Uhr morgens „stark frequentiert“ wäre, entfernt sie sich von den getroffenen Feststellungen.
[11] 2.3. Der Senat hatte in der Entscheidung 2 Ob 43/14h die Frage der Haftung für einen Sturz wegen Glatteises zu lösen, der sich gegen Mitternacht im Bereich einer Wohnhausanlage ereignete. Er betonte, dass eine Schneeräumung bzw Maßnahmen gegen Glatteis „rund um die Uhr“ regelmäßig unzumutbar sei(en). Dafür spreche auch die Vorschrift des § 93 Abs 1 StVO, die auch für die meist stärker frequentierten, dem öffentlichen Verkehr dienenden Gehsteige und Gehwege eine Räumpflicht lediglich für die Zeit von 6:00 Uhr bis 22:00 Uhr statuiere.
[12] Wieso diese – vom Berufungsgericht herangezogenen – Grundsätze im vorliegenden Fall keine Geltung beanspruchen können sollten und das Berufungsgericht den ihm bei Beurteilung des zumutbaren Ausmaßes der Streu- und Räumpflicht zukommenden Beurteilungsspielraum überschritten haben sollte, legt die Klägerin in der Revision nicht nachvollziehbar dar.
[13] 3. Die innerhalb eines – wie hier – abgezäunten Grundstücks befindlichen Wege fallen aus dem Anwendungsbereich des § 1319a ABGB heraus (vgl RS0030061).
[14] 4. Warum die Beklagte „aus Gründen ihres Überwachungsverschuldens“ auf Grundlage allgemeiner Verkehrssicherungspflichten deliktisch haften sollte, legt die Klägerin in der Revision nicht nachvollziehbar dar. Sie unterlässt auch jede Auseinandersetzung mit den Ausführungen des Berufungsgerichts zur Verletzung des Neuerungsverbots in diesem Zusammenhang.
[15] 5. Insgesamt war die Revision damit zurückzuweisen.
[16] 6. Diese Entscheidung konnte in nichtöffentlicher Sitzung ergehen. Ein Recht der Klägerin auf Abhaltung der von ihr beantragten Revisionsverhandlung besteht nicht ( 6 Ob 20/16h Punkt 4.2. mwN).
[17] 7. Die Kostenentscheidung beruht auf § 41 Abs 1 iVm § 50 Abs 1 ZPO. Da die Beklagte in ihrer Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit des Rechtsmittels hingewiesen hat, diente ihr Schriftsatz der zweckentsprechenden Rechtsverteidigung.